"Irinas Buch der leichtfertigen Liebe"

Zwischen Experiment und Klischee

Tim Krohn ist immer für eine Überraschung gut. Sein neues Buch bestätigt seine Liebe zum Experiment. Von Irina hat er sich zu einer frivolen Liebesgeschichte animieren lassen.

Die "Quatemberkinder" Melk und Vreneli taten sich mit dem Geständnis ihrer Liebe schwer, um so stärker, länger hielt sie dafür. Dunja, Ira und Ewa geht dieses Geständnis etwas leichtfertiger von den Lippen, dafür fehlt ihnen der feste Glaube an die Unverbrüchlichkeit der Liebe.

Eine frivole Liebesgeschichte

Tim Krohns neues Buch handelt also von einem grossen Gefühl in einer leichtfertigen Variation, wie der Untertitel besagt. Dunja und Ira leben aus beruflichen Gründen für eine Weile getrennt. Sie müht sich in Paris mit einer Übersetzung aus dem Russischen ins Französische ab, er sucht in Moskau Geldgeber für Filmprojekte.

Die Distanz scheint ihrer Beziehung gut zu bekommen. Von den alten Streitereien jedenfalls ist in Dunjas zärtlichem Fawbrief an Ira nichts zu spüren. Unglücklich nur, dass er irrtümlich an die falsche Adresse, zu Ewa nach Svärdsjö in Schweden gelangt. Ewa ist eine verflossene platonische Liebe von Ira.

Ohne Beständigkeit

So nehmen die Missverständnisse ihren Lauf. Wer liebt wen und mit welcher Beständigkeit ? Die Frage verhallt im Ungewissen, bleibt ohne Antwort. Dunja und Ira werden wieder an ihre strapaziösen Zeiten erinnert. Ewa, die sich ihrem Bruch mit Ira in Einsamkeit und Selbstbescheidung zurückgezogen hat, greift wegen des fehlgeleiteten Briefs wieder ein.

Zuerst ruft sie Ira in Moskau an. Dann besucht sie Dunja in Paris, was nur Peinlichkeit heraufbeschwört. Schliesslich wird sie von Ira in ihrem schwedischen Nest besucht. Alles ist wieder offen in diesem Spiel der Wahlverwandtschaften.

"Du bist dran"

"Irinas Buch der leichtfertigen Liebe" ist derart aber nur unzureichend beschrieben. Die angedeuteten Liebeshändel unterliegen weniger einer erzählten Eigendynamik als einer speziellen Erzählstruktur. Tim Krohn experimetiert einmal mehr mit der Form des Erzählens.

Herausgefordert durch die "scharfzüngige (und überhaupt unverschämt reizvolle) Exilrussin" Irina Jurijewna lässt er sich auf ein literarisches Spiel ein. Während insgesamt 19 Nächten schreibt er an einer Geschichte, deren Verlauf durch ihre Interventionen über Fax mitbestimmt wird.

Irina kritisiert das Geschriebene oder wünscht sich eine Begebenheit, und Krohn macht sich an die Arbeit. Herausgekommen ist aus dieser Versuchsanlage eine frivole Liebesgeschichte, die freilich ihren Hang zum literarischen Klischee unter Kitschverdacht nicht verhehlen kann.

Literarische Spielerei

Auch wenn sich Irina am Ende über die "ihre" Geschichte freut, erweist sich deren Leichtigkeit doch eher als Leichtgewichtigkeit. "Irinas Buch der leichtertigen Liebe" ist eine am Ende unbefriedigende Mixtur aus Experiment und Groschenroman.

Zwar besteht Tim Krohn die Probe der Spontaneität mit Anstand und einmal mehr beweist er sprachliche Fertigkeit. Zugleich aber vermag er den Eindruck nicht zu entkräften, dass sich seine Experimentierfreude hier in einer literarischen Spielerei verausgabt.

Notiz : Tim Krohn, "Irinas Buch der leichtfertigen Liebe".
Eichborn Verlag, Frankfurt 2000. 174 Seiten, Fr. 29.50. Theater Neumarkt, 18. Sept., 20.30: Lesepremiere.

Beat Mazenauer

 

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