«Wenn Anna hier wäre», heißt es gleich zu Beginn - doch wo die Schwester weilt, was mit ihr tatsächlich geschehen ist, bleibt verborgen. So taucht man ein in eine Welt, die sich trostlos und unheilvoll gebärdet, in eine Stimmung aus Kälte und Isolation und nimmt traurig berührt Anteil am scheinbar belanglosen Leben einer jungen Frau. Es sind die leisen Töne, die nüchtern-poetische Sprache, die einen Sog entwicklen, dem man sich kaum entziehen kann.
Eine Frau Anfang zwanzig gibt Einblick in die Monotonie ihres Alltags: Abends sitzt sie in einer verrauchter Kneipe und beobachtet die andern, ihr Heimweg führt sie spätnachts durch eine Großstadt, die ausgestorben und bedrohlich wirkt, zu Hause erwartet sie eine feudale Villa, in der sie allein mit dem Kater und einem Hamster lebt - die Eltern sind verreist und Anna, ihre geliebte Schwester, in Südamerika. Die laute Musik aus der Stereoanlage vertreibt die Stille im Haus, sich stets wiederholende Rituale, an denen sie krankhaft festklammert, bestimmen den Ablauf ihrer Tage.
Diese Ordnung bekommt Risse, als die kleine Ramona in ihr Leben tritt, das leere Haus mit Leben füllt und den Rhythmus der jungen Frau auf den Kopf stellt; sie wird brüchig, als Martina, eine Bekannte ihre Nähe sucht und unbequeme Fragen stellt. Auch die Flucht nach draußen, in nächtliche Tanzgelage und blinden Aktivismus, zu Personen und an Orte, die sie an Anna erinnern, vermag dieses Gerüst nicht aufrecht zu halten. Wie ein Kartenhaus fällt es in sich zusammen und bringt eine erschreckende Wahrheit ans Licht.
Die Faszination von Karin Richners Debütroman macht seine Rätselhaftigkeit einerseits, die sprachliche Virtuosität andererseits aus. Wenig wird wirklich preisgegeben, fortwährend sieht sich der Leser gezwungen, das Erzählte auf seine Richtigkeit abzuklopfen, die Sichtweise der Protagonistin zu hinterfragen und ganz genau hinzuschauen, um das subtile Netz aus Andeutungen und Bildern, die das Ende vorwegzunehmen scheint, zu erkennen. Und gibt sich dieser Text über weite Strecken auch hoffnungslos und düster, so ist der Ausgang doch versöhnlich: Die junge Frau, die wir am Ende erleben, hat mit der Frau, die uns zu Anfang begegnete, nicht mehr viel gemeinsam. Ein trauriger Roman, der tief berührt und lange nachhallt.
Karin Richner, "Sind keine Seepferchen" : Roman, Bilgerverlag, 2006.
Page créée le 31.03.11
Dernière mise à jour le
31.03.11
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