Der diesjährige Dentan-Preis

Der in Lausanne lebende französische Autor und Zeichner Frédéric Pajak erhält in diesem Jahr den Westschweizer Literaturpreis Prix Michel Dentan für den Band «L'Immense Solitude», eine Sammlung kurzer Prosa-Impressionen und Zeichnungen zum Leben Friedrich Nietzsches und Cesare Paveses in Turin. Leitmotiv des Bandes, in dem Pajak diverses Textmaterial, Zitate aus den Werken der beiden grossen Intellektuellen und ihnen nahestehender Personen, zu einer Collage des Scheiterns arrangiert, ist der frühe Vaterverlust, eine schwere Hypothek im Leben Nietzsches und Paveses. Beklemmend erscheint die Symbiose, welche - nicht zuletzt auch in Pajaks Zeichnungen von Ansichten der Stadt - die Melancholie dieser Figuren mit der Melancholie Turins eingeht, der einzigen Stadt, in der Nietzsche und Pavese das Leben auszuhalten schienen. Während Nietzsche in den barocken Palästen und Arkaden die so geschätzte aristokratische Ruhe fand, beobachtet Pavese sechzig Jahre später die Arbeiter während ihrer Pausen und die alten, entwurzelten Menschen auf den Bänken vor dem Turiner Bahnhof. Gemein ist beiden letztlich die Begrenztheit ihrer Wirklichkeitswahrnehmung, ein Verlust, der sich gleichsam der Trauer um den Vater substituiert und das Gefühl der Unbehaustheit entstehen lässt - mit den bekannten Folgen. Während Pavese 1950 Selbstmord begeht, erscheint bei Pajak die geistige Umnachtung, deren Opfer Nietzsche wird, auch wie ein Selbstschutz.

Der Prix Dentan zeichnet jedes Jahr ein Werk aus der Westschweizer Produktion aus, das «durch seine Wortgewalt, Originalität sowie die Faszination des Leseerlebnisses überzeugt» (Stiftungsstatuten). Die mit 8000 Franken dotierte Auszeichnung wird am 25. Mai im ehrwürdigen Cercle littéraire an der Place St-François in Lausanne überreicht.

Frédéric Pajak: L'Immense Solitude. Avec Friedrich Nietzsche et Césare Pavese, orphelins sous les ciels de Turin. Puf, Paris 1999.

Michael Wirth

Dienstag, 30. Mai 2000

 

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