Curriculum eines Grabräubers
Geschichten aus Viterbo und anderswo
Nach fünf Romanen legt Dante Andrea
Franzetti nun einen Band mit Erzählungen vor. Skurrile
Geschichten, wie sie das Leben manchmal schreibt, aber nur,
wenn es die gewohnten Bahnen verlässt.
Im Dom von Viterbo wüten die Teufel.
Das Fresko des Cortoneser Meisters Luca Signorelli gilt als
ein Meisterwerk insbesondere, was die expressive Darstellung
des apokalyptischen Geschehens anbelangt. Die Menschen werden
von allen Teufeln gejagt und gequält.
Der Stundenschläger erzählt
Der mechanische Stundenschläger
im Glockenwerk des Viterbeser Doms hat vor 500 Jahren beobachtet,
wie der Mastro Luca den Platz vor dem Dom mit seinen Skizzen
vermessen hat. Er ist zur Pestzeit in die Stadt gekommen,
doch in der neuen Kapelle würde er nicht diese Leiden
abbilden, sondern "eure Angst vor euch selbst".
Die Pest ist nicht so schlimm, sie bringt wenigstens Frieden.
In der letzten, der schönsten
Erzählung rekapituliert Dante Andrea Franzetti die Geschichte
der mittelitalienischen Stadt Viterbo. Szenen von der Renaissance
bis zu Mussolini erzählt der Glockenmann von seiner hohen
Warte herab. Wehe, wem er die Stunde schlägt.
Monster und Menschen
Monster, Teufel und Ungeheuer werden
aber nicht nur in Signorellis Fresko zitiert. Der ganze Erzählband
ist von ihnen bevölkert. Juan Arnaldo Tristo, ein Dichter,
der sich in seinen letzten Lebensjahren in die Gegend von
Viterbo zurückgezogen hat und sich hier mit einer Dorf-Lolita
vergnügt, ist ebenso ein kleines Ungeheuer wie die Figuren
in seiner Erzählung "Mostri".
Auf einer Reise nach Deutschland wird
der Künstler Carandini mit den Teufeln der Vergangenheit,
mit seiner Gefangenschaft im KZ Buchenwald, konfrontiert.
Dieser kurze Text unter der Überschrift "Äpfel"
berührt sowohl durch sein Thema wie dessen konzentrierte
Durchführung.
Formale Variationen
Schon die Romane Franzettis haben sich
durch beinahe novellistische Sparsamkeit ausgezeichnet. In
diesem Band Konzentriert er seine Geschichten noch stärker
: auf ein Curriculum in der Titelerzählung, Aperçus
aus der Selbstmordstatistik, resümierende Tagebuchnotate
oder eine anekdotische Kalendergeschichte.
Formal variieren die einzelnen Erzählungen
demnach stark, doch nicht alle sind in gleichem Masse geglückt
wie die erwähnten. Franzetti erzählt zwar knapp
und sparsam, doch zugleich experimentiert er mit komplexen
Erzählstrukturen. Dies hat zuweilen den ungünstigen
Effekt, dass die Spannung der kurzen Geschichte zu stark verrätselt
wird.
Erzählerische Schwächen
So etwa geht der Aufkärung, die
uns ein Ost-West-Spion gibt, die Stringenz des politischen
Thrillers im Kleinformat ab. Es wird nicht recht einsichtig,
worin der eigentliche Plot besteht. Andererseits wirken die
Auszüge aus der Selbstmordstatistik bloss aneinandergereiht.
Am schönsten ist die dramaturgische
Irritation umgesetzt in "Robinsons Tagebuch". Ein
Mann, der den negativen Befund einer ärztlichen Untersuchung
erwartet, protokolliert den Ablauf seiner letzten Tage, während
rings um sein Haus das Wasser steigt. Wahn oder Wirklichkeit
? Die Frage bleibt ungelöst, das Mysterium auch erzählerisch
gewahrt.
So hinterlässt dieser Band
einen etwas zwiespältigen Eindruck, formal wie stilistisch.
Erzählerische Komplexität und Verdichtung gehen
nur teilweise auf. Wo sie gelingen, hat sich das Wagnis gelohnt.
Notiz : Dante Andrea Franzetti, "Curriculum
eines Grabräubers". Erzählungen. Nagel &
Kimche, Zürich 2000. 176 Seiten, 34 Franken.
Beat Mazenauer
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