retour à la rubrique
retour page d'accueil


Jürg Amann
Jürg Amann: Am Ufer des Flusses. Erzählung. Haymon Verlag, Innsbruck 2001. 96 Seiten, Fr. 27.-

Retrouvez également Jürg Amann dans nos pages consacrées aux auteurs de Suisse.

  Biographie
 

Jürg Amann, geboren 1947 in Winterthur, lebt in der Nähe von Zürich. Amann hat Germanistik, Europäische Volksliteratur und Publizistik in Zürich studiert. Sein Werk umfasst nebst erzählenden Texten und Gedichten vor allem eine Fülle von Hörspielen und Theaterstücken.

"Wir waren der lebendige Beweis für die Notwendigkeit unserer Eltern."

Jürg Amann: Am Ufer des Flusses. Erzählung. Haymon Verlag, Innsbruck 2001. 96 Seiten, Fr. 27.-

 

  Das Leben, ein endloses Verhängnis


Wer zu nahe ans Wasser baut, sagt der Volksmund, neigt zum Weinen. Ums Weinen ist es auch zwei Männern in Jürg Amanns neuer Erzählung zu tun. Doch sie lachen, solange sie noch können.

Das Leben, ein endloses Verhängnis

Ihre Mütter sind zusammen aufgewachsen, in einem abgeschiedenen Kinderheim am Ufer des Flusses. Dahin hatte sie der Zufall und die Schande der Unehelichkeit verschlagen. Die Vertrautheit zueinander haben sie zeitlebens beibehalten und auf ihre Söhne übertragen.

So haben es diese akzeptiert. In die Jahre gekommen treffen sie sich am Krankenbett des einen und tauschen Erinnerungen an ihr "Paradies der Kindheit" aus: das einzige, das sie je gekannt haben, gekannt haben wollen. Inzwischen haben sich Jud und der Ich-Erzähler längst ihrem trostlosen Schicksal ergeben.

Um die Mütter kreist all ihr das Erinnern. Um das erstickende "Übermass an Mutterliebe", die diese bei ihren schwachen, schweigenden Männern nicht loswurden. "Aufgefressen vor Liebeshunger in Wahrheit hatten sie uns", sind sich, innerlich erschauernd, die beiden einig.

Das war alles

Mit trockenem Humor erzählt Jürg Amanns jüngstes Buch in sorgsam arrangierten, sich windenden Satzschlaufen von zwei Helden, die trotz allem Hass nie von ihren Müttern losgekommen sind. Gleichermassen trübselig wie maliziös beschwören sie nochmals den vermissten Mief der Fünfzigerjahre herauf.

Das vom Ich-Erzähler aufgezeichnete Gespräch an Juds Krankbett gleicht einer gehässigen Suada, die freilich nie über ihre fortwährende mütterliche Abhängigkeit hinwegtäuscht. In der bitteren Radikalität dieses Erinnerns liegt so insgeheim eine lächerliche Tragik vergraben.

"War es das schon?" Ja, denn der Rest des Lebens ist für beide bloss Anhängsel an die Kindheit geblieben.

Jud und der Ich-Erzähler haben sich prächtig im Unglück eingerichtet. Es blieb ihnen gewissermassen an den Sohlen kleben, auch wenn sie in der Welt herumkamen und die ausgetretenen Familienpfade verliessen. Erst in fortgeschrittenem Alter widerfuhr beiden unverhofft ein Glück, das sich freilich von Beginn weg als ein Unglück entpuppte, "weil ja das Ende des Glücks schrecklicher war als das Ende des Unglücks".

Sie vermochten es nicht zu behüten, deshalb haben sie darüber nichts ausser ein paar Belanglosigkeiten mitzuteilen. Folgerichtig trat das erwartete Unglück, also das Glück, bald auch ein, wobei die Schuld allein beim Schicksal, dieser "Kakophonie von Zufällen", liegen konnte.

Unglück und Ende

Die Erzählung "Am Ufer des Flusses" überzeugt, weil sie auf subtile, differenzierte Weise die Balance zwischen Lächerlichkeit und Ernst halten kann. Ihre erzählerische Raffinesse besteht darin, dass Amann die beiden Alten über alles plaudern lässt, ohne dass sie das Entscheidende: ihre verpasste Abnabelung, direkt äussern. Der eine hat es mit der Liebe zu Männern versucht, der andere die Angst vor Frauen kultiviert. In den Pausen ihrer Dialoge aber kommt es in feinen Andeutungen trotzdem zur Sprache.

Das Leben ist ein langer Weg zurück zur Mutter. Nicht ganz: Spät hat sich der an einem Virus tödlich Erkrankte doch befreit: "mit meiner letzten Kraft" habe er ihr vom Krankenbett aus die Krücke über den Schädel gezogen. Ein fulminantes Ende für eine tragikomische Lebensgeschichte und für eine vorzügliche Erzählung.

Jürg Amann: Am Ufer des Flusses. Erzählung. Haymon Verlag, Innsbruck 2001. 96 Seiten, 27 Franken.

Beat Mazenauer

 

  Bibliographie

Das Symbol Kafka, Eine Studie über den Künstler, Bern / München, Francke, 1974.
Hardenberg, Romantische Erzählung nach dem Nachlaß des Novalis, Aarau / Frankfurt, Sauerländer, 1978.
Verirren oder Das plötzliche Schweigen des Robert Walser, Aarau / Frankfurt/ Salzburg, Sauerländer, 1978.
Die Kunst des wirkungsvollen Abgangs, Aarau / Frankfurt/ Salzburg, Sauerländer, 1979.
Die Baumschule, Berichte aus dem Réduit, München / Zürich, Piper, 1982.
Nachgerufen, Elf Monologe und eine Novelle, München / Zürich, Piper, 1983.
Patagonien, Prosa, München / Zürich, Piper, 1985.
Ach, diese Wege sind sehr dunkel, Stücke, enthält: Ach, diese Wege sind sehr dunkel; Büchners Lenz; Die deutsche Nacht, München / Zürich, Piper, 1985.
Robert Walser, Auf der Suche nach einem verlorenen Sohn, München / Zürich, Piper, 1985.
Fort, Eine Brieferzählung, München / Zürich, Piper, 1987.
Nach dem Fest, Stücke, enthält: Nach dem Fest; Der Traum des Seiltänzers vom freien Fall; Die Korrektur,
München / Zürich, Piper, 1988.
Tod Weidigs, Acht Erzählungen, München / Zürich, Piper, 1989.
Der Rücktritt, Zürich, Orte, 1989.
Der Vater der Mutter und der Vater des Vaters, Zwei Erzählungen, Düsseldorf, Eremiten-Presse, 1990.
Verirren, oder Das plötzliche Schweigen des Robert Walser, Roman, München / Zürich, Piper, 1991.
Der Anfang der Angst: aus einer glücklichen Kindheit, Prosa, mit Offset-Lithographien von Urs Amann,
Düsseldorf, Eremitenpresse, 1991.
Zwei oder drei Dinge, Novelle, Innsbruck, Haymon, 1993.
Über die Jahre, Roman, Innsbruck, Haymon, 1994.
Und über die Liebe wäre wieder zu sprechen, Gedicht, Innsbruck, Haymon, 1994.
Robert Walser: eine literarische Biographie in Texten und Bildern. Zürich / Hamburg, Arche Verlag, 1995.
Rondo und andere Erzählungen, Zürich, Arche Verlag, 1996.
Schöne Aussicht, Prosastücke, Innsbruck, Haymon, 1997.
Iphigenie, oder Operation Meereswind, Düsseldorf, Eremitenpresse, 1998.
Kafka: Wort-Bild-Essay, Innsbruck, Haymon, 2000.
Am Ufer des Flusses, Erzählung, Innsbruck, Haymon, 2001.

Hörspiele

Der Traum des Seiltänzers vom freien Fall, Radio Salzburg, 1975.
Verirren oder Das plötzliche Schweigen des Robert Walser, Radio Bremen, 1980.
Die Korrektur, Radio Bremen, 1982.
Die deutsche Nacht, Radio Bremen / Radio Salzburg, 1982.
Der Sprung ins Wasser, Radio Zürich, 1982.
Play Penthesilea, Zusammen mit Hanni Geiser, Radio Bremen, 1982.
Büchners Lenz, Radio Bremen / Südwestfunk Baden-Baden, 1983.
Nachgerufen, Acht Monologe, Radio Bremen, 1983.
Der Aufenthalt, Radio Bremen, 1985.
Tod Weidigs, Radio Bremen, 1986.
Max Daetwyler, Friedensapostel - oder Der lange Weg nach Genf, Radio Zürich, 1986.
Liebe Frau Mermet, Radio Bremen, 1987.
Nach dem Fest, Bayerischer Rundfunk, 1988.
Fort, Radio Bremen, 1988.
Der Jausenfall, Radio Bremen, 1989.
Ist dieser dunkle Raum die Welt?, Bayerischer Rundfunk / Hessischer Rundfunk, 1989.

Cette page a été préparée par Beat Mazenauer

 

Page créée le 09.10.01
Dernière mise à jour le 09.10.01

© "Le Culturactif Suisse" - "Le Service de Presse Suisse"