Zusammen mit seinem Doppelpartner Max Frisch hat Friedrich Dürrenmatt die Schweizer Literatur der Nachkriegszeit geprägt. Seine Erfolge auf den Bühnen der Welt, vor allem aber auch die Vielfalt seines Schaffens, das Literatur, Philosophie und nicht zuletzt auch Kunst beinhaltet, weisen ihn trotz ausgeprägt breitem helvetischem Akzent als einen kosmopolitischen Dichter, Denker und Künstler aus, dessen Gestaltungskraft und Phantasie oft zu gross waren für die enge Schweiz.

Ein kynischer Dichter und Denker
Friedrich Dürrenmatt (1921-1990)

Als er am 14. Dezember 1990 überraschend verstarb, herrschte weit herum Trauer und Bestürzung. Auf einmal war eine uneinige Bevölkerung quer durch alle sozialen Schichten einer Meinung und versöhnt mit ihrem vehementesten Spötter und Kritiker. Und Auf einmal schien die Beklemmung über dessen Havel-Preisrede drei Wochen zuvor gewichen: Friedrich Dürrenmatt genoss eben eine beinahe unumstrittene, beinahe durch nichts zu erschütternde Autorität. Mochte er auch kein Blatt vor den Mund nehmen, so wurde ihm gedankt, dass er dafür gerne die Sprache des gewitzten Schalksnarren benutzte. Wofür ihm gedankt wurde. Dies machte damals den Abschied so schmerzlich: Man würde sein ungebärdiges Gelächter vermissen.

Abschiednehmen und Tod sind elementare Bestandteile des Dürrenmattschen Schaffens und Denkens. Der Autor selbst hat Jahre vor seinem Tod schon schmerzlichen Abschied genommen, vom Theater nämlich. Und in seinen Stücken werden pausenlos Ideale verabschiedet oder obskurste Tode gestorben. Der Tod gilt ihm als "Motor der Evolution", in ihm liegen Anfang und Ende der Existenz begründet. Weil der Mensch dagegen jedoch nichts vermag, gebührt stärkere Beachtung dem, was von diesem Rahmen umschlossen wird, vom Tod ausgeht und zu ihm hinführt: das Leben, die Beziehungen zwischen Menschen, ihre Verstrickungen in Schuld, Macht und Politik.

Prinzipielle Skepsis

Geleitet von prinzipieller Skepsis, zielte Dürrenmatt stets aufs Grundsätzliche: darauf, was Wirklichkeit von Möglichkeit trennt, Glauben und Wissen voreinander auszeichnet, Sein und Schein verbindet. Dies ist das Faszinosum seines Werks, die erregende Ambiguität, seine Paradoxie. Dürrenmatt liebte philosophisches Denken und war zugleich von dessen Fruchtlosigkeit überzeugt. Er lebte wirklich und glaubte nur an die Möglichkeit. Allein im Zweifel, der Triebfeder seiner Erkenntnis, fand er Sicherheit: "Bekennen kann einer nur seinen Unglauben an etwas, seinen Zweifel." Der Zweifel schafft Distanz zum Leben, ohne dass sein Betrachter von dessen Sinnlosigkeit in Bann geschlagen würde. Wenn er gedanklich auf der Klaviatur der "unmöglichen" Antithesen spielt, so nur, um eine der unzähligen möglichen künftigen Wirklichkeiten zu denken. Vorhersagen konnte Dürrenmatt sie nicht, dazu fehlte ihm der Glaube an eine historische Vernunft.

Unbeaufsichtigt trudelt die Erde durch Raum und Zeit, von keinem Gott am Faden geführt. Stellte der Pfarrerssohn dennoch die Gottesfrage, so nur in der Absicht, deren Nutzlosigkeit zu konstatieren, da Gott "ausserhalb jeder Rede" sei. Es gibt für den Menschen, so Dürrenmatts Überzeugung, keine irgendwelchen Gewissheiten ideologischer, theologischer oder wissenschaftlicher Art. Und Objektivität heisst nur der scheinheilige Anspruch, dass der Mensch über die lächerliche Zufälligkeit der Schöpfung gebiete.

Dürrenmatt war Skeptiker, Nihilist, Atheist, was immer. Seinen sturen Pessimismus begriff er als provokative Entgegnung auf den eifrig vorgezeigten (politischen) Optimismus und Opportunismus. Demnach war er auch Moralist, der grundsätzlich an der moralischen Verantwortlichkeit des menschlichen Tuns zweifelte: Moral, wie es im Nachwort zum "Mitmacher" heisst, "nicht klischeehaft, als ein sinnloses Vollziehen angeblicher Gesetze (...) und nicht als Einsichten", sondern als "das Verwirklichen dieser Erkenntnis" verstanden.

Um menschliches Tun und Lassen zu demonstrieren, hat Dürrenmatt zwei klassische Topoi zu Hilfe genommen: das minoische Labyrinth und den babylonischen Turm. Ersteres steht für die existentielle Unbehaustheit des Menschen, zweites für dessen verhängnisvolles und vergebliches Streben nach Wissen, Macht und Glück.

Labyrinthisch ist, nach Dürrenmatt, das Leben, weil der Mensch in ihm gefangen ist. Wie der Minotaurus in seiner gleichnamigen Ballade sieht er sich Tausenden von gleichen Spiegelbildern gegenüber, die sich wie er bewegen und mühen und im Glas doch immer voneinander getrennt bleiben. Wird alle Zuversicht auf Rettung vom undurchschaubaren Gewirr der Gänge aufgesogen, verheisst dagegen die Weite des Alls über den Köpfen eine unermessliche Freiheit. Zivilisation ist, wenn der Mensch aus seiner existentiellen Gefangenschaft heraus einen immer gewaltigern Gedankenturm in die Höhe baut, um den Himmel zu stürmen und endlich einmal das verfluchte Labyrinth zu überschauen. Er ahnt dabei nicht, dass mit seinem Titanenwerk die Spiegelwände stetig mitwachsen, bis sein Stein gewordenes Streben nach Machtfülle und Naturbeherrschung wieder zusammenstürzt in die minotaurische Auswegs- und Sinnlosigkeit. Diesem verhängnisvollen Muster gehorchen Dürrenmatts Dramen und Prosatexte.

Doch selbst wenn der Turmbau ans Ziel gelangen würde, verhiesse er weder Freiheit noch eine Begegnung mit Gott. In den "Stoffen IV-IX" entwirft Dürrenmatt brillant die Ankunft Nebukadnezars im Himmel. Zu seiner Überraschung trifft er nur auf einen Alten, der den Weltdachboden kehrt und ihm entgegnet, dass auch er einst wie der Neuankömmling tat: "in Urzeiten habe auch er die Erde unterjocht und die Völker gezwungen, das Unmögliche zu unternehmen, einen Turm zu bauen, hoch, unermesslich, den Himmel zu erobern". Um schliesslich diese sinnlose, sisyphosische Tätigkeit auszuüben, von der ihn der babylonische König nun erlöse. "Im Nichts habe nichts einen Sinn, antwortet der Alte, und übergibt dem König den Besen". Ewigkeit und Nichts fallen zusammen, da nichts sie trennt.

Die menschliche Anmassung fordert bloss vergebliche Anstrengungen - und Opfer. Beides interessierte Dürrenmatt: Mit welchen Strategien bauen Menschen an ihrem Turm der Selbstlüge? Welchen Irrtümern verfallen sie? Welche falschen Mythen erdenken sie sich? Wer zahlt die Zeche?

Im Versuch, mögliche Antworten auf diese Fragen zu finden, liegt zweifellos eines der bedeutendsten Verdienste Dürrenmatts. Subtil analysiert er die Macht in der modernen Gesellschaft, untersucht er Gewalt und Herrschaft und ihre teils archaischen, teils modernsten naturwissenschaftlichen Instrumentarien, deren sie sich freimütig bedienen. Gerade letzteren (Physik, Biologie etc.) galt seine besondere Aufmerksamkeit, weil er um ihre Bedeutung und ihre Gefährlichkeit wusste. In seinem verräterischen, berichtigenden Zerrspiegel fängt er spielerisch fiktive Machtsysteme und -konglomerate ein, beobachtet ihr Funktionieren und beschreibt ihr exemplarisches Scheitern, das vielleicht schmieriger und spektakulärer als in "Wirklichkeit" ausfällt, doch immer mit letzter Konsequenz "real" möglich ist. Er hält sich dabei an einen menschlichen Blickwinkel, das heisst er hält keine Er-Lösung bereit. Schrill und präzise schildert Dürrenmatt die kläglichen Fehlschläge der Denklogik des "Raubaffen Mensch": ihre absurde Antithetik, die Paradoxie des babylonischen Turmes. Längst sind die Machtträger bloss ohnmächtige Teilhaber eines sich selbstregulierenden hypertrophen Machtgefüges. Ehrlichkeit ist nicht mehr "Angelegenheit des Innenlebens, sondern der Organisation" (Frank der Fünfte), die "rechte Menschlichkeit" nicht zulässt. Die Freiheitsverfechter verteidigen mit Zwangsmassnahmen nur noch die Unfreiheit.

Die Leichtigkeit der Aufklärung

Alleweil bereit für eine deftige Provokation hat Dürrenmatt in seiner Rede zu Ehren von Vaclav Havel diese Paradoxie in seltener Deutlichkeit auf die "Schweiz als Groteske" übertragen: "als ein Gefängnis, wohinein sich die Schweizer geflüchtet haben (...), weil sie nur im Gefängnis sicher sind, nicht überfallen zu werden, fühlen sich die Schweizer frei, freier als alle andern Menschen". Frei sind sie hier Gefangene und Wärter in einem: "Jeder Gefangene beweist, indem er sein eigener Wärter ist, seine Freiheit." Den unwägbaren Rest besorgt gründlich die bürokratische Vorsicht, wie es schon in "Frank der Fünfte" ganz harmlos hiess: "Vom Nachbarn beschattet, den man selber überwacht."

Seinem Hang zum Grundsätzlichen angemessen liess Dürrenmatt auf der Bühne ein groteskes Welttheater aufführen, das sich in gewaltigen Konflikten entlädt, weder Einzelfallstudie noch politische Intervention, sondern die wahrhaftige "Schmiere" darstellt. Im Kopf entwarf er ganze Kunst- und Ideenwelten, die er hypothetisch zu Ende dachte. Von Detailproblemen (Abrüstung etc.) wollte er sich in seiner Grundsätzlichkeit und Gründlichkeit gewöhnlich nicht stören lassen - im Unterschied zu Max Frisch, der sich nie scheute, in aktuelle Diskussionen einzugreifen, engagiert seine Meinung kundzutun und unverblümt zu kritisieren. Dürrenmatt hielt sich lieber zurück, von Ausnahmen abgesehen, er blieb auf (skeptischer, ironischer) Distanz und so auch weniger angreifbar. Und vor allem weniger angegriffen als Frisch! Dürrenmatt hielt sich an philosophische Fragen. Dies mag, als Unverbindlichkeit gedeutet, eine Schwäche seiner Position bezeichnen. In der Tat wäre zu ergründen, inwieweit er selbst Schuld trägt dafür, dass sich das Publikum in seinen Stücken so sehr amüsiert, ohne sich angesprochen zu fühlen. Inhaltlich mangelt es ihnen gewiss nicht an Radikalität.

Doch es ist eine Binsenwahrheit: Menschen (und ihre Institutionen) gebärden sich nie störrischer, als wenn sie ihre selbst geschaffenen, klar zutage tretenden Probleme erkennen und anpacken sollten. Gerade dies macht Dürrenmatts Drama "Herkules und der Stall des Augias" zum Thema, ein Stück von frappierender Aktualität.
Der heruntergekommene Herkules erhält die Aufgabe, das Land Elis von seinen turmhohen Mistbergen zu befreien, in denen es allmählich zu ersticken droht. Der Plan ist sinnvoll und bei den Eliern im Grundsatz unumstritten - wenn nur schon alle Genehmigungen eingeholt wären und man wüsste, dass es auch ohne Schaden abginge! Könnten bei der Operation aber nicht sogar Kulturgüter unter der Mistdecke beschädigt werden? Wird mit dem Mist nicht auch dessen "traute, warme Gemütlichkeit" geopfert? Ja, darf man sich solches überhaupt leisten, wo der Mist doch längst zu "einem soliden Sockel" der Volkswirtschaft von hohem verteidigungsstrategischem Wert geworden ist! Es ist absehbar: die elische Freiheitsstatue versinkt vollends darin und alles bleibt beim Alten.

Parallelen zur Gegenwart sind nicht rein zufällig auch wenn das Stück schon 1962 geschrieben worden ist. Andere Stücke, etwa "Die Physiker", "Der Mitmacher", "Frank der Fünfte", sprechen eine ebenso deutliche, auch politisch zu rezipierende Sprache, so dass ihnen fehlendes politisches Bewusstsein oder mangelnde gesellschaftliche Brisanz gewiss nicht nachgesagt werden kann. Ein neues Zeitalter der Aufklärung tue not, schrieb Dürrenmatt, in welchem alle Ansprüche auf alleinseligmachende Wahrheiten und absolute Ideale aufgegeben und "das Suchen nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit und nach Freiheit" an ihre Stelle gesetzt werden müsse. Dazu sei es vonnöten, dass die Welt menschlicher werde, wie es seine Helden auf der Bühne vorzeigen. Sie sind gar keine Helden mehr, sondern einfache Menschen, die zählen, weil sie nicht mehr mitmachen wollen. Ihre Grösse freilich ist an Machtlosigkeit gekoppelt, da alle Wirkung nur von vielen ausgehen kann.

Warum er trotz seines Pessimismus schreibe, erklärte Dürrenmatt mit dem Willen, "entschlossen und tapfer das Meine zu tun, das noch Mögliche, im Wissen um die sinnlose Wirkungslosigkeit meines Tuns, weiterschreibend gleichsam meinen Puls zu fühlen". Mehr schien ihm nicht möglich, doch das Wenige wollte er mit artistischer Virtuosität und mit kynischem Vergnügen tun. Es ist das Wie, das Dürrenmatts aufklärerischen Gestus so einzigartig, so leicht auch, undidaktisch macht.

Das Welttheater als Komödie

Sein Anliegen ist ein durchaus ernsthaftes zwar, doch ist alle die Ernsthaftigkeit Dürrenmatts nicht zu denken ohne seinen lästerlichen Witz und bittern Sarkasmus. In der Tat gelang es ihm wie kaum einem andern Autor, höchstes Vergnügen mit tiefstem Erschrecken zu verbinden. Hinter dem Denker und Pessimisten verbirgt sich nur der halbe Dürrenmatt, zu dem untrennbar der Schalk gehört, der wilde Drauflosschreiber, drastische Fabulierer und Sprachkünstler, der die Sprache mit derselben frischen Unverfrorenheit wie die Welt traktierte. Sein kerniges Idiom, sein vitales Spieltemperament, sein Ideenreichtum, der oft mit ihm durchzugehen scheint, gehören nebst seiner "Philosophie" zu den markantesten Kennzeichen Dürrenmatts.

Die Satire, die Verzerrung ins Groteske schienen ihm allein tauglich für die Schilderung der desolaten gesellschaftlichen "Normalität". Ergebnis dieser Einsicht ist die tragische Komödie im typischen Stile Dürrenmatts. Sie vermag ernsthaft zu sein, weil sie mit Ernst betrieben den Ernst nicht theatralisch verunglimpft und mit falschem Pathos überfrachtet. "Nur das Komödiantische ist möglicherweise heute noch der Situation gewachsen. Wer verzweifelt, verliert den Kopf, wer Komödien schreibt, braucht ihn. (...) Die Sprache der Freiheit in unserer Zeit ist der Humor, und sei es auch nur der Galgenhumor, denn diese Sprache setzt eine Überlegenheit voraus auch da, wo der Mensch, der sie spricht, unterlegen ist. Die falsche Weihe, die allzugrosse Mission, der Ernst schaden der Bühne." Dürrenmatt fasst das Theater als ein genuin künstliches und komödiantisches Medium auf, auch wenn die Bühnenfiguren "oft nicht nur nichtkomisch, sondern tragisch" sind. Nur die verzwicktesten Parabeln und eindringlichsten Metaphern und die katastrophalsten Handlungsumschwünge schienen ihm am Platze.

Tragische Erschütterungen wie bei Schiller oder Shakespeare erachtete er als verlogen. Darin war er sich einig mit Brecht, nicht aber, was dessen Optimismus und Didaktik anbelangt. Dürrenmatt fehlte der Glaube ans Gute im Menschen, das es nur zu entwickeln gelte. Sein Ziel war die Hervorbringung einer Heiterkeit, die im Halse stecken bleibt und das sinnlose groteske Leben im Labyrinth gründlich verlacht. So besehen ist Dürrenmatt ein Kyniker, "ein einzelgängerischer Kauz und provozierender eigensinniger Moralist" (Sloterdijk), der sein Publikum hart vor den Kopf stösst und es ihm selbst überlässt, mit seinen Texten umzugehen.

Trotz aller Drastik sind seine Fiktionen indes "nicht als blosse Absurdität konzipiert", sondern sie orientieren sich immer am Möglichen. Sie entstammen der Unwirklichkeit, "in der sich die Wirklichkeit verliert". Und in der Tat scheinen Dürrenmatts literarische Welten durch alle Paradoxie und Groteske hindurch als ausreichend konkret und wiedererkennbar in der gegenwärtigen Wirklichkeit, somit mehr als blosses phantastisches Spiel zur Erheiterung. Zudem ist es Dürrenmatt hoch anzurechnen, dass er in seinen Stücken stets für hohe Lesbarkeit besorgt war.

Wie der Welt, so geschah auch ihm selbst: Dürrenmatt sparte nie mit bärbeissiger Selbstironie. "Aber vielleicht bin ich nur als etwas Komisches denkbar, als etwas Groteskes, als ein reiner Witz, als ein Witz an sich (...). Vielleicht bin ich das Gelächter an sich, das Gelächter ohne Grund, bin ich doch ohne Grund und damit ohne Sinn", sinniert er in seinem "Selbstgespräch" vor sich hin. Es ist dies freilich ein Gelächter, das einen sehr skeptischen Ernst in sich birgt, im Witz einen aufklärerischen Zweifel am Ertrag eben dieser Aufklärung verwahrt.

Dürrenmatt dachte Welten, ohne die bestehende zu erlösen. Wie gesehen, geht dies nicht ohne Probleme und Widersprüche ab, die der Autor sehr wohl erkannt und reflektiert hat. Obgleich er möglichst Distanz hält, bleibt er dennoch stets Teil der beobachteten Machtsysteme. Einen Ausweg aus diesem Dilemma hat er in der konsequenten Unkonventionalität gesucht, was ihn freilich der Gefahr einer heiteren Leichtgewichtigkeit aussetzte. Im Narrengewand analysiert er die Welt wie sie ist, und niemand nimmt ihn ernst. Wider besseres Wissen und unter Missachtung ihres ernsthafteren Kerns werden sie allzu gerne als Kalauer rezipiert - darin nochmals Frischs Werk entgegengesetzt. Allem Anschein nach sind sie prädestiniert, ins Allgemein-Menschliche enthoben zu werden und nur immer die Dummheit oder Durchtriebenheit "der andern" darzustellen. Güllen, Endstation: Alle nicken pflichtschuldigst und fühlen sich nicht angesprochen. So droht er in die selbst gestellte Falle der dramatischen Paradoxie zu fallen: man applaudiert ihm und lässt doch nichts anbrennen im tagespolitischen Geschäft. Frisch machte sich unmissverständlicher bemerkbar, dafür ohne Gelächter.

In den Figuren der witzelnden Orakelpriesterin Panychis und dem vernünftigen Seher Teiresias hat Dürrenmatt in "Das Sterben der Pythia" vielleicht auch diesen Antagonismus zwischen ihm und Frisch beschrieben. Souverän und witzig über philosophische Themen gebietend, vermittelt Dürrenmatt das Bild eines Geistesaristokraten, dem gegenüber Frisch sich (zu Unrecht) als verbissen und vergeblich streitender, verletzlicher "Geistesprolet" ausnimmt. Ihm verzeiht man nichts, Dürrenmatt beinahe alles.

Dürrenmatt war beileibe nie ein einfacher Autor, darüber kann nichts hinwegtäuschen, vielmehr ein streitlustiger Dickkopf, ein Querdenker und ein ausgesprochen vielseitiger Autor, dessen Gesamtwerk sich auszeichnet durch eine ihm eigene abgründige Skurrilität und einen spielerischen Hang sowohl zum Trivialen wie zur Philosophie. Seine Auflehnung ist eine kynisch-philosophische, grundsätzliche, mit allen ihren Tücken.

Beat Mazenauer

 

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