Unüberbrückbare Distanz

Zum Tod von Maurice Zermatten

Die Lausanner und Genfer Presse pflegte ihn ebenso ehrfürchtig wie ablehnend als Literatur-Patriarchen des katholischen Wallis zu bezeichnen. Maurice Zermatten war ein Erfolgsautor, dessen 1936 erschienener Roman «Le Cœur inutile», eine tragische Liebesgeschichte zwischen jungen Leuten unterschiedlicher sozialer Herkunft, die in der Westschweiz heute kaum mehr vorstellbare Auflage von über 10 000 Exemplaren erreichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Themen der Verbundenheit mit der Scholle, der Bedeutung der Familie und der Religion eine treue Leserschaft. In Frankreich avancierte Zermatten in den fünfziger Jahren mit dem Roman «La servante du Seigneur» - auch auf Grund des Einflusses von Paul Claudel, dem letzten Vertreter des Renouveau catholique - zeitweilig zum auflagenstärksten Westschweizer Autor. Die archaische Feier der Mutterschaft - «jenes Zustandes, welcher», so Zermatten, «der Natur der Frau im besonderen Mass entspricht» - in «La Louve» (1967) und «La Porte blanche» (1973) stellte dann allerdings eine kaum mehr überbrückbare Distanz zu den literarischen Strömungen der Zeit her. Institutionell isolierte sich Zermatten 1969 als Präsident des Schweizer Schriftstellerverbandes (SSV) mit seiner Übersetzung des Schweizer Zivilverteidigungsbüchleins ins Französische: Es gelang ihm, den Geist des Kalten Krieges, den diese Publikation atmete, noch zu verstärken. Frisch, Muschg, Bichsel und Dürrenmatt verliessen daraufhin den Verband und gründeten die Gruppe Olten.

Maurice Zermatten, der 1910 als achtes von neun Kindern eines Dorfschullehrers in Suen (Val d'Hérens) geboren wurde und Reynold de Gonzague als seinen geistigen Ziehvater bezeichnete, gehörte zweifellos zu jenem Kreis konservativer Schweizer Autoren, an denen sich seit je die Geister schieden. Hochgebildet und charmant, suchte er weit über den Literaturbetrieb hinaus Einfluss auszuüben. Er schuf im Wallis diverse Organisationen im Rahmen der Heimatschutzbewegung, den «Service de la defense du patrimoine artistique» etwa, oder engagierte sich später bei Unesco und Pro Helvetia für den Schutz von Walliser Kulturgütern. Zermattens publizistischer Kampf als Direktor des «Feuille d'Avis du Valais» in den sechziger Jahren gegen die umweltzerstörerischen Folgen des Massentourismus im Wallis fand auch den Beifall einiger politischer Gegner. Die unvereinbaren ideologischen Gegensätze liessen eine Allianz jedoch nie zu. Maurice Zermatten starb am Sonntag im Alter von 90 Jahren.

Michael Wirth

Ressort Feuilleton, 13. Februar 2001, Nr.36, Seite 66

 

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