En bref et en français
Il y a tout juste un an, le 26 décembre
2004, l'écrivain Lucernois Otto Marchi disparaissait
à Khao Lak, emporté par le Tsunami. Cette
mort semblait accomplir d'une manière presque tragicomique
une vision de Marchi, racontée dans l'un de ses derniers
textes, inédit, où un auteur parvient à
disparaître en faisant mourir son héros. Otto
Marchi laisse derrière lui une oeuvre brève
publiée entre 1971 et 1994, qui explore de manière
conséquente la frontière entre récit,
biographie et historiographie. L'influence d'Otto Marchi
dépasse ses quelques livres dans la mesure où
il a enseigné de nombreuses années l'usage
attentif de la langue à la Hochschule für Gestaltung
und Kunst de Lucerne, ainsi qu'à des journalistes.
Beat Mazenauer
Ein Chronist der Selbstzweifel
und Lebensängste
Text und Autorschaft sind zwei ungleiche
Dinge, das ist bekannt. Ein Ich, das ein Autor niederschreibt,
ist eine literarische Erfindung, die nie identisch ist mit
dem schreibenden Ich. Im Bewusstsein dessen lassen wir uns
daher auch nicht mehr von Autobiographien täuschen.
Umso mehr frappieren mitunter Sätze, die bei nachträglicher
Lektüre so etwas wie visionäre Qualität erhalten,
indem sie im Rückblick das künftige Leben oder
die Person des Autors zu beleuchten scheinen. Eine Passage
dieser Art findet sich in Otto Marchis Debütroman "Rückfälle"
(1978): "Die Brecher können über der Schiffsbrücke
zusammenschlagen, das macht mir gar nichts aus", steht
da auf Seite 124: "Auch nicht tausend Meilen vom Ufer
entfernt. Irgendein Stück Holz wird sich immer finden,
an dem man sich festklammern kann, bis Hilfe naht."
Die kurze Passage klingt wie eine höhnische Vorschau
auf seinen tragischen Tod 26 Jahre später.
Vorschau und Rückfall, Marchi veranschaulicht dieses
Spannungsverhältnis im ersten Roman am Exempel einer
Figur, die sich neu entwerfen will, doch in alte Muster
zurückfällt, weil sie nur darin den lebensnotwendigen
Halt findet. "Wer nachdenkt, zieht Schlüsse, aus
denen Entschlüsse werden, die zum Handeln zwingen.
Handeln heisst für mich verändern", motiviert
sich der Ich-Erzähler zwar selbst, um seine Stellung
in der Werbeabteilung eines Generalunternehmers zu kündigen.
Doch bereits die grossartig eintönige Eingangspassage
des Buches macht die Vergeblichkeit seines Bemühens
spürbar. Marchis Erzähler ist kein Revolutionär,
von den Krakelern hält er nichts, weil er Veränderer
und zugleich Realist ist, mit dem Effekt, dass sein Lebensentschluss
ohne rechtes Ziel bleibt. Zwar schreibt er Tagebuch, um
Bindungsangst, hypochondrische Symptome und aufkeimende
Verzweiflung schonungslos zu analysieren, doch handlungsfähig
wird er dadurch nicht. Erst der Entschluss, wieder in seinen
Beruf einzusteigen, lindert die Verzagtheit. "Wir nehmen
Rücksicht. Wir wissen, dass es nicht ohne Rücksicht
geht, ohne Verständnis füreinander."
Marchis Generationenporträt entzaubert den 68er-Mythos
mit lakonischer Distanziertheit. Dass es ihm zu jener Zeit
selst aber ernst war mit der Forderung nach Aufklärung
und Veränderung, bewies schon 1971 seine "Schweizer
Geschichte für Ketzer", eine ebenso ernste wie
vergnügliche Entzauberung der helvetischen Geschichtsmythen.
Das Buch erregte heftigen Widerspruch nicht so sehr, weil
es neues Material vorlegte, sondern weil es die alten Historien
in eine wunderbar leichte, zuweilen spöttisch klingende
Erzählung einkleidete. Das Buch ist ein Glanzstück
der historischen Literatur. Marchi entwickelt darin eine
sehr eigenwillige Darstellungsform, die sich zwar literarischer
Mittel bedient, dennoch aber historischer Genauigkeit verpflichtet
ist. Gewitzt überbrückt er so die Kluft zwischen
hermetischer Wissenschaft und populärer Mythenerzählung,
um sich vor allem vom verbissenenen, ja oft gehässigen
Heimatdiskurs abzugrenzen. Auch wenn Marchi am Realitätsgehalt
der Schweizer Geschichte rüttelt, die geschichtsbildende
Kraft des Tellen-Mythos zweifelt er aber nicht an.
12 Jahre später nahm er im Roman "Sehschule"
die Frage nach Sinn und Ziel der Geschichtsforschung wieder
auf. Der Historiker Georg Anderhalden wagt darauf keine
Antwort zu geben, stattdessen verordnet er sich einen Wahrnehmungsurlaub,
um die Aufmerksamkeit für die Winzigkeiten des Alltags
zu schärfen. Mitbetroffen ist seine historische Optik.
Anderhalden beginnt das familiäre Erbe zu untersuchen,
doch erfolglos: Man kann nicht Mikroskop sein und sich selbst
unter die Linse setzen. Es lässt sich zwar alles, was
einem begegnet, objektiv beschreiben, doch verstehen lässt
es sich so nicht - es sei denn, das eigene Ich wird als
Teil der Geschichte begriffen. So präzis und detailscharf
diese Beschreibungsprosa gearbeitet ist, so temperamentlos
mutet sie im Effekt an. Otto Marchi hat sich konsequent
ans Ende eines Wegs geschrieben, der nicht mehr weiterführte.
Als in den 80er Jahren der literarische Zeitgeist sich verstärkt
wieder dem Erzählerischen zuneigte, folgte er der Strömung
und überraschte 1989 mit einem der beschwingtesten
Romane jener Jahre: "Landolts Rezept". Landolt
hat ein gravierendes "Weiberproblem", das er zuerst
verheimlichen, dann unter blumigen Mogeleien zudecken, schliesslich
mit einem "idiotischen Fest" offensiv beheben
will, indem er (wie weiland schon Gottfried Kellers Landvogt
von Greifensee) seine alten Geliebten einlädt, um sie
ein letztes Mal zu bekochen. Doch der "Hornissenschwarm
der Weiber" zieht seine patriarchale Herrlichkeit dabei
kräftig ins Lächerliche. Das Fest ist ein Fiasko,
aber heilsam insofern, als Landolt die Untauglichkeit seiner
alten Rezepte einsieht. Mit Hanna, deren gebieterisches
"Erzähl!" ihn peinigt, könnte so vielleicht
ein Neuanfang gelingen.
"Landolts Rezept" geht andere Wege als die ersten
beiden Romane, sein erzählerischer Charme rückt
das Buch eher an die Seite der "Schweizer Geschichte".
Marchi treibt darin geradezu Wucher mit rhythmischen, klangmalerischen
und metaphorischen Elementen, um den Notstand Landolts adäquat
zu beschreiben und nebenbei seine sprachliche Meisterschaft
zu beweisen. Die wunderbar leichte Frivolität ist vielleicht
auch dem Umstand geschuldet, dass das Leitmotiv Schule darin
nur am Rand vorkommt. Umso kräftiger forderte es fünf
Jahre später in "Soviel ihr wollt" (1994)
wieder Tribut. Wie Marchis frühere Helden ist auch
der Schriftsteller Konrad eine gescheiterte Existenz, die
von Selbstzweifeln und Lebensängsten heimgesucht wird.
Ein Schreibauftrag weckt böse Erinnerungen an die Schulzeit
- verkörpert in der Gestalt des Pädagogen und
Priesters Brandstätter. Wie Konrad bei seinen Recherchen
aber entdeckt, dass dieser alte Peiniger ein skandalöses
Verhältnis mit einer Künstlerin hatte, wird sein
Rachedurst geweckt.
In "Soviel ihr wollt" finden Marchis literarische
Leitmotive aufs Schönste zusammen: Schule, Lebenszweifel
und Geschichte. Doch der Roman besitzt noch zusätzliche
Qualität. Hinter der Figur Brandstätters verbirgt
sich der Schriftsteller und Priester Josef Vital Kopp (1906-66),
dessen historisch beglaubigte Affäre mit der Stanser
Künstlerin Annemarie von Matt (1905-67) Marchi aufarbeitet.
So schlägt "Soviel ihr wollt" den Bogen zurück
zu den Anfängen, indem Marchi abermals Dichtung und
Wahrheit miteinander engführt, nun jedoch unter literarischem
Primat. Wenn das Buch nicht ganz überzeugt, so weil
der Autor sich stilistisch weder für die protokollarische
Präzision der "Sehschule" noch für die
sprachverliebte Frivolität in "Landolts Rezept"
entscheiden kann. Diese Unschlüssigkeit gibt zur leisen
Vermutung Anlass, dass es Otto Marchi leichter fiel, die
alten Mythen ironisch kritisch zu hinterfragen als die Repräsentanten
der katholischen Erziehung, die ihm vielleicht selbst einst
Zweifel und Ängste eingeflösst hatten. Dies wirft
einen autobiographischen Schatten auf sein Werk. Vielleicht
liegt darin der wahre Kern seiner Sympathie für die
gescheiterten Helden.
Beat Mazenauer
Werke
Schweizer
Geschichte für Ketzer oder die wunderbare Entsehung
der Eidgenossenschaft, Zürich, Praeger 1971.
Auch: Bern, Zytglogge 1981. |
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Rückfälle.
Roman Frankfurt/M., S. Fischer 1978. |
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Sehschule.
Roman, Frankfurt/M., S. Fischer 1983. |
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Landolts
Rezept. Roman. Frankfurt/M., Franfkurter Verlagsanstalt
1989. |
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Soviel ihr wollt. Roman. Zürich, Nagel
& Kimche 1994.
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Page créée le 12.01.06
Dernière mise à jour le12.01.06
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