Kurt Marti: "kleine zeitrevue "
Verse, die auf einen zukommenZürich (sfd) Mit seinem neuen Gedichtband "kleine zeitrevue" bietet Kurt Marti etwas ebenso Erstaunliches wie Naheliegendes: eine poetische Rückschau auf die vergangenen sieben Jahrzehnte.
In drei Abteilungen gegliedert enthält die schmale Sammlung 41 "erzählgedichte" von bemerkenswerter Frische und und Lebendigkeit, Verse, die auf einen zukommen.
Schonraum Schweiz
Der 1921 geborene Autor bekennt im Eingangsgedicht "zufall glücksfall": "was er 1933 in der zeitung zu lesen/ im radio zu hören bekam/ von deutschem taumel und aufmarsch/ erregte auch den knaben in bern" ( ... ) "der zufall seiner geburt und jugend/ in einem misstrauischen kleinstaat/ bewahrte den zwölfjährigen aber/ vor der grossen Verblendung".
Solcherart differenzierende, nie unverbindlich wirkende Beurteilungen der Lage bestimmen weitgehend Akzentsetzungen und Sprachgestus der schlanken, durch unaufdringliche Eleganz bestechende Verse.
Destruktiver Fleiss
Beinahe mehr noch als in seinen früheren Gedichten bedient der Autor sich ebenso geschliffener wie subtiler Instrumente der Kritik. Es ist die Kritik an einem Zeitalter, das ohne Scheu ein heilloses genannt werden darf. Die Spur der Wirrnisse durchzieht nahezu alle Lebensbereiche, und wird von Marti in poetischen Bildern von entsprechend dunkler Tönung nachgezeichnet.
Von den fünfziger Jahren, einer Phase verhängnisvoll falscher Weichenstellungen, wird (im Gedicht "fünfziger syndrom") gesagt "und kaum/ war das kleine land/ dem grossen krieg/ ohne zerstörung entkommen/ begannen seine bürger/ beflügelt vom fleiss/ der ihnen schon immer nachgesagt wurde/ friedlich und freudig/ mit der zerstörung/ des landes"
Lapidar-luzid
Immer wieder gelingt es Kurt Marti, Einsichten lapidar auf den Punkt zu bringen. Es sind Einsichten, die sich aufdrängen angesichts de Zerstörung des Lebensraums, der Arroganz der Macht, der zunehmenden Unbehaustheit, der bedenklichen Hilf - und Orientierungslosigkeit mancher Politiker, Wirtschaftskapitäne und Wissenschaftler.
Kritik will sich bei der Lektüre der Gedichte kaum einstellen. Allenfalls vereinzelte Vorbehalte - etwa, wenn von Hans Carossa oder Rudolf G. Binding in einer Weise gesprochen wird, die den Autoren kaum gerecht wird.
Fraglose Stille
Gesamthaft genommen verheisst die "kleine zeitrevue" eine lohnenswerte, weiterführende Lektüre. Im Schlusstück "was wird kommen?" enden die darin enthaltenen "abendgedanken" mit einem der wohl schönsten und tiefsten Sätzen des Buches: "kommen wird eine stille/ in der alle fragen verstummt sind".
Wenn nicht alles täuscht, schliesst der Hinweis auf diese Stille den ausgesprochenen Bezug auf eine höhere Wirklichkeit des Ort- und Zeitlosen mit ein. Auf entsprechendes verweist gleichnishaft der Übergang vom Ästhetischen zum Metaphysischen, wie er etwa im an Hölderlin gemahnenden Poem "wo?" offenbar wird.
Notiz: Kurt Marti: "kleine zeitrevue. erzählgedichte" . Nagel&Kimche Verlag Zürich 1999. 72 Seiten, 28 Franken.
Hanns Schaub