Aus « Im Morgenland »
... Sonst? - Ab und zu (ganz
selten) musste ich in meiner Funktion als writer in
residence" antreten. Zum Beispiel wurde ich zusammen
mit dem deutschen Autor Hans Pleschinski zu einer Doppellesung
eingeladen. Direkt oberhalb des Amphitheaters steht in Amman
die alte Villa eines verstorbenen Onkels des verstorbenen
Königs Hussein. Sie wurde nach dessen Tod an die Stadt
übergeben und dient heute als Literaturhaus. Eingerichtet
ist sie wie ein orientalischer Diwan oder Kiosk - ein majestätischer
Veranstaltungsort: das Bait al-Shi'r". Eingeladen
hatten das Goetheinstitut und die Schweizer Botschaft. Zuerst
kam ich dran. Im Publikum sassen erfreulich viele Einheimische,
zum Teil Beduinen im Kaftan, an die der Text, den ich las,
in fotokopierter arabischer Übersetzung verteilt wurde,
so dass sie folgen konnten. Der Schweizer Botschafter begrüsste
und stellte mich vor, was dem Anlass besonders grosses, offizielles
Gewicht verlieh. Kaum hatte ich mit der Lesung angefangen,
begannen die Muezzins, ihre Stimmen zu erheben. Ich unterbrach.
Alle hörten wir zu. Es klang sehr schön, aus der
ganzen Stadt herauf, durch die offenen Fenster herein. Dann
las ich zu Ende, ein paar Fragen wurden gestellt (ob es mir
hier gefalle, wie wir in Europa von Jordanien denken etc.),
sehr allgemein, sehr zurückhaltend, höflich worauf
Hans Pleschinski drankam.
Hinterher gab es einen kleinen Empfang,
an dem mich ein dunkelhaariger, wild aussehender Mann ansprach
und zu interviewen begann. Unser beider Englisch war ähnlich
bescheiden; schwitzend und gestikulierend versuchten wir uns
zu verständigen. Er bat mich, ihn am nächsten Vormittag
in seine Redaktion zu begleiten. Zwar verstand ich nicht,
warum man das Interview nicht gleich vor Ort zuende bringen
konnte - bei den paar Brocken Englisch, die ich kann, würde
es sowieso nach Kürzestem abgebrochen werden müssen
-, doch irgendwie schien es ihm wichtig zu sein, dass ich
seinen Arbeitsplatz sehe. Also fuhren er, sein Freund und
ich am nächsten Vormittag in die Redaktion. Das Zeitungshaus
erinnerte an einen Hollywoodfilm aus den Fünfzigerjahren.
Unten sass ein Pförtner hinter einem Holzverschlag, oben
betraten wir dann eine weitläufige Büroetage, unterteilt
in viele kleine Verschläge, die obere Hälfte aus
Glas. Überall sassen rauchende Männer an Computern,
ein geschäftiges Hin und Her, ein Grüssen, ein Kaffeetrinken.
In jedem der Verschläge war überdies mindestens
ein Freund gerade zu Gast, der mitdiskutierte. Im hintersten
Büro befand sich the headquarter of the cultural
departement": vier Männer, dichtgedrängt. Ich
wurde jedem einzelnen per Handschlag vorgestellt, dem Vizechef
und dem Vizevizedirektor, dann musste ich mich hinsetzen,
und der oberste Ressortleiter, ein Dichter, der grösste
Jordaniens laut Journalist und Freund, begann meinen ins Arabische
übersetzten Text zu lesen, wobei der Journalist, sein
Freund und ich schwitzend vor ihm eng nebeneinander auf niedrigen
Hockern kauerten, meine beiden Begleiter wie auf Nadeln. Einmal
hob der Chef beim Lesen leicht die Augenbraue und schmunzelte
kaum merklich, woraufhin beide ekstatisch ausriefen haben
wir's nicht gesagt, haben wir's nicht gesagt, er liest, er
liest, Sie sehen, es gefällt ihm usw.", zum Schluss
sagte der Chef wohlwollend: sehr orientalisch! Leider
nicht optimal übersetzt. Ich spüre, was Sie sagen
wollen, aber man könnte es besser übersetzen".
Irgendwann kam auch noch der Generaldirektor der Zeitung,
dem wurde ich vorgestellt als the greatest poet of Switzerland,
Mister Doctor Matthias - dann folgte endlich das Interview.
Es zog sich stundenlang hin und ging immer mindestens um die
Welt, wenn nicht gerade um Gott. Unser beider Englisch reichte
selbstverständlich hinten und vorne nicht aus für
diese Themen. Und ich redete mich wahrscheinlich um Kopf und
Kragen. So etwas merke ich immer erst hinterher. Hier wollte
man offenbar hören, dass Amerika und Israel Teufel seien,
und dass wir Europäer eigentlich eher zur arabischen
Seite tendierten, was ich ja tatsächlich tue, weswegen
ich mich leicht dazu verführen liess, von einem Fettnäpfchen
ins nächste zu treten. Dann will man aber weiter hören,
dass auch wir Europäer insgeheim auf dem falschen Pfad
wandeln, was ich ebenfalls blauäugig in vielen Punkten
bestätigte, denn auch das ist meine Überzeugung,
die man aber nur zu Hause und in der eigenen Sprache halbwegs
verständlich vertreten kann. Ausserdem sind die Leute
hier in politischer Hinsicht begreiflicherweise extrem misstrauisch;
sie lesen aus allem eine Hinterhalt - zum Beispiel, dass die
Schweiz mich gerade im September in den Nahen Osten schickt:
selbstverständlich eine verkappte Anspielung auf den
11. September 2001 ... Falls tatsächlich ein Artikel
erscheinen sollte, wird der bestimmt schillern.
Spannend war, was ich übers Schreiben
erfahren habe. Offenbar hat sich die arabische Schriftsprache
seit vierzehnhundert Jahren kaum verändert; setzt sich
ein Araber an seinen Tisch und fängt an zu dichten, übersetzt
er sich automatisch zurück in die Sprache des Korans
- für unsere Begriffe wäre das vielleicht so, wie
wenn wir Mittelhochdeutsch schreiben würden oder, um
es poetischer auszudrücken: in Shakespaere-Englisch.
Selbst ein amerikanischer Science-Fiction-Bestseller wird,
wenn er ins Arabische übersetzt wird, in die klassische,
uralte Hochsprache übersetzt; gesprochenes Arabisch taucht
in der Literatur nicht auf. Schreibe ich miteinander
schlafen", würde das in Arabisch vielleicht mit
einander erkennen" übersetzt - oder noch lieber:
gestrichen, weil man so etwas gar nicht erst schreibt. Das
finde ich höchst anregend; es eröffnet die bei uns
in Vergessenheit geratene poetische Welt des Durch-die-Blume-
und Zwischen-den-Zeilen-Sprechens neu.
Und lustig ist: mir schien, ab dem
Moment, in dem etwas in die arabische Schriftsprache übersetzt
worden ist, beginnt es, Allgemeingut zu werden. Jeder Leser
dichtet daran weiter und versucht, es noch schöner, noch
besser auszudrücken. Der Text fängt an zu leben.
Man liebt den Wohllaut der Sprache, ihre Melodie. Man redet
gern und bemüht sich, seine Rede schön und kraftvoll
klingen zu lassen. Man hört andererseits nicht gern allzu
lange zu. Sätze sollten deshalb möglichst schnell
packen, blenden, überwältigen. Es werden nach wie
vor viele Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben, weniger
Romane: man sucht nach gelungenen Formulierungen, rauschhaften
Bögen, dramatischen Bildern. Man kann weinen über
einen auf den Punkt gebrachten und gefühlvoll vorgetragenen
Vers. So hege ich nun die Hoffnung, meine übersetzte
Erzählung werde im Arabischen mit den Jahren besser und
leuchtender, verändere sich, auch inhaltlich, man füge
kleine Glanzlichter hinzu, lasse trübe Stellen weg, so
dass sie nach und nach klassisch werde und irgendwann einmal
als tausendundzweite ins unendliche Buch Einlass finden möge
..."
Matthias Zschokke
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Page créée le 17.05.05
Dernière mise à jour le 17.05.05
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