Der Preis der Mobilität

Der Fussgänger ist das Mass der Mobilität. In seinen Essays über Urbanistik denkt der Schriftsteller und Verkehrsplaner Hans Boesch über die Grundlagen für eine lebensgerechte Stadt nach.

Die sinnliche Stadt: Hans Boeschs Essays zur Urbanistik

Wer heute für Langsamkeit plädiert, gerät leicht in Verdacht, ein konservativer Geist zu sein. Geschwindigkeit und Effizienz sind Trumpf. Dahinter jedoch verbirgt sich verschämt das menschliche Bedürfnis nach Ruhe und Geborgenheit.

Hans Boesch, der von 1970-1989 als Verkehrplaner an der ETH Zürich wirkte, hat sich intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Rasante Mobilität ist Auslöser für Unruhe, die wiederum ingenieurtechnisch gebändigt werden muss. Diesem Teufelskreis hält Boesch das Konzept der "Langsamverkehrs-Stadt" entgegen.

Ihr liegt das Mass des Fussgängers zugrunde. Er-gehen heisst erleben, weil nur der Fussgänger den Rundumblick frei hat. Die Geschwindigkeit dagegen zwingt den Autofahrer zur Konzentration auf einen fernen Fluchtpunkt.

Entfremdung und Refugium, Mobilität und Langsamkeit sind Kernbegriffe dieser Überlegungen. In ihrem Zentrum steht nicht die effiziente Verkehrsführung, sondern deren Drosselung durch "verkehrsberuhigende" Massnahmen, wie sie seit einigen Jahren mit Erfolg eingesetzt werden. Sie helfen mit, dem Quartier seine Wohnlichkeit zurückzugeben.

Zwischendurch lässt Boesch das Ideal einer dörflichen Zelle innerhalb der grossen Stadt aufblitzen - doch frei von Nostalgie. Er ist genügend Pragmatiker, um nicht konservierte Zeiten zurückzusehnen, wie es konservative Parteien im Widerspruch zur eigenen Verkehrspolitik rhetorisch gerne tun. Boesch versucht weiter zu denken. Er hat keine Lösungen parat, er entwickelt sie.

Jagd nach der Geschwindigkeit

Irritierend und überraschend sind diese Essays zur Urbanistik insbesondere, wo sie Mythen ins Spiel bringen. Odysseus, "der Stadtzerstörer", wird zum Schutzpatron der nomadischen Auto-Mobilisten, die sich permanent ihrer Umgebung entfremden auf der Suche nach einem häuslichen Refugium. Boesch will den gewagten Vergleich als Denkanstoss verstanden wissen.

Ein zweites zeichnet diese Essays aus. Sie sind offenkundig nicht für den literarischen Feingeist verfasst. Dies ist nicht abschätzig geurteilt. Boesch befleissigt sich einer didaktischen Denkweise, die nicht für nichts brillieren, sondern überzeugen, also verstanden werden will.

Die Quellenvermerke zeigen an, dass er bei seiner Leserschaft ein eher technisches Verständnis voraussetzte, das er mit kulturellen Aspekten herausfordern wollte. Nie verliert Boesch aber die sachliche Argumentation aus dem Blick. Odysseus ist zwar ein Mythos, doch zugleich Repräsentant des städtebaulichen Dilemmas zwischen Effizienz und Vertrautheit, Grösse und Nähe.

Die Rückgewinnung eines menschenwürdigen Wohnumfeldes soll sanft und beharrlich, keinesfalls stur schematisch erfolgen." In diesem Sinn sind Hans Boeschs Essays wohltuende Zumutungen. Sie widerspiegeln die bescheidene Zurückhaltung ihres Autors. Wer aber genau hinsieht, wird mit erstaunlich radikalen Thesen konfrontiert.

Hans Boesch: Die sinnliche Stadt. Essays zur modernen Urbanistik. Hg. und mit einem Nachwort von Elsbeth Pulver.
Nagel & Kimche 2001, 202 Seiten, 27.80 Franken.

Quarto, Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs, Nr. 14: Hans Boesch. 128 Seiten, Bern 2001.

Beat Mazenauer

 

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