Porträt-Sitzung, von Beat Mazenauer

Welche Miesigkeit, dieses Leben!
Benoziglios Roman "Cabinet Portrait" auf Deutsch

Literarisch hört die Schweiz spätestens am Röstigraben auf - ob es ihn nun gibt oder nicht. Was ennet der Sprachgrenze passiert, interessiert nur am Rande. Selbst dann, wenn ein welscher Compatriotes wie Jean-Luc Benoziglio in Paris mit höchsten literarischen Lorbeeren dekoriert werden. 1980 hat der in Paris lebende und gebürtige Walliser für seinen Roman "Cabinet-Portrait" den renommierten Prix Médicis erhalten. Nicht weniger als zehn jahre dauerte es, bis dieses Kabinettstück helvetischer Literatur unter dem Titel "Porträt-Sitzung" ins Deutsche übersetzt worden ist.

Die Grundidee ist abermals ebenso absonderlich wie simpel. Ein einäugiger Mann muss gewisser "Umstände" halber in ein kleineres Etablissement umziehen, wo seine 25-bändige Universalenzyklopädie nicht mehr Platz findet. So deponiert er sie auf dem Etagenklo, das er für seine eklektische Lektüre über Krebs, die Levante oder was auch immer gleich okkupiert. Unweigerlich stiften seine stundenlangen Sitzungen Streit mit den Nachbarn und lösen eine ganze Serie von fiesen Aktionen und beharrlichen Gegenaktionen aus. Einem neuerlichen Umzug des Ichs steht zum Schluss nichts mehr im Wege.

Welch böser Spruch über die Welt, wenn sie ein solches Gesicht trägt wie in Benoziglios Roman! Es sind die engstirnigen, idiotischen Katastrophen gutnachbarlichen Zusammenseins, die täglichen Guerillakämpfe von Tür zu Tür, welche hier das Leben lebenswert zu machen scheinen, die Tritte in den Hintern des nächsten und die dafür empfangene Ohrfeige und und und. Auch wenn unsere Sympathie dem Protagonisten gehört, ist er zu jener ewigen Spezies der "Radfahrer"zu zählen, ist er Schuhabtreter und abgefuchster Schikaneur je nach Gelegenheit, der darin kaum den ekelhaften Sbritzkys nebenan nachsteht.

Das vergammelte Haus, in dem der Roman spielt, steckt voller kleiner mieser Menschenschweine inmitten mieser kleiner Menschenschweine, die ihr mieses Schweineleben in hässlichen kleinen Koben dahinleben und es andern zu vermiesen trachten. Das Ich ist ein Ausgestossener, ein Verlierer, jedoch einer, der nicht in diese Situation hineingeboren ist, sondern hier täglich diese seine Rolle neu schafft, sie hegt und pflegt, weil er selbst gar nichts anderes sein will. Wo er hinlangt, gibt's Zoff. Um eine Verbesserung seiner Situation bemüht er sich längst nicht mehr. Frau und Kind haben ihn verlassen, über seine familiäre Vergangenheit weiss er Genaueres nur, dass sie bis hinunter an die nahöstliche Levante reicht, dass sie einmal in Konstantinopel und Beirut spielte und da noch heute Ableger haben muss. Tatsächlich besucht ihn einmal aus der Gegend eine mollige Cousine mit Kind und Mann. Genaueres über den Vater oder den Grossvater des Ichs lässt sich allerdings nicht aus ihr herausbringen, und so herrscht danach wieder Funkstille. Das Ich bleibt geschichts- und gesichtslos.

Einzig die tückischen Scharmützel mit irgendwelchen gewöhnlichen Objekten oder mit den Nachbarn sowie deren permanenter TV-Terror halten ihn lebendig und auf dem laufenden. Unüberhörbar hallt ein widerliches Amalgam aus Nachrichten-, Quiz- und Werbesendungen durch seine Zimmerwände und verunmöglicht jede Konzentration: "Die Kommentatoren stimmen in der Einschätzung überein, dass dies zu einer Bedrohung des ... Gleichgewichts hochwertiger Nährstoffe, wie ein fröhlicher Hund sie braucht ... auf unserem Globus führen könnte, zumal jenes Lnad, das nun mobil macht, nicht erst seit gestern über die atomare ... Superwaffe Spruntz, das neue Mückenspray...". Angesichts solcher Angriffe aus der Nachbarswohnung bleibt nurmehr das Klo übrig, um zwischendurch jene Ruhe zu erlangen ist, die notwendig ist, um der universalen abendländischen Bildung frönen zu können.

Benoziglio beschreibt dieses traute Wohnidyll in einer rotzfrechen, aberwitzigen Prosa voller Wortspiele, welche, leicht verzerrt und zynisch, exakt den alltäglichen Wahnsinn trifft. Wie sein Protagonist spielt er mit Klischees, mit "guten alten gebrauchsfertigen Versatzstücken" aus schlechten rührseligen Schmökern oder (TV-)Filmen und dreht sie auf die Kehrseite, um ihre Verlogenheit zu entlarven. Immerhin gelingt es ihm besser als seinem Helden, witzig zu sein. Bei diesem ist sogar der Witz so mies, dass er nicht einmal sich selbst damit ein Lachen herauszukitzeln vermag.

Anfang und Ende des Buches markieren die beiden Begegnungen mit Schrank und Spargel, zwei Möbelpackern (am Anfang) und Sargträgern (am Schluss), zwei eigenartigen, üblen aber grundoffenen Gesellen. Sie besitzen immerhin noch so etwas wie einen Behauptungswillen im Leib, der sie schlecht und recht durchs Leben mogeln lässt. Nichts davon beim Ich.

Mit "Porträt-Sitzung" schrieb Benoziglio einen ausgesprochen hinterhältigen und versponnenen Roman, der mit seinem lakonischen Tonfall von Anfang bis Ende ohne Brüche, stimmig ist. Da mochte glücklicherweise auch der Übersetzer nicht hintanstehen und bemühte sich, die spielerische Sprache adäquat ins Deutsche hinüberzutragen und in seinem Nachwort dem witzigen Tiefsinn selbst noch eins draufzupappen.

Jean-Luc Benoziglio: Porträt-Sitzung. Roman. Benziger Verlag 1990.

Beat Mazenauer

 

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