Niklaus Meienberg ist einer jener Deutschschweizer Autoren, die auch in der Romandie bestens bekannt waren. Eine ganze Reihe von Übersetzungen zeugen davon. Der Deutschschweizer "Starschreiber" erregte auch im französischsprachigen Landesteil Diskussionen.
Er schrieb mit Herzblut und Tinte
Nachruf auf Niklaus Meienberg (1940 - 1993)
"Der grösste Feind der Unschuld jedenfalls ist die Wahrheit", schrieb Peter Bichsel 1975 in seinem Vorwort zu Niklaus Meienbergs "Reportagen aus der Schweiz", und ergänzte: "dieses Land ... ist das Land der Unschuldigen".
Natürlich hat auch Niklaus meienberg diese Wahrheit besessen, aber er hat sie leidenschaftlich gesucht und sie in seinen Gefechten mit der helvetischen Unschuld auf seinem banner mitgetragen. Nun soll auf einmal die Schlacht geschlagen und der streitbare Recke gefallen sein? Freund und Feind auf traurige Weise hinter sich lassend?
Betroffen am Tode von Niklaus Meienberg stimmt das Unerwartete. Alle reiben sich die Augen und wundern sich, worüber sie längst Bescheid gewusst haben. Dass sich nämlich hinter der kraftstrotzenden Postur und den herausfordernden Sätzen "ein melancholisch Tier", "ein schlecht geschleckter Bär" verbirgt. Deutlich signalisieren die Gedichte in der "Geschichte der Liebe und des Liebäugelns" die Zeichen der Verletzlichkeit, des Liebesleids und des Überdrusses. Einfacher schien es dagegen, Meienbergs Selbstbeteuerung Glauben zu schenken: "Kommt die Nacht schlägt die stunde / Die Tage vergehn ich bleibe bestehn".
Ganz offensichtlich hat Meienbergs Lust am Streiten auch Kraft gekostet. Seine Reportagen polarisieren, auch wenn ihnen kaum je falsche Tatsachen nachgewiesen werden können. Der Ton vor allem macht eben die Musik und Meienbergs Musik ist ein Fest für Liebhaber der unverhüllten, lustvollen und galligen Provokation, wogegen die Gegner gerade die scheinbare Ruchlosigkeit laut beklagen und allzu oft mit schirllem Hass quitieren. Gerade solcher indes findet sich bei Meienberg nicht. Mochte er noch so heftig zetern und mit scharfen Zungen wettern, ausgezeichnete Detailkenntnis und ein schabezogenes Engagement sind seinen Texten selten abzusprechen.
1975 erschreckte er die Öffentlichkeit mit den "Reportagen aus der Schweiz" nicht allein wegen ihres Inhaltes als auch wegen der ungewohnt pointierten Sprache. Diplomatische Rücksichten scheinen ihm fern gelegen zu haben, wenn es ihm darum ging, Verdrängtes aufzudecken und auszusprechen. Die Geschichte von "Ernst S., Landesverräter" ist das früheste Beispiel für Meienbergs Unterfangen und zugleich für sein unkonformes historisches Verfahren. Zur Unzeit arbeitete er 1980 die Geschichte des Hitlerattentäters Maurice Bavaud und wiet umstrittener dann 1987 jene des Wille-Clans ("Die Welt als Wille und Wahn") auf. Unprätentiös und klar verständlich bracht er so wichtige Kapitel verdränter Schweizer Geschichte ans Tageslicht.
Star der Reportage
Doch Meienbergs bevorzugte und meisterhaft beherrschte Textform ist die Reportage. Während mehr als zwanzig Jahren schriebe r für verschiedenste zeitungen und Zeitschriften wie den Spiegel, die Zeit, die Weltwoche oder die WochenZeitung (WoZ). Dabei sorgte der Bürgerschreck wiederholt für Aufregung. Zwischen 1976 und 1990 erliess der Tages-Anzeiger sogar ein Schreibverbot gegenihn.
Nebst der unverblümten, geharnischten Redeweise musste vor allem die Tatsache skandalös wirken, dass Meienberg keine scharfe Trennlinie zwischen Privatheit und Politik zu ziehen bereit war. Beides hing für ihn untrennbar miteinander zusammen: Politisches ist vorgeprägt im Privaten, Privates akzentuiert sich in der Politik. Aber gerade auch hierin erwies sich, dass Meienberg, mochte er noch so giftig, unerbittlich, mitunter süffisant klingen, stets aus einem gefestigten Wissen schöpfte. Um dieses zu erlangen, hat er ohne Berührungsängste die Nähe zum Gegenstand seiner Reportagen gesucht und sich bei Armeemanövern ebenso wie in Managmentseminaren eingefunden. Vielleicht auch deshalb entsprachen die von ihm gewonnenen eigensinnigen Ansichten keinen vorgefertigten Mustern und widersetztensich einer vorschnellen Vereinnahmung durch Freund wie Feind.
Regelmässig sind Meienbergs bestes Reportagen gesammelt und in Buchform publiziert worden. Derlei rechtfertigt sich freilich nur, wenn die Texte über die reine Faktizität hinaus im Nachhinein einen Eigenwert entwickeln. Gerade diesbezüglich zeichnete sich Meienberg als eine chter Erbe von Tucholsky oder Karl Kraus aus. Untypisch für einen Journalsiten, verfügte er über eine ausgesprochen reich facettierte und wortgewaltige Sprache. Und er pflegte sichtlich eine Vorliebe für den Klang und die Formen barocker Literatur, wa sich besodners in den Buchtiteln und Buchhillustrationen ausdrückt. "Die Erweiterung der Pupillen beim Eintritt ins Hochgebirge", "Der wissenschaftliche Spazierstock", "Vielleicht sind wir schon morgen bleich u. tot", "Weh unser guter Kaspar ist tot" heissen sie. Am eindrücklichsten, weil persönlich spürbar wird diese Vorliebe schliesslich im Gedichtband "Geschichte der Liebe und des Liebäugelns". Freche und feinfühlige, triviale und tiefsinnige Verse prallen hier aufeinander hnter fremden Gedichtzeilen, die Meienberg von anderen Dichtern entliehen hat. In allem aber zeigt er sich als listiger Dichter, der er nicht unterschätzt werden darf. "Holprigkeiten sind", so er selbst, "nicht zufällig, sondern als Stolpersteine berechnet, um auf die Sprünge zu helfen".
Es gibt heute wenige zeitgenössische Schweizer Autoren, die so gekonnt Hochsprache und Dialekt zu mischen vermögen und entsprechen eine schweizerische Literatur schaffen wie er. Bei allen Fluchten ins geliebte Frankreich und bei allen Angriffen auf die engstirnige Heimat und ihre "heiligen Kühe" ist nicht zu verkennen: der Brandstifter Meienberg fühlte sich vor allem im "Biederland" Schweiz daheim. Er brauchte es - und umgekehrt.
"Hier kann man mit Schreiben höchstens eine Stelle, nicht das Leben riskieren." Dies schrieb Meienberg vor wenigen Monaten in einem Offenen Brief an den Chefredakteur der Sarajewoer Zeitung "Oslobodjenje" (abgedruckt im Band "Zunder"). Dagegen ist nichts einzuwenden, doch erhält der Satz jetzt auf einmal eine eigenartige Wendung ins Sarkastische angesichts von Meienbergs Freitod. Die Verletzlichkeit hinter den unerbittlichen Polemiken ohne Netz und doppelten Boden, die Bärenseele in der Räuberhaut haben bestürzend schnell ihren Tribut eingefordert. Meienberg verspritzte beim Schreiben eben nicht nur Tinte, auch Herzblut mischte sich darein. Auf traurig stimmende Weise ist am 24. September 1993 einer der wortgewaltigsten und orginellsnten Schweizer Autoren verstummt.
Beat Mazenauer