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Matthias Zschokke

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Aus « Im Morgenland »

“ ... Sonst? - Ab und zu (ganz selten) musste ich in meiner Funktion als “writer in residence" antreten. Zum Beispiel wurde ich zusammen mit dem deutschen Autor Hans Pleschinski zu einer Doppellesung eingeladen. Direkt oberhalb des Amphitheaters steht in Amman die alte Villa eines verstorbenen Onkels des verstorbenen Königs Hussein. Sie wurde nach dessen Tod an die Stadt übergeben und dient heute als Literaturhaus. Eingerichtet ist sie wie ein orientalischer Diwan oder Kiosk - ein majestätischer Veranstaltungsort: das “Bait al-Shi'r". Eingeladen hatten das Goetheinstitut und die Schweizer Botschaft. Zuerst kam ich dran. Im Publikum sassen erfreulich viele Einheimische, zum Teil Beduinen im Kaftan, an die der Text, den ich las, in fotokopierter arabischer Übersetzung verteilt wurde, so dass sie folgen konnten. Der Schweizer Botschafter begrüsste und stellte mich vor, was dem Anlass besonders grosses, offizielles Gewicht verlieh. Kaum hatte ich mit der Lesung angefangen, begannen die Muezzins, ihre Stimmen zu erheben. Ich unterbrach. Alle hörten wir zu. Es klang sehr schön, aus der ganzen Stadt herauf, durch die offenen Fenster herein. Dann las ich zu Ende, ein paar Fragen wurden gestellt (ob es mir hier gefalle, wie wir in Europa von Jordanien denken etc.), sehr allgemein, sehr zurückhaltend, höflich worauf Hans Pleschinski drankam.

Hinterher gab es einen kleinen Empfang, an dem mich ein dunkelhaariger, wild aussehender Mann ansprach und zu interviewen begann. Unser beider Englisch war ähnlich bescheiden; schwitzend und gestikulierend versuchten wir uns zu verständigen. Er bat mich, ihn am nächsten Vormittag in seine Redaktion zu begleiten. Zwar verstand ich nicht, warum man das Interview nicht gleich vor Ort zuende bringen konnte - bei den paar Brocken Englisch, die ich kann, würde es sowieso nach Kürzestem abgebrochen werden müssen -, doch irgendwie schien es ihm wichtig zu sein, dass ich seinen Arbeitsplatz sehe. Also fuhren er, sein Freund und ich am nächsten Vormittag in die Redaktion. Das Zeitungshaus erinnerte an einen Hollywoodfilm aus den Fünfzigerjahren. Unten sass ein Pförtner hinter einem Holzverschlag, oben betraten wir dann eine weitläufige Büroetage, unterteilt in viele kleine Verschläge, die obere Hälfte aus Glas. Überall sassen rauchende Männer an Computern, ein geschäftiges Hin und Her, ein Grüssen, ein Kaffeetrinken. In jedem der Verschläge war überdies mindestens ein Freund gerade zu Gast, der mitdiskutierte. Im hintersten Büro befand sich “the headquarter of the cultural departement": vier Männer, dichtgedrängt. Ich wurde jedem einzelnen per Handschlag vorgestellt, dem Vizechef und dem Vizevizedirektor, dann musste ich mich hinsetzen, und der oberste Ressortleiter, ein Dichter, der grösste Jordaniens laut Journalist und Freund, begann meinen ins Arabische übersetzten Text zu lesen, wobei der Journalist, sein Freund und ich schwitzend vor ihm eng nebeneinander auf niedrigen Hockern kauerten, meine beiden Begleiter wie auf Nadeln. Einmal hob der Chef beim Lesen leicht die Augenbraue und schmunzelte kaum merklich, woraufhin beide ekstatisch ausriefen “haben wir's nicht gesagt, haben wir's nicht gesagt, er liest, er liest, Sie sehen, es gefällt ihm usw.", zum Schluss sagte der Chef wohlwollend: “sehr orientalisch! Leider nicht optimal übersetzt. Ich spüre, was Sie sagen wollen, aber man könnte es besser übersetzen". Irgendwann kam auch noch der Generaldirektor der Zeitung, dem wurde ich vorgestellt als the greatest poet of Switzerland, Mister Doctor Matthias - dann folgte endlich das Interview. Es zog sich stundenlang hin und ging immer mindestens um die Welt, wenn nicht gerade um Gott. Unser beider Englisch reichte selbstverständlich hinten und vorne nicht aus für diese Themen. Und ich redete mich wahrscheinlich um Kopf und Kragen. So etwas merke ich immer erst hinterher. Hier wollte man offenbar hören, dass Amerika und Israel Teufel seien, und dass wir Europäer eigentlich eher zur arabischen Seite tendierten, was ich ja tatsächlich tue, weswegen ich mich leicht dazu verführen liess, von einem Fettnäpfchen ins nächste zu treten. Dann will man aber weiter hören, dass auch wir Europäer insgeheim auf dem falschen Pfad wandeln, was ich ebenfalls blauäugig in vielen Punkten bestätigte, denn auch das ist meine Überzeugung, die man aber nur zu Hause und in der eigenen Sprache halbwegs verständlich vertreten kann. Ausserdem sind die Leute hier in politischer Hinsicht begreiflicherweise extrem misstrauisch; sie lesen aus allem eine Hinterhalt - zum Beispiel, dass die Schweiz mich gerade im September in den Nahen Osten schickt: selbstverständlich eine verkappte Anspielung auf den 11. September 2001 ... Falls tatsächlich ein Artikel erscheinen sollte, wird der bestimmt schillern.

Spannend war, was ich übers Schreiben erfahren habe. Offenbar hat sich die arabische Schriftsprache seit vierzehnhundert Jahren kaum verändert; setzt sich ein Araber an seinen Tisch und fängt an zu dichten, übersetzt er sich automatisch zurück in die Sprache des Korans - für unsere Begriffe wäre das vielleicht so, wie wenn wir Mittelhochdeutsch schreiben würden oder, um es poetischer auszudrücken: in Shakespaere-Englisch. Selbst ein amerikanischer Science-Fiction-Bestseller wird, wenn er ins Arabische übersetzt wird, in die klassische, uralte Hochsprache übersetzt; gesprochenes Arabisch taucht in der Literatur nicht auf. Schreibe ich “miteinander schlafen", würde das in Arabisch vielleicht mit “einander erkennen" übersetzt - oder noch lieber: gestrichen, weil man so etwas gar nicht erst schreibt. Das finde ich höchst anregend; es eröffnet die bei uns in Vergessenheit geratene poetische Welt des Durch-die-Blume- und Zwischen-den-Zeilen-Sprechens neu.

Und lustig ist: mir schien, ab dem Moment, in dem etwas in die arabische Schriftsprache übersetzt worden ist, beginnt es, Allgemeingut zu werden. Jeder Leser dichtet daran weiter und versucht, es noch schöner, noch besser auszudrücken. Der Text fängt an zu leben. Man liebt den Wohllaut der Sprache, ihre Melodie. Man redet gern und bemüht sich, seine Rede schön und kraftvoll klingen zu lassen. Man hört andererseits nicht gern allzu lange zu. Sätze sollten deshalb möglichst schnell packen, blenden, überwältigen. Es werden nach wie vor viele Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben, weniger Romane: man sucht nach gelungenen Formulierungen, rauschhaften Bögen, dramatischen Bildern. Man kann weinen über einen auf den Punkt gebrachten und gefühlvoll vorgetragenen Vers. So hege ich nun die Hoffnung, meine übersetzte Erzählung werde im Arabischen mit den Jahren besser und leuchtender, verändere sich, auch inhaltlich, man füge kleine Glanzlichter hinzu, lasse trübe Stellen weg, so dass sie nach und nach klassisch werde und irgendwann einmal als tausendundzweite ins unendliche Buch Einlass finden möge ..."

Matthias Zschokke

 

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Page créée le 17.05.05
Dernière mise à jour le 17.05.05

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