Der Boxer mit dem Glaskinn

Marianne Fehrs Meienberg-Biographie. Das akribisch recherchierte, sachliche Porträt einer streitbaren wie umstrittenen Persönlichkeit.

Einen Schreiber wie Niklaus Meienberg möchte es heute zweifellos gut leiden. Einen, der mit polemisch zugespitzter Feder gegen die Logik der Globalisierung anfechten würde. Vergeblich wohl, doch eine scheinbare Aussichtslosigkeit hat Meienberg nie davon abgehalten, sich lauthals zur Sprache zu melden. Allerdings auch um den Preis einer gewissen Selbstzermürbung.

„Ich habe immer weniger äussere und immer mehr innere Schwierigkeiten. Vielleicht geht es auf die Dauer nicht, als freier Journalist zu leben.“ Dies schrieb Meienberg im Herbst 1991, zwei Jahre vor seinem Freitod. Mit einem unnachahmlichen, barocken Furor hatte er ein Vierteljahrhundert lang über „Schandtaten“ und gegen die „Ohnmacht der Intellektuellen“ geschrieben. Der Kampf eines Einzelnen, dem sich zuweilen auch seine Freunde nicht entziehen konnten.

Niklaus Meienberg war ebenso streitbar wie umstritten. Für seine Auffassung von Journalismus bedurfte es von beidem. Mut zum Widerspruch und zugleich eine Ungebärdigkeit, die auch vor Verunglimpfungen nicht zurückschreckte. So hart der Einzelkämpfer auszuteilen wusste, so empfindlich blieb er jedoch selbst gegenüber Kritik. Stimmungsmässig schwankte er so stets zwischen aufbrausender Tatkraft und depressiver Lähmung.

Sorgfältige Darstellung

Die Lebensgeschichte diesers bärbeissigen Schreibers hat Marianne Fehr, eine Bekannte Meienbergs von WoZ-Zeiten her, recherchiert. Die Kindheit im sanktgallischen Bürgerhaus, die Lehrjahre im Internat Disentis, Studien in Fribourg, die sachte Ablösung vom Katholizismus, journalistische Hungerjahre und am Ende die Chance, als erfolgreicher Sprachunterhalter vom Pressebusiness aufgesogen zu werden.

Schon im Titel signalisiert das Buch die Zurückhaltung und Sachlichkeit, mit der die Biographin den Stoff zu bewältigen trachtet. Sie trägt eine immense Fülle von persönlichen Zeugnissen und dokumentarischen Materialien zusammen, die sie chronologisch und detailliert, sorgfältig und nüchtern zur Lebensgeschichte ordnet.

Marianne Fehr hält sich sichtlich mit expliziten Wertungen zurück und überlässt es den befragten Freunden und Zeitzeugen, Arbeit und Persönlichkeit Meienbergs abzuwägen. Die einen bewundern (und vermissen) dabei den vitalen, wortgewaltigen Polemiker, der sich vor allem gegenüber Autoritätsträgern leidenschaftlich enragieren konnte. Die anderen lenken den Blick auf einen Mann, der sich erstaunlich unbeholfen in alltäglichen Dingen zeigte und es vor allen seinen Freundinnen nicht eben leicht machte.

Im Zentrum der eigenen Aufmerksamkeit stand letztlich immer er selbst, darüber thronte die Mutter. Von ihr hatte er die Leidenschaft zur Auseinandersetzung geerbt, sie blieb stets die wichtigste Frau in seinem Leben. Doch auch die offenkundig starke Mutterbindung unterzieht Fehr vorsichtigerweise keiner tiefern psychologischen Deutung, sondern überlässt diese den Leserinnen und Lesern.

Journalist und Schriftsteller

Meienberg selbst hätte an diesem Buch wohl einiges auszusetzen gehabt, inhaltlich wie stilistisch. Ein solch denkbarer Vorwurf indes gereicht Marianne Fehr keineswegs zum Nachteil. Das journalistische und literarische Werk des Porträtierten tritt hinter sein Wirken, seine Wirkung zurück. Erkennbar wird dabei eine charakterliche Disposition, deren sprunghafte Stimmungsschwankungen nicht nur für Freund und Feind, auch für ihn persönlich auf Dauer kaum zuträglich war.

Meienberg ganz wie er schrieb und lebte. Die Lebensumstände haben sein Schaffen geprägt, dies lässt sich aus dieser Biographie gut ersehen. Aufgrund dieser Einsicht lesen sich seine Texte neu und um die biographische Dimension bereichert, ohne dass sie an Sprachmacht einbüssten.

Beat Mazenauer

 

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