Zwei Bücher hat Ruth Schweikert bisher geschrieben. Zwei Bücher nur, doch zwei, die überzeugt haben.

Verboten viel Glück gewünscht
Erzählungenund ein Roman von Ruth Schweikert

Ihren Debütroman "Augen zu" lässt sie mit einem Feuerwerk beginnen, mit Zeilen von grosser Wucht:

"Als Kind wünschte ich mir an manchen Tagen schon frühmorgens dringend irgend etwas, das nicht Milch hiesse und Butter und das täglich Brot gib uns heute. Und es reichte auch nirgends hin, noch fünf Minuten länger im Bett zu bleiben und mir meine Haare gelockt vorzustellen."

Unter der Überschrift "Vorausgesetzt" wird auf knappen eineinhalb Seiten ein Frauenleben in wenige, schlagende Sätze gestanzt. Die verzweifelte Suche nach "verboten viel Glück" fällt unausweichlich zurück ins verfluchte Räderwerk des Alltags.

Ruth Schweikert, 1965 in Lörrach geboren, in Aarau aufgewachsen und mit ihrer Familie heute in Zürich lebend, hat vier Jahre zugewartet, bis sie ihrem Erstlingserfolg mit "Erdnüsse. Totschlagen" diesen Roman hat folgen lassen. Die Wartezeit hat sich gelohnt. Doch beginnen wir am Anfang.

1994 brillierte Ruth Schweikert am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt mit einer ausgezeichneten Lesung: mit einer der insgesamt sieben Erzählungen, die im Band "Erdnüsse. Totschlagen" erschienen sind. Sieben Geschichten von heimat- und ziellosen Frauen, Gefangenen zwischen dem Wunsch nach Glück und den täglichen Beziehungs-Katastrophen.

"Erdnüsse. Totschlagen"

Die Erfahrung von befreiender Liebe und ekstatischer Geborgenheit bleibt Ruth Schweikerts Frauen versagt. Vielmehr waltet in all ihren Geschichten eine lastende Dumpfheit, die sich unentwirrbar aus Resignation, einsamer Verzweiflung und letzten Hoffnungsresten zusammenstückelt. Keine Haltepunkte nirgends, selbst familiäre oder eheliche Verbundenheiten sind bloss Gerüchte vom Hörensagen. Krampfhaft mühen sich Eva, Daniela oder Esther mit ihrem Dasein ab und erinnern sich vage der fernen wie fremden Väter ihrer Kinder. Auch die Eltern, Portalfiguren des Lebens, halten die Tore vor ihnen geschlossen.

So beschreiben Schweikerts Geschichten Liebe und Sexualität als traurigen Gnadenakt, dessen Früchte man am liebsten schnell vergisst und der Frau überlässt. "Damit hatte diese Liebe ihren Zweck erfüllt, und sie endete taubstumm", lautet der Grundtenor solcher Entfremdung.

Wie ohnmächtig das Leben verlebt wird, schildert zum Beispiel "Totschlagen". Eine 38jährige Frau, alleinerziehende Mutter, beileibe keine Pin-up-Schönheit, hat ihre Stelle als Verkäuferin gekündigt, da ihr sonst gekündigt worden wäre. Der letzte Arbeitstag ist dem Scheitern, der Erinnerung an ihre veflossenen Männer und "ach ja" das Kind gewidmet. Ende, aus: "man sollte sie alle totschlagen, denkt sie". Die Lesenden aber wissen, dass es nie soweit kommt, denn die Lethargie hat sich tief eingefressen und verhindert jeden Kraftakt.

Immer wieder scheint in diesen Geschichten insgeheim ein schicksalshafter "Zwang zur Wiederholung" zu walten. Das Scheitern wird von den Müttern an die Töchter weitergegeben. Mit bemerkenswertem Geschick findet sich dieser gesellschaftliche Stillstand in der Erzählung "Port Bou" ausgearbeitet.

Sie ist raffiniert mehrschichtig komponiert und wechselt permanent die Ebenen. Zwei Frauen selben Namens: Roswitha Hauser, Mutter und Tochter, teilen sich in die Hauptrolle. Zwischen ihnen knüpft Ruth Schweikert verfängliche Bande familiärer wie weiblicher Kontinuität ohne Perspektive. Unter diese Erzählebene gelegt und zugleich feinsinnig mit ihr verknüpft finden sich Reflexionen über "Schicksal und Charakter". Sie entstammen dem gleichnamigen Essay von Walter Benjamin, der 1940 auf der Flucht vor den Nazis im spanischen Grenzort Port Bou Selbstmord verübt hat und nun der Tochter zufällig als Projektionsfigur des eigenen Scheiterns dient. Auf diesem gedanklichen Fundament spielt das Leben mit Roswitha, charakterlos: Träume und Enttäuschungen, ein bisschen sexuelle Belästigung - alles ganz normal und von Ruth Schweikert dicht und klug erzählt.

Auch wenn die Autorin solche Dichte nicht in allen Texten einzulösen vermag, wer eine Erzählung wie "Port Bou" schreibt, der sind auch Mängel zu verzeihen. Ab und an schleichen sich stilistische Ungereimtheiten ein oder wirkt die Charakterisierung der Figuren allzu ungelenk und aufgesetzt. Schliesslich überwiegen aber die düstere Klarheit und eigentümliche Leichtigkeit, mit der Schweikert von den Schattseiten der Emanzipation erzählt, deren Folgen die Frauen abzugelten haben.

"Augen zu"

Ruth Schweikert hat sich durch diesen Erfolg nicht provozieren lassen, schnell ein zweites Buch vorzulegen. Sie hat sich Zeit gelassen, um nach vier Jahren schliesslich mit einem starken Stück reifer Prosa aufzuwarten, das sich wohltuend abhebt von den medial-literarischen Luftblasen à la Zoe Jenny, Cavelty oder Capus.

Dabei erzählt sie im Roman "Augen zu" auf den ersten Blick kaum Neues. Das Epizentrum ist dasselbe geblieben wie in den früheren Erzählungen: die weibliche Gefangenschaft zwischen Glückswunsch und Beziehungskatastrophen beziehungsweise zwischen Mutterglück, Vaterlosigkeit und Töchternot. Die Liebe ist bei Schweikert eine Macht, die das Gute will und dabei allzu oft bloss Unglück schafft.

"Augen zu" erzählt von Aleks und Raoul, die nach lebenslanger Suche zueinander gefunden haben. Seinetwegen hat sich Aleks von Silvio getrennt, der ihr auch nicht mehr Glück gebracht hat als Philipp zuvor, den Vater ihrer beiden Söhne. Während Raoul Felix Lieben "weltweit auf der Suche war nach seiner verborgenen Herkunft und einer möglichen Bestimmung seiner Existenz, besass Aleks von beidem zuviel". Zuviel an aufgedrängter Identität, wie Schweikert sich auf ein Zitat der Künstlerin Louise Bourgeois bezieht. An ihrem 30. Geburtstag wirbeln Aleks die Verwundungen des Lebens und der Liebe im Kopf durcheinander, bevor sie mit Raoul ein Wunschkind zeugt, das namenlos äund vor seiner Geburt" sterben wird.

Im Alter von elf Jahren verkürzte sie ihren Vornamen von Alexandra Martina zu Aleks Martin; in dem Moment, wo sie, "mit den sichtbar aufgeweichten Brustwarzen, nicht mehr als feingliedriger Junge durch die Männerblicke in der kleinstädtischen Badeanstalt am Fluss gehen konnte". Sie wollte ein Junge sein, keine Frau werden und ist unausweichlich doch eine geworden, mit zwei Kindern und dem Gefühl einer unermesslichen Ohnmacht.

Die Leben zweier Unsteter treffen hier aufeinander. Der Journalist Raoul mit seinen jüdischen Wurzeln und die Malerin Aleks, die aus scheinbar genormten Verhältnissen stammt. Ihre Mutter Doris musste immerhin 64 Jahre alt werden, bis "sie endlich endlich eingetreten war, diese kleine, banale Katastrophe, verlassen zu werden". Dafür wird sie vom Alkohol niedergestreckt, in dem sie ihre Kriegserinnerungen zu ertränken versucht. Aus dieser Enge hat Aleks ein Leben lang auszubrechen versucht, "ohne irgendwo eine Spur zu hinterlassen".

Wie schon im Erzählband "Erdnüsse. Totschlagen" bedient sich Schweikert wiederum einer unverblümten Direktheit, die indes nie ins Plakative abgleitet. Sie seziert mit feinem Besteck: so lakonisch und schonungslos sachlich wie eine Chirurgin, zugleich so betroffen Anteil nehmend wie das Liebesopfer auf dem Operationstisch. Mit wenigen Strichen gelingt es ihr immer wieder, familiäre Verhältnisse und Beziehungsmuster sprachlich aufzureissen. Lakonische Beschreibungen und bitterschöne Bilder bezeugen eindrücklich die Ausgereiftheit ihrer Prosa. Dafür wird die Chronologie laufend durchbrochen, Personen tauchen scheinbar willkürlich auf und wieder ab. Vorschnell liesse sich der Autorin diesbezüglich ein allzu sorgloser Umgang mit der Erzähldramaturgie vorwerfen, würde diese oberflächliche Brüchigkeit des Textes nicht unterschwellig durch einen Erzählsog zusammengehalten, der spürbar getragen ist von einer fein ausbalancierten inneren Logik.

Indem Ruth Schweikert verschiedene Erzählebenen miteinander verknüpft und dabei auch politische Begleittöne anklingen lässt, entgeht sie souverän der Gefahr des nabelschauenden Seelenschmetters. Frappierend schildert sie die Mutter, wie sie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hilflos im Keller eines zerbombten Hauses sitzt. Eher belustigend dagegen wirkt der Besuch Alexander Heinrichs, der auf Anraten seiner Mutter 1953 in Prag eine entfernte Verwandte in den Westen freiheiraten soll. Doch darüber legt sich immer wieder der Alltagstrott. Die verwirrende Erzählstruktur spiegelt die existentielle Unruhe und die chaotischen Wirren der Liebes- wie der gesellschaftlichen Verhältnisse: Alleinerziehende Mütter, vaterlose Kinder, Beziehungen, die an Erwartungen und Illusionen zerbrechen.

Die Liebe ist eine weltliche Macht. Keine reine Privatsache, sondern, wie Freud betont hat, als "soziales Phänomen" zu würdigen. Mit bitterem und auch ironischem Nachhall erzählt "Augen zu" von dieser Liebe, wie sie ist. Nur am Schluss erlaubt sich Ruth Schweikert - vor dem Epitaph auf das ungeborene Kind - eine trotzige, versöhnliche Zuversicht. Mag das Karussell weiter drehen.

ERDNÜSSE. TOTSCHLAGEN, ERZÄHLUNGEN Rotpunktverlag, Zürich, 1994, 140 Seiten
AUGEN ZU. ROMAN Ammann Verlag, Zürich 1998, 160 Seiten

Beat Mazenauer

 

www.culturactif.ch