"Liebe Stimme"
Von nichts als von Liebe und Tod

Giftige Liebes - und Beziehungsgeschichten sind das Markenzeichen von Helen Meier. In ihrem neuen Erzählband "Liebe Stimme" bleibt sie diesem Ruf treu. Doch das Gift wird in leicht verträglichen Dosen verabreicht.

Schon der Titel markiert so etwas wie leise Versöhnlichkeit. Nach "Letzte Warnung", dem Band von 1996, erscheint Helen Meiers neues Buch unter freundlicherer überschrift. Die Gabe, kleine alltägliche Begebenheiten unzimperlich wiederzugeben, gibt die 71 - jährige Autorin nicht preis, doch der Zorn mischt sich darin öfter mit Milde und Melancholie.

Die ängste vertilgen

22 Geschichten zwischen einer und zwölf Seiten Länge vereinigt der neue Band; Geschichten von unterschiedlicher Qualität. Gemeinsam ist den meisten die Reflexion über den Tod und die Liebe als trotzigem Beweis des Lebens. "Vom Tod und von der Liebe mag sie es noch. Von nichts sonst", heisst es in der letzten Geschichte. "Sonst gibt es nichts zu erzählen."

Darin ist sich Helen Meier treu geblieben. Auch darin, dass die Küche eine grosse Rolle spielt. Es wird viel gegessen in diesen Geschichten. Liebe geht durch den Magen, heisst es bekanntlich, doch oft resultiert daraus Trägheit und Sattheit. Ebenso gehen auch ängste und Sorgen durch den Magen, die sich manchmal davon besänftigen, täuschen lassen.

"Ich urteile nach dem Schein...

Zu den ausgeprägten Eigenheiten von Helen Meiers Prosa zählt der Mut zur verwackelten Formulierung. Gerne gedeiht sie in den Ritzen zwischen den präzisen, lakonischen Beschreibungen, mit der kaum gemilderten Unzimperlichkeit übereinstimmend. Doch gegenüber früher will diese Symbiose in den neuen Erzählungen nicht so recht glücken.

Die Titelgeschichte demonstriert es. Ein Erzähler - Ich formuliert seine ängste angesichts der Tatsache, dass eine geliebte Person mit dem Flugzeug in südliche Feriengefilde verreist ist. Was kann nicht alles passieren, wenn Frauen alleine unterwegs sind. Während seines Monologs hält sich das Ich sorgsam bedeckt.

Erst nach und nach, etappenweise wird deshalb klar, dass hier weder eine Geliebte noch ein Geliebter, sondern der besorgte Vater spricht. Im Grunde mag eine solche erzählerische Maskierung reizvoll sein, doch in diesem Falle wirkt sie eher verkrampft und umständlich.

... nicht nach der Realität"

öfter als in den früheren Geschichten evoziert die Lektüre von Meiers neuem Buch leise Ungeduld nicht wegen provozierender Unverblümtheit der Texte, sondern wegen solcher erzählerischer Konstruktionen.

Natürlich, dies sei nicht verschwiegen, finden sich in "Liebe Stimme" auch typisch meiersche Passagen voll bitterer Komik und Lakonik. Beissende Beschreibungen und schlagende Sätze wie "Die Liebe ist ein Irrtum", aufgehoben in der entsprechenden Erzählung: Eine Mutter zieht in eine grosse Wohnung um, damit sich die Tochter zu Hause wohl fühlen kann, nur will diese lieber nach New York...

Handkehrum wirken einige der Geschichten aber zu wenig durchgeknetet und gelegentlich etwas verworren aufgebaut. Der versöhnlichere Ton vermag diesen Eindruck am Ende nicht zu korrigieren.

Helen Meier, "Liebe Stimme", Geschichten. Ammann Verlag, Zürich 2000. 180 Seiten, Frs 34.-

Besprechung von Beat Mazenauer

 

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