Kurze Presse-Nachschau

Mit Spannung ist Adolf Muschgs neuer Roman erwartet worden. Würde er das souveräne Alterswerk sein, das viele von ihm erwarten, oder würde er lediglich den Argwohn seiner Kritiker nähren? Beides ist eingetreten. "Sutters Glück" ist auf unterschiedliche, doch insgesamt eher positive Resonanz gestossen.

Sichtlich anderen Sinnes als bei seiner Abqualifizierung von Muschgs letztem Buch "O mein Heimatland" ist Andreas Isenschmid im "Tages-Anzeiger" vom 18. Januar. Sein Fazit klingt beinahe schon hymnisch: "Das ist das freie Buch eines freien Geistes, es ist von einer Weite der Fantasieräume und von einem durchgehaltenen Strahlen des Stils, für die man heute weit gehen muss. Und all jene, die bei einem Satz, der entfernt nach Hofmannsthal klingt, panisch Reissaus nehmen und ausgerechnet "Bandwurmsatz" rufen, sollten, und seis aus Gründen des Selbst- und Fremdrespekts, gelegentlich dran denken, dass ein Buch, das nicht zu ihnen passt, darum noch kein schlechtes Buch sein muss."

Nicht ganz so hochgestimmt wie Isenschmid gibt sich Andrea Köhler in der "Neuen Zürcher Zeitung"(18. Januar), doch bleibt sie trotz Kritik an Schwächen wie der biegsamen Muschgschen Rhetorik dem Buch gut gesonnen: " Aber ist Sutter eigentlich traurig? Mit dieser Frage ist man schon mittendrin im Rätsel, das Adolf Muschgs halb philosophischer, halb kriminalistischer Roman über die grossen Probleme der Menschheit und ihre kleinen Lösungen stellt: das eigentümliche Schweben der Stimmungslagen, eine fragile Trauer, in die sich ein unnachgiebiges Rechten mischt. Zwar: der Ton ist auf Moll gestimmt, und heiter wird kein Leser dies Buch aus der Hand legen. Aber vielleicht doch ein wenig getröstet über diese kuriose Veranstaltung, die wir uns angewöhnt haben das Leben zu nennen. Dass sich dasselbe vom Ende her stets anders ausnimmt, als wenn wir mittendrin im Gemenge stecken, ist eine Binsenweisheit. Dass wir uns über die Menschen, die wir zu kennen meinen, womöglich ebenso täuschen wie über uns selbst, eine weit weniger leicht zu ertragende Einsicht."

Auch Julian Schütt ist in der "Weltwoche" (18. Januar) vom Roman angetan, mit einem lächelnden Seitenhieb an die Muschg-Feinde (wer immer das sei): "Die Muschg-Frondeure frohlocken: Wieder hat es zum reifen Meisterwerk nicht gereicht. Wobei für sie nur eine souverän in sich abgeschlossene, massvoll geformte Prosa zum Meisterwerk taugt. Und nur ein solches hätten sie dem Autor verziehen. Aber zum Glück ist er noch nicht reif genug, um sich auf dem Altenteil einer erhabenen Spätwerkartistik auszuruhen. Zum Glück sucht er noch das kompositorische Wagnis. Das tun die gegenwärtigen Autoren selten genug. In «Sutters Glück» öffnet Adolf Muschg fast mutwillig alle möglichen Fenster, auch auf die Gefahr hin, dass manche Leser und er selber sich im Durchzug erkälten. Er schnürt mehrere Romane in den einen, wobei die Krimihandlung tatsächlich mehr Rätsel aufwirft als klärt. Ein Vorwurf, den aber schon Friedrich Glauser zu hören bekam, also verzeihlich. Insgesamt ein Buch, das sehr riskant dissonante Tonlagen zusammenzwingt, mal karikaturistisch, mal sehr subtil seine Figuren zeichnet, ein Buch, das eindrücklich unterstreicht, dass mit Muschg noch zu rechnen ist. Ob man nun unter ihm leidet oder sich von seinen Texten anstossen lässt."

Der besagte Vorwurf ist vor allem Roger Anderegg zu danken, der ihn in der "Sonntagszeitung" vom 14. Januar aufgeworfen hat. An "Sutters Glück" kritisiert er die Beiläufigkeit der Ironie und die Gestelztheit des Stils, vor allem aber findet er sich nicht damit ab, dass die Kriminalhandlung zu keinem Ende kommt: "(...) wir sind in einem Roman von Adolf Muschg. Da werden wir uns nicht mit profanen Untaten aufhalten und nicht bei einfachen personellen Konstellationen verweilen." Isenschmid spricht im Hinblick auf solche Einwände von einem "halb bösartigen, halb dummdreisten und überdies etwas denkfaulen Nölen". Anderegg hingegen kommt ungetrostzu einem anderen Befund: "Sutters Glück ist Muschgs Unglück. Wie unter Zwang möbelt er die Geschichte ständig mit Bedeutung auf, die erotischen Szenen wirken qualvoll - für die Protagonisten wie für den Leser. Trotz exotischer Belegschaft vermag uns das Drama nicht zu packen. (...) Uns ergehts, obwohl da auf Deutsch erzählt wird, mit der ganzen Geschichte nicht viel anders. Wir wissen manchmal nicht mehr, sind wir in einem Traum, oder ists Wirklichkeit? Eignet dem Geschehen die Dimension einer griechischen Tragödie, oder tut es nur so?So sehnen wir uns denn nach jener Klarheit, die im Rufnamen von Ruths Katze liegt: Die heisst einfach Katze - nichts mehr. Sie ist uns auf Anhieb sympathisch."

Das Für und Wider dieses neuen Romans setzt Charles Linsmayer differenziert in seiner Besprechung("Bund", 18. Januar) auseinander. Insbesondere im zweiten Teil erkennt er Schwächen, ähnlich wie auch Andrea Köhler. Sein Fazit lautet deshalb - mit einem leicht bewölkten Abschluss: "Es gibt wundervolle Passagen in dem Buch, Passagen, in denen ein grosser Erzähler sein ganzes Können einbringt - wenn Sutter die Katze zu seinem Gefährten und Gesprächspartner macht, wenn er mit Literatur und Erinnerung gegen die Vereinsamung ankämpft, wenn er in der Intensivstation allmählich wieder zu Bewusstsein kommt, wenn er bei dem Fischerehepaar Cahannes am Silsersee einer Lebensart begegnet, die seinen Kalamitäten und Mühsalen wie eine lichte Gegenwelt gegenübersteht, und ganz am Schluss, bei jenem Sterben im Wasser, wenn die Fäden und Themen des Ganzen nochmals aufgenommen sind und sich in einem hochdramatischen, rasanten Finale verdichten. Aber es gibt auch Seiten, Handlungsstränge, Situationen, Beschreibungen, Aussagen in dem Buch, wie der Autor von «Das Licht und der Schlüssel» oder «Im Sommer des Hasen» sie sich vor ein paar Jahren noch nicht hätte durchgehen lassen, Stellen, die ein Stück verunglückten Houellebecq in einen Text hineinbringen, der doch, der Anzeichen sind viele, ein grosses Werk auf grosse Weise hätte fortsetzen können. Und der jetzt leider nur als das zwar bewegende und herausfordernde, aber nur in einzelnen Teilen wirklich gelungene Dokument einer impulsiven, ungebremsten Schreibkraft vor uns steht, von der auch künftig noch Überraschendes und Provokantes - und sicher auch wieder Überzeugenderes - zu erwarten ist."

(zusammengestellt von Beat Mazenauer)