"Lichter in Menlo park"
Die Unruh des ruhigens Lebens

1999 war er der Aufsteiger des Jahres. Der 1974 geborene Raphael Urweider gewann überraschend den renommierten Leonce-und-Lena-Preis. Nun ist sein erstes Buch, der Gedichtband " Lichter in Menlo Park " erschienen.

In Menlo Park/New Jersey richtete der Erfinder Thomas Alva Edison vor 130 Jahren ein Laboratorium für seine technischen Tüfteleien ein. Wenige Jahre später flammte 1879 hier die erste Kohlefadenglühlampe auf und brannte sich blitzhaft, jäh den Mitarbeitern Edisons auf der Netzhaut ein. Das Licht war erfunden.

"sie verharren noch in der pose
bis einer kurz in die hände klatscht
boys rnachen wir weiter".

Einen Augenblick nur dauert die Verwunderung, dann drängt die Neugier weiter, zu neuen Erfindungen. Mit zwei Strophen über diesen magischen Moment der Technikgeschichte schliesst der Gedichtband.
Diese 21 Zeilen sind typisch für Raphael Urweiders erstaunlich ausgereifte Lyrik, formal wie inhaltlich. In beider Hinsicht gibt sie sich betont sachlich, fast liesse sich sagen: prosaisch. Eine auserlesene Bildsprache und ein eigenwilliger Rhythmus verleihen ihr lyrische Qualität.

Die Ahnen der Technik

An innerpsychischen Feinsinnigkeiten scheint Urweider keinen rechten Geschmack zu finden. Was ihn augenscheinlich interessiert, ist das Reale: Kontinente, Wolken, Natur, Kultur - vor allem aber deren physikalische und chemische Entladungen. Im abschliessenden Zyklus "Manufakturen" lässt er der Reihe nach die grossen Tüftler, Entdecker und Erfinder bis 1900 auftreten. Galilei erfindet mit dem Fernrohr "sonne mond und sterne". Gutenberg setzt an den Anfang der Welt den Bleisatz. Samuel Morse verschlägt es die Sprache in alle Windrichtungen. Er habe Indien erreicht, kichert Columbus, " wenn ich mich nicht irre ".

Wiederholt klingt hier grosse Beschreibungsliteratur an, etwa in der Kapitelüberschriften "Tagwerk", die an Herodot erinnert, und " Kleinbauern ", worin ein Stück Vergilscher " Georgica " mitschwingt. Ihrem Vorbild folgt Urweider auf eigene Weise, die Substanz bleibt indes vergleichbar, nämlich die Beschreibung der realen Welt und deren wortwörtliche Ver (s) dichtung. Letzteres steigert die Sachlichkeit ins bildhaft Anekdotische, ausgeschnitten Typische. Ruhe ist dabei eines der Schlüsselworte in diesem Band: die Quelle, aus der die Unruh des Forschens und Suchens und Beobachtens angetrieben wird.

Vor allem den 24 Variationen zu Chopins "Préludes" mit Szenen aus dessen Leben ist der Wunsch nach Ruhe einbeschrieben.

"ruhe bewahren
schreien dreissig ärzte gleichzeitig es
leidet darunter der duldsame patient".

Im leichten Erregungszustand zwischen Ruhe und Unruhe bewegen sich Urweiders Gedichte auch formal. Zeilen und Strophen sind lyrisch, doch der Sprachfluss übertritt permanent die formale Begrenzung. Verslänge und Versanordnung folgen eher visuellen Mustern und Variationen.
Dies vor allem, weil sich Urweiders Gedichte durch das Fehlen jeglicher Satzzeichen der eindeutigen Lektüre verweigern. Der Sprachfluss muss während der Lektüre von den Lesenden eigens interpunktiert werden, doch die grammatische Zuordnung innerhalb dieser lyrischen "Kettenreaktionen" ist oft mehrdeutig und erlaubt verschiedene Lesarten.
"Lichter in Menlo Park" ist dergestalt ein ebenso lichter wie vertrackter Gedichtband. Er imponiert durch Iyrischen Eigensinn wie durch prosaische Ironie. Ein schönes Debüt.

Zur Person des Autors

Raphael Urweider, 1974 in Bern geboren, studiert an der Universität Freiburg Germanistik und Philosophie. Daneben macht er Theatermusik, und tritt mit Rap- und HipHop-Projekten in Erscheinung.

Ohne eine Buchveröffentlichung zuvor hat er 1999 unter mehr als 600 Bewerbern den renommierten Leonce-und-Lena-Preis in Darmstadt zugesprochen erhalten.

Raphael Urweider, "Lichter in Menlo Park". Gedichte. DuMont Verlag, Köln 2000. 120 Seiten, 32 Franken. Folgt Extra.

Beat Mazenauer
Schweizer Feuilleton-Dienst

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