Sembritzki ist wieder im Dienst. In seinem jüngsten Thriller „Abschied von Casablanca“ lässt Peter Zeindler seinen alten Agenten nochmals wieder auferstehen.

Play it once again, Sembritzki

Here’s looking at you, kid“ prostet Humphrey Bogart alias Rick mit einem erotischen Raspeln in der Stimme Ingrid Bergman alias Ilsa zu. Ein Trinkspruch nur, doch die deutsche Synchronfassung von „Casablanca“ hat daraus ein legendäres „Schau mir in die Augen, Kleines“ gemacht. Verführung oder Trinkspruch?

Dies ist bloss eine Anekdote aus der Filmgeschichte, doch vielleicht erinnert sich Konrad Sembritzki an dieses Missverständnis, wie er Lea Mahler in Marokko gegenüber sitzt. Lea gefällt ihm, als alternder Mann könnte er sich leicht in sie verlieben; doch der Agent in ihm sträubt sich. Sembritzki scheut das Risiko der Verführung und verlässt Casablanca. Lea dagegen... doch beginnen wir von vorne und ohne vorweg genommenes Ende.

Konrad Sembritzki, mittlerweile 60 geworden, weilt seit längerem im „Ruhestand“. Die Einsätze für den BND in Osteuropa liegen einige Jahre zurück, er ist wieder ganz der alte Antiquar. Da erhält er ein Exemplar von Sebastian Brants „Narrenschiff“ aus dem Jahr 1494 ohne Absender zugestellt. Sembritzki glaubt nicht an Zufälle, sondern erkennt darin das Zeichen für eine neue Mission. Sollte er nochmals in das närrische Treiben einsteigen, dem Brant vor 500 Jahren schon den Spiegel vorgehalten hat? Sembritzki zögert, auch wenn ihm das geruhsame Leben nicht sonderlich behagt und er sich mit ein bisschen Wehmut an die letzten Einsätze erinnert.

Sembritzki war nie ein Agent der „toughen“ Sorte. Nebst Spürsinn und Auffassungsgabe gehörte die Melancholie schon immer zu seinen Charaktereigenschaften. In Zeindlers jüngstem Buch erst recht. Nur widersträubend lässt er sich mit hineinziehen ins neue Abenteuer. Angeblich soll es in Marokko gelungen sein, das Giftgas Yperit (Senfgas) in stabiler Form herzustellen, womit es besser lager- und transportfähig wäre. Dass Sembritzki sich schliesslich auf diesen Fall einlässt, ist aber nicht zuletzt Lea zu verdanken, der Nichte seines eben verstorbenen Freundes Bartels. Ein Blick in ihre Augen hat Überzeugungskraft.

Die Reise nach Marokko tritt er in Gesellschaft des amerikanischen Journalisten Ken Morris an, der die Giftgas-Vermutung überhaupt aufgebracht hat. Für den instinktsicheren Sembritzki gerät diese Figur freilich bald selbst ins Zwielicht. Hinter der aktenkundigen Fassade vermutet er, zu Recht, eine andere Existenz. Zudem erkennt er bald, dass sie in Marokko auf Schritt und Tritt überwacht werden. Verschiedene Parteien scheinen ein reges Interesse an ihren Ermittlungen zu bekunden.

Ein Plot ist eine einmalige Angelegenheit, deshalb soll hier das Tuch des Schweigens darüber gelegt werden. Wie meist in Agentenromanen geht die Geschichte am Ende etwas allzu eilig vonstatten, das Medium Buch erfordert eine Raffung der weltpolitisch verwickelten Aktion. Zudem steht das Glück in entscheidenden Momenten halt immer etwas penetrant auf Seiten des Helden. Dies sind die Gesetze des Genres, die auch hier nicht ausser Kraft gesetzt werden.

Die Qualität von Zeindlers Roman liegt demnach weniger im eigentlichen Showdown, obgleich der durchaus zu packen vermag, sondern in der gemächlichen Heranführung an das närrische Maskenspiel drum herum. Er lässt sich viel Zeit, bis sein Held zu dieser Mission überredet werden kann. Alte Geschichten wie alte Figuren tauchen aus dem Nebel der Erinnerung auf, um Sembritzki in gleichem Masse zu behindern wie zu verlocken. Wenngleich nicht frei von inhaltlichen wie sprachlichen Klischees, geht Zeindler damit bemerkenswert umsichtig um. Sein Thriller ist keiner der harten, plumpen Action-Sorte, viel mehr versucht er das Handeln in einen psychologischen Rahmen zu setzen und diesen auch sprachlich glaubhaft zu machen.

Die Verstrickung in die Vergangenheit zum einen, das Gespür für die Vergänglichkeit der eigenen Lebenszeit zum anderen motivieren das Verhalten von Konrad Sembritzki. Die Welt ist komplizierter geworden, die Fronten des Kalten Kriegs haben sich in multipolaren Bezeihungsnetze aufgelöst, in denen die Geheimdienste selbst ihre dubiosen Spiele treiben. „Altlasten“ müssen abgebaut werden, neue Aufgaben ge-, besser erfunden werden.

Der Idealist Sembritzki versucht sich in diesen Netzen neu zu orientieren. Und dann ist da ja auch noch Lea: klug, attraktiv, zwanzig Jahre jünger. Sie ist vielleicht das stärkste Argument, dass er nochmals in eine neue Mission einsteigt. Doch warum? Könnte er sie lieben, ohne nach ihrer Rolle im Spiel zu fragen? Alte Gespenster, Skepsis aus Profession stehen dem möglichen Glück im Weg. Unfähig, sich darauf einzulassen, hebt Sembritzki (wie Rick im Film) am Ende allein vom Flughafen Casablanca ab. Ein Blick in die Augen hat seine Wunden nicht zu lindern vermocht.

Peter Zeindler: Abschied von Casablanca. Sembritzki auf Mission in Marokko. Arche Verlag, Zürich / Hamburg 2000. 352 Seiten, Fr. 39.80.

Beat Mazenauer

 

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