Bilder von bezaubernder Poesie : Eine Erzählung des Dichters Werner Lutz

„Das Haus auf einen Hügelrücken gesetzt“, und sich selbst da hinein,
„mehr als tausend Meter über einem fernen Meer“.

Dieses abgelegene Domizil liegt gerade recht, um in Einsamkeit Abstand von einer verlorenen Liebe zu gewinnen. Es bietet keinerlei Komfort ausser der Nähe zu Wald und Himmel. „Am Türrahmen war ein Feldweg festgebunden“, der hinunter führt zu den verstreut lebenden Dörflern, für die der Eremit auf dem Hügel ein Kuriosum, ein Fremder, womöglich Anlass zu Spott und Gerüchten ist. Bei ihrem Tagewerk, seit Jahrhunderten ausgeführt, lassen sie sich durch ihn nicht stören. So bleiben die Begegnungen zwischen dem Hügelbewohner und den Ansässigen spärlich, und meist sind es die Armenhäusler und Idioten unter ihnen, die seine Wege kreuzen.

Der Mann auf dem Hügel bleibt allein, im Zwiegespräch mit sich selbst und mit den elementaren Mächten, die um sein Haus säuseln und tosen. Oft wird er durch „die tiefschwarze, gezackte Hokusaiwelle überspült“, hin und wieder aber hellt sich die Stimmung auch auf und die Einsamkeit verflüchtigt sich. In beiden dieser Mo­dalitäten gelingen dem schreibenden Ich unverschämt schöne Bilder von unerhörter Luzidität: klingende Bilder, die den Dichter verraten, auch wenn er Prosa schreibt.

Werner Lutz’ Erzählung „Hügelzeiten“ ist ein literarisches Kleinod. Einer verlässt die Stadt, um in der Abgeschiedenheit seine Trauer zu sammeln. Er ist ganz Ohr, die Antenne nach innen gerichtet, doch hin und wieder vermag er seine Sinne unverstellt nach aussen zu öffnen und mit dem Blick des Traumsehers zu erkennen, was ihn umgibt. Die feine Wolkenspur des Flugzeuges am Himmel, der tobende Sturm, die Bergler am Fusse des Hügels. Werner Lutz sucht kein einigendes Band für seine Wahrnehmungen und Empfindungen, er belässt ihnen ihren Eigensinn. Die beschwerliche Reise in die innern Abgründe währt eine gute Weile, dann meldet sich die andere Stimme wieder: „Ich hatte es satt, dieses uferlose, kontemplative Leben, das Insichversinken, die ewige Nabelschau.“

Indem die Erzählung im Präteritum geschrieben ist, gibt der Autor von Beginn weg zu verstehen, dass der Erzähler den Weg zurück ins Leben wieder gefunden hat. Doch beinahe wäre er erfroren, wie jene, die sich winternächtens in den Schnee legen, um nicht mehr aufzuwachen. „Man brauche nur die Geretteten zu fragen“, schliessen seine Aufzeichnungen, die allein wissen um das mögliche Glück eines solchen Todes. Doch die Geretteten wissen auch, wie es in den Abgründen der eigenen Seele aussehen kann.

Hügelzeiten. Erzählung. Im Waldgut Verlag, Frauenfeld 2000. 82 S., 28 Fr.

Beat Mazenauer

 

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