Stilleben mit Pistole, von Beat Mazenauer

Ein Himmel voller Flugzeuge
Und schliesslich Benos „Peinture avec pistolet“ auf Deutsch

Jean-Luc Benoziglio ist immer noch zu entdecken. Der Walliser, der seit dreissig Jahren in Paris lebt und arbeitet, ist ein schillernder Erfinder von abstrusen und zugleich höchst persönlichen Geschichten. Abermals in dem Roman „Stilleben mit Pistole“.

1944 sollen deutsche Kampfflieger die kleine Grenzgemeinde Morgins bei Monthey angegriffen haben. In luftiger Höhe übersahen sie den rotweissen Schlagbaum und glaubten, ihre Bomben auf ein französisches Partisanendorf abzuwerfen. Unter jenen, die vor den heulenden Maschinen um ihr Leben rannten, war auch eine Mutter mit ihrem dreijährigen Kind.

1944 war Jean-Luc Benoziglio drei Jahre alt. Er könnte also jenes Kind gewesen sein, neben dem haarscharf eine MG-Feuergarbe die Grasnarbe ritzt. Für dieses heroische Überleben wird es vom General persönlich in die Backe gekniffen. In einem Land, in dem niemand eine Ahnung vom Krieg hat, „ausser dass er auf der anderen Seite des Schlagbaums beginnt“, hatte es für einen Moment fast Teil an der grossen Geschichte.

„Angeblich, sieht so aus“, lautet die Formel, mit denen diese frühesten Episoden aus dem Leben des namenlos bleibenden Helden einsetzen. Der Junge erinnert sich nur dunkel. Doch zusehends wird klarer, dass sich dahinter einer wie Benoziglio verbirgt, der sein Leben nach seltenen Fundstücken absucht. So wie jener „magere Stelzvogel“, der eingangs des Buches 1991 am Strand von Zypern nach schönen Steinen Ausschau hält.

Am Rande der Welt

In seinen Büchern reflektiert Benoziglio immer wieder das unbedeutende Dasein von Menschen im Zerrspiegel des Weltgeschehens. Zum jungen Mann gereift duckt sich sein Held während des Ungarn-Aufstands unter einem tyrannischen Pauker, übt anlässlich des Berliner Mauerbaus verdrossen die Zerlegung seines Gewehrs und wird per Zufall 1968 im Quartier Latin verhaftet. Ein Himmel voller Flugzeuge - darunter ein kleiner Junge, der gefährlich mit einer Pistole spielt. Diese in der Hand, hält ihm das Leben abseits noch Gefahren bereit. Deshalb ist auch Glück mit im Spiel, wenn ihn die Geschichte „in vollem Lauf überholt, ironisch zwinkert und weit hinter sich lässt“.

Mit galligem Witz hat Benoziglio dieses Verfahren schon in „Der Tag, als Kary Karinaky auf die Welt kam“ erprobt. Und im wunderbar absurden „Porträt-Sitzung“ ersetzte eine Universalenzyklopädie die Welt. Verglichen mit diesen Narreteien gibt sich „Stilleben mit Pistole“ freilich zurückhaltender, lakonischer.

Ein Tagebuch im Rückblick

Nach Jahren geordnet reihen sich Episoden aus dem Zeitraum 1944 -1974 aneinander: in krausen Satzfolgen sich verschlingende Lebensgeschichten eines neutralen Schweizers. Allerdings protokolliert seine launige Chronik nicht unmittelbar das (Nicht-)Erleben, sondern blendet offenkundig aus dem Nachhinein ins Vergangene zurück. Andeutungsweise schält sich aus der Erinnerung des Erzählers der junge Mann heraus. Weil jener um die Gefahren von dessen Handeln weiss, schafft Benoziglio zusätzlich Spannung.

Kurz vor Ende der Aufzeichnungen stösst er auf seltene Aufnahmen von dem irrtümlichen Bombenangriff auf das Schweizer Grenzdorf. Damit schliesst sich der Kreis, der seinerseits umschlossen wird von zwei Ferienreisen nach Zypern 1991 und 1974. In diesem Jahr ist der Held unwillkürlicher Zeuge der türkischen Invasion; während des Golfkriegs 15 Jahre später stelzt er zum Ärger seiner Frau ziellos über den Strand. Anfang und Ende einer skurrilen Schweizer Geschichte.

Jean-Luc Benoziglio: Stilleben mit Pistole. Roman.
Deutsch von Michael Mosblech. Rowohlt Verlag, Reinbek b. Hamburg 1998.

Beat Mazenauer

 

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