"Bald bin ich
dort angelangt, wo ich eigentlich als Zwanzigjähriger sein
wollte"
Macht und Freiheit, Kreativität und
Wahrheit -lustvoll verpackt in Stefan Marcus Lehners "Die
Reise nach Allotria"
"Ich will wissen, was Leben ist."
Sagte sich vor Jahren ein junger Mann und studierte Naturwissenschaften.
"Das Wissen um Naturgesetze alleine genügt nicht",
stellte er einige Jahre später fest. Und der Gymnasiallehrer
erblickte schliesslich das Scheinwerferlicht des Fernsehstudios.
"Ein Ist-Zustand befriedigt auf die Dauer nicht",
gestand er sich wiederum einige Jahre später ein. Der
Mann liess Fernsehen und Leutschenbach hinter sich und wandte
sich dem Schreiben zu.
"Ich bleibe ein Suchender"
"Endlich hole ich mich selber
ein", dies der Satz, den besagter Mann jetzt seinem Buch-Erstling
vorangestellt hat: "Die Reise nach Allotria" nennt
sich die eine Groteske, geschrieben von Stefan Marcus Lehner,
dem ehemaligen Lehrer und Fernsehmann.
"Bald bin ich dort angelangt,
wo ich eigentlich als Zwanzigjähriger sein wollte",
meint der Oberwalliser Autor. Und fügt sofort hinzu,
dass er trotzdem "ein Suchender bleiben" werde.
Macht und Freiheit, Kreativität
und Wahrheit - dies die Begriffe, die er in seiner Groteske
auf lustvolle Art hinterfragt, um- und niedergeschrieben hat.
Entstanden ist so ein Buch, das ebenso viel Lust wie auch
Bedürfnis offenlegt: Lust am Erzählen, Bedürfnis
zur Weitergabe. Und nicht zuletzt wartet dieses Buch mit einer
guten Portion Zeitkritik auf -wenn man das Ganze auch zwischen
den Zeilen liest.
Um was es in "Die Reise nach Allotria"
geht, hier eine Kürzestzusammenfassung: Tricky John wirkt
erfolgreich als TV-Journalist. Was ihm zur Belohnung eine
Reise nach Allotria einbringt. Allotria, das bedeutet Traumziel
für alle Kreativen. Doch auch auf Allotria gilt: Schein
hat längst schon Sein ersetzt. Es menschelt also gehörig
auf dieser Trauminsel. Was Tricky John schnell einmal an eigener
Haut erfährt. Der Fernsehmann -als Macher stets mächtig-
schliesst Bekanntschaft mit Ohnmacht. Erfährt, dass Kreativität
"made in Allotria" keine Neugier verträgt.
Was ihn in widrige Realitäten purzeln lässt. Für
Tricky John geht es schnell einmal nur noch ums Entkommen
aus totalitärer und korrupter Gesellschaft. Also ums
nackte Überleben. Und damit ums Ankommen bei sich selbst.
Die Medien zeichnen sich in allererster
Linie aus durch ihre Verlogenheit -ein erster Eindruck nach
der Lektüre von "Allotria". Wahrheit ist nicht
immer und überall wahr, oder Stefan Marcus Lehner? "Medienarbeit
heisst heute stetes Auswählen. Was mit sich bringt, dass
wir uns Wahrheiten vorgaukeln lassen. Kurz und
bündig: Ich stelle fest, dass als Wahrheit verkauft,
was als bloss Wahrgenommenes weitergegeben wird." Wahrnehmung
ist subjektiv, also nie allgemeingültig? "Sicher.
Unterstreicht zum Beispiel jemand seine Behauptung mit ich
hab das selbst im Fernsehen gesehen, will er damit den
Wahrheitsgehalt seiner Behauptung unterstreichen. Was allerdings
nichts über wahr oder nicht wahr, sondern eben nur etwas
über Wahrnehmung aussagt."
In "Allotria" beschrieben
wird zum Beispiel ein Papstbesuch. Eine totale Inszenierung,
selbstverständlich ohne echten Papst. Die Allotrianer
haben trotzdem ihre helle Freude daran.
"Quer zur gängigen Logik denken
ist kreativ"
Spass an Fälschung -eine Parallele
zu unseren Zeiten? Dazu Stefan Marcus Lehner: "Es gehört
doch zur Tragik unserer Zeit, dass Leute etwas nicht nur als
Wahrheit auffassen, sondern diese ihre Wahrheit erst noch
andern aufzwingen wollen. So treibt letztendlich Intoleranz
ihre schlimmsten Blüten." Und was ist für Sie
wahr? "Ich kann heute eingestehen, dass ich mir über
dieses oder jenes nicht sicher bin." Agnostiker geworden?
"Sagen wir dem einmal so: Es geht in diese Richtung."
Allotria verkörpert "Insel
der Kreativität". Was hier jedoch Diktatur der Kreativen
bedeutet. Weil Freiheit fehlt, Macht dirigiert, Diktatur regiert.
Was hält denn Autor Stefan Marcus Lehner von jener "Kreativitäts-Wütigkeit",
die durch unseren Zeitgeist rast und stolpert? "Sich
selber auf die Schultern zu klopfen und sich gegenseitig zu
Wichtigkeiten hinaufwürdigen -all dies gehört heutzutage
zu jenen Eigenschaften, die auch in Kreativitäts-Zirkeln
gang und gäbe sind. Was zur Folge hat, dass sich bloss
im Kreise dreht, was vorwärts führen sollte."
Was macht etwas denn kreativ? "Im Prinzip hat Kreativität
etwas mit Lebensfähigkeit zu tun. Kreativ für mich
ist, was neue Formen von Überlebenswillen mit sich bringt.
Kreativ ist, wer anders als der Mainstream denkt. Also seinen
Gedanken quer zur gängigen Logik freien Lauf lässt."
Und wo bleibt da das Element des Sinnlichen,
das in Ihrem Buch immer wieder durchschimmert? "Das Kombinieren
von Sinnen gehört zu Kreativität. Die dem Menschen
gegebenen Sinne voll zu nutzen bildet Voraussetzung für
Kreativität."
Unfreiheit macht Kreativität unmöglich
-dies ein weiter Gedankengang in "Allotria". "Jedes
geistige Korsett tötet Kreativität. Was mir denn
auch jegliche Ideologie verdächtig und damit inakzeptabel
macht", bringt Stefan Marcus Lehner seine Meinung auf
den Punkt.
"Das Missionieren liegt mir nicht"
Doch macht Macht nicht frei? "Im
Gegenteil, Macht engt Freiheit ein. Oder glauben Sie etwa,
ein Spitzenmanager geniesse Freiheit? Auch diese Leute müssen
doch funktionieren, haben eine gewisse Rolle zu spielen."
Entpuppt sich da Stefan Marcus Lehner
nicht doch als Moralist und Missionar? "Um Gottes Willen,
nur das nicht. Missionieren liegt mir ebensowenig wie der
Gebrauch des moralinsauren Zeigefingers. Was mein Buch angeht,
gilt die Devise: Nimm es, lies es und schau, ob es für
dich stimmt."
Sich selbst bezeichnet Stefan Marcus
Lehner als "Augenmensch". Was in seinem Buch denn
auch zum Tragen kommt. Hier dominieren Bilder, hier hat ein
Schriftsteller "in Bildern geschrieben". Was übrigens
auch aus dem farbig-dynamischen Umschlag sowie der gesamten
Buchgestaltung ersichtlich wird. Hatte der Autor dort seine
Finger im Spiel? "Ich konnte bei der gesamten Gestaltung
des Buches mitreden. Was für einen Autor wohl nicht selbstverständlich,
aber um so erfreulicher ist."
In welcher Rolle sich der Autor denn
eigentlich sieht? "Also ich bin beileibe nicht ein Schriftsteller,
der sich im Leiden krümmt und sich über den schlimmen
Gang der unseligen Zeiten beklagt. Ich habe schlicht und einfach
Freude, Geschichten zu erzählen, Geschichten weiterzugeben."
Am kommenden Donnerstag abend geht
nun die Buch-Vernissage von "Die Reise nach Allotria"
über die Bühne. Nervös, Stefan Marcus Lehner?
"Sich ärgern tut gut"
"Nein, ich freue mich darauf.
Hoffentlich kommen viele Leute. Der Anlass ist öffentlich,
eingeladen sind alle: Freunde, Bekannte und selbstverständlich
auch Neugierige." Und was erhoffen Sie sich von dieser
Vernissage? "Ich warte mit Freuden auf Echos auf meine
Arbeit. Ob positiv oder negativ -spielt keine Rolle. Weil
ich weiss, dass mich nur Anregung und Kritik vorwärts
bringen."
Und warum soll ich mir unter dem Riesenhaufen
von literarischen Neuerscheinungen ausgerechnet "Die
Reise nach Allotria" von Stefan Marcus Lehner herauspicken
-dies eine mit Bosheit gespickte Schlussfrage an den Autor.
"Eigenlob stinkt doch immer", lacht Stefan Marcus
Lehner. Trotzdem -eine Antwort bitte: "Wenn's sein muss:
Lies das Buch, komm mit auf die Reise nach Allotria, lass
dich entführen in diese verrückte Stadt. Du wirst
viel Unerwartetes erleben, wirst Spass haben, und falls dich
etwas ärgern sollte -auch das tut gut. Du wirst etwas
zu erzählen haben nach dieser Reise."
Lothar Berchtold
"Die Reise nach Allotria", eine
Groteske von Stefan Marcus Lehner, 112 Seiten, erschienen
beim Rotten Verlag, Visp.
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le 01.08.98
Dernière mise à jour le 30.07.02
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