Reto Hänny
Flug. Roman. Neufassung. Bibliothek Suhrkamp, Frankfurt 2007. 262 Seiten.
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Reto Hänny / Flug
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Reto Hänny a récrit son propre roman. Flug avait en effet paru en 1985. Ses audacieuses cascades de mots et ses constructions syntaxiques artistiques avaient alors fortement attiré l'attention. Hänny s'était ainsi fait une place de choix sur la scène littéraire suisse. 22 ans plus tard, il révise ce livre et en donne une version plus compacte. Refait, Flug reste un livre fascinant sur le rêve et le plaisir de voler, mais aussi sur la peur qu'un tel rêve éveille chez les adultes. Après bien des années, Reto Hänny rappelle ainsi à notre souvenir une oeuvre à ne pas oublier, marquée par une langue créative, une exactitude de scalpel et une rage libératrice.
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Tollkühne Literatur, (Beat Mazenauer) |
Der Anfang ist unverändert geblieben,
"...Durchaus möglich. So viel steht fest: Weit abseits, am Ende einer Nebenpiste, hinter Wertschuppen und Lagerhallen – einstmals bis vor nicht so langer Zeit, und doch ist es schon viele Jahre her" – seit sich die Pioniere der Aviatik über rumpelnde Pisten in die Lüfte erhoben -
und ebenso unverändert ist das Ende:
"geht ein Rütteln durch die Maschine
sind wir bereits zerschellt
untergetaucht" – eine Ende ohne Punkt.
Dazwischen aber hat Reto Hänny seinen Roman "Flug" von 1985 gehörig durcheinander gewirbelt, so dass dessen Neufassung ein neues Gesicht zeigt. Verglichen mit der ersten Version fällt die neue kürzer aus und kompakter. Vor allem die historischen Kapitel, die von den Pionieren des Flugwesens erzählen, sind gestrafft worden. Hänny hat den Roman stark beschleunigt, indem er ganze Absätze strich, etwa solche, die von Blériot und Konsorten erzählen. Demgegenüber verlieh er der Beschreibung des adoleszenten Lesers mehr Gewicht und bettete die Reminszenzen an den Kindertraum vom Fliegen noch dichter in schlingernde, artistische, hochpräzise Satzschlaufen ein.
Der Ich-Erzähler, der zu Beginn des Buches für einen Flug über die Alpen eincheckt, hebt in der Maschine selbst zu einem Erinnerungsflug in die eigene Kindheit ab. Er zählt sich nicht zu den kühlen Machern, denen das Fliegen längst zur alltäglichen Gewohnheit geworden ist. Noch immer spürt er in sich den "ikarischen Traum" – und stürzt gleichzeitig in Erinnerungen hinab, ins neblige, dunkle Tal, in dem er einst "zu Geborgenheit verdammt in der Stube ausharren" musste, sehnsüchtig hoch blickend zum Post-Flugzeug, das allabendlich "unterwegs nach Süden jedenfalls; ins Licht und in die Wärme" seine Bahn über die Alpen zog.
In der Bezwingung der irdischen Schwere tritt dem Erzähler die Kindheit des Flugwesens ebenso vor Augen, also die Ära Blériots, wie die Flugträume der eigenen Kindheit. Er flucht und lästert jedoch nicht wie Jean Pauls Luftschiffer Gianozzo in seinem "Siechkobel" über die kleinliche Welt, sondern lässt sich hinwegtragen in widerstreitende Gefühle, in denen sich die offenen Phantasiehorizonte mit der Engnis zwischen den hochragenden Bergen.
Aus retrospektiver Sicht versucht er die drückenden Empfindungen und das Scheitern der kindlichen Höhenflüge zu verstehen. Und er fragt sich, warum die biedern, braven Bürger fortwährend versuchten, sein Anderssein zu verhöhnen und ihm "das Denken, das Gedächtnis zu zerschlagen, ein- für allemal; wie einem aus dem Stall gezerrten Kaninchen". Er wurde klein gehalten: "an entscheidender Stelle blieb ihm der Zutritt verwehrt".
Weshalb wollten ihm sie den Traum vom Fliegen austreiben, wo doch nur zwei, drei Generationen früher ihre Vorfahren den Traum vom Fliegen mutig in die Tat umsetzten. Blériot beispielsweise, der sich nach seiner erfolgreichen Kanalüberquerung allerdings als ruhmreicher Pionier im Dienst des militärisch-industriellen Komplexes herumzeigen liess und sich nur spät nachts hin und wieder leise fragte: "Kann ich überhaupt fliegen, oder habe ich es nur als Kind gekonnt, wie alle".
In dieser Kernfrage begegnen sich der Pionier und der Erzähler, der auf dem Flug über die Alpen das Staunen noch nicht verlernt hat.
"Flug" ist auch in dieser Neufassung ein fesselndes Buch über den Traum vom Fliegen und die Lust daran; aber auch über die Angst der Erwachsenen vor solchen Träumen. Hännys Sprachartistik, seine insistierenden Wiederholungen und ausgedehnten Abschweifungen, seine unvermittelten Assoziations- und Erinnerungsschübe, die langen Kettensätze spiegeln einen Erzählprozess ab, der nicht vorgibt, die Worte schon zu haben. Der Erzähler muss die eigene, ihm zugehörige vielmehr unaufhörlich suchen und durch sie hindurch die Vergangenheit und Gegenwart. Diese Widerständigkeit ist auch der Neufassung erhalten geblieben.
Mit Recht setzt Samuel Moser in seinem schönen Nachwort ein grosses Ausrufezeichen dahinter: "Es ist tollkühne Literatur – Aviatur!"
Reto Hänny: Flug. Roman. Neufassung. Bibliothek Suhrkamp, Frankfurt 2007. 262 Seiten.
Beat Mazenauer
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Sprachliches Furioso - Reto Hännys Bücher, (Beat Mazenauer) |
1979 debütierte er mit "Ruch. Ein Bericht". Ruch, Anagramm für Chur, ist eine Provinzstadt, in der der Ich-Erzähler wie einst Hänny als Bühnenarbeiter am Theater tätig ist. Im Wechsel von kurzatmigem Stakkato und weiten rhetorischen Schlaufen bricht er in seinem Bericht stürmisch in die scheinbar festgefügte, satte Kulissen- und Postkartenwelt ein. "Die Wut im Bauch nicht ersticken", bestimmt der Erzähler selbst sein sprachliches Furioso: "Schärfer werden, unbedingter, nicht unbestimmter; die Spuren hinterlassen, die Oberfläche durchstechen durchstossen durchbrechen einbrechen und zertrümmern..." Sein aufgewühlter Bericht ist zugleich Dokument der Wut wie der Ohnmacht, die sich zu entfesseln sucht. Von letzterer ganz durchdrungen ist auch das während der Krawalle 1980 entstandene Buch "Zürich, Anfang September". Hänny geriet damals als unbeteiligter Passant in die Polizeimaschinerie und beginnt das Vorgefallene aufzuzeichnen, "bevor die Euphorie, dass man draussen ist, einen Teil der Erinnerung löscht". In leidenschaftlichen Satzkaskaden wirft er seine Wut denen entgegen, die ihn mit Knüppeln traktieren. So wird der Beobachter zum Beteiligten und schliesslich zum Chronisten, der aus nächster Nähe festhält, was die Geschichte schnell wieder verdrängt.
Nachdem Hänny in "Flug" im doppelten Wortsinn in die Luft ging – und damit an die Wut in den beiden ersten Bèchern anknüpfte –, begegnete er seiner Kindheit auf neuerliche Weise 1989 im Bericht "Am Boden des Kopfes. Verwirrungen eines Mitteleuropäers in Mitteleuropa" – einer Reise nach Polen an die Peripherie Europas. Hänny ist Besucher aus einem ebenfalls "randständigen Land, das sich aus der Geschichte ausgeklinkt hat", und geniesst es, weg zu sein von seiner Heimat, die "man gerne für einige Zeit misst" und doch nicht vergisst. Aus der (Flug-)Distanz reizt ihn der Blick auf die Fremde wie auf das Eigene zuhause, auf dessen "brave Bürger" und "verbretterte Enge". Der ermordete Arbeiterpriester Popieluszko zum Beispiel ruft Erinnerungen an jene Schläge hervor, die er in Zürich 1980 auf den Schädel gebrannt bekam. Privatheit und Öffentlichkeit, Heimat und Ferne, das Eigene und das Fremde verweben sich so in vertrackten Satzknäueln.
Stets erweist sich Hänny hier als schonungsloser Beobachter, der gerade auch sich selbst beim Beobachten nicht schont. Ein diesem Reisebericht nachgestelltes Motto von Zbigniew Herbert kann für sein gesamtes Schaffen gelten: "der ungewissheit klarheit möchte er treue halten". Provozierend ungeschminkt hält er sich daran.
Nachdem er 1994 in Klagenfurt für den Text "GUAI" den Ingeborg-Bachmann-Preis zugesprochen erhielt und von der Jury für seine schockhafte schneidende Präzision gelobt wurde, erschien dieser Text wenig später als Teil im Buch "Helldunkel", einem Bilderbuch ohne Bilder, dessen Präzision und Ungerührtheit eine von Menschen entleerte Welt widerspiegelt und sie zugleich hintergeht.
Sein Chiaroscuro fand Hänny in yces "Ulysses" oder im blitzenden Lichtspiel von Metallgeräten, die Hans Danuser photographisch festgehalten hatte und die Hänny wiederum "in der eigenen Sprachdunkelkammer" weiterbearbeitet und daraus "Pasticci und Paraphrasen" generiert hat. Handlung findet sich darin nur flüchtig, ¨berwiegend hält sich der Autor an seine Vorlagen. Er beschreibt sie mit sezierender Schärfe, fusioniert sie eigenwillig und verdichtet sie zu hochartifiziellen und versponnenen Sprachräumen.
Die Fotografien gerinnen zu Wortlandschaften und die Literatur erhält in bildlicher Umschreibung quasi surrealistische Plastizität. Denn auch die Vertiefung im harten Licht grösster Faktizität übersteigt die Wirklichkeit, so wie wir sie zu sehen gewohnt sind. Mit klinischer Präzision und frei von aller Sentimentalität evoziert "Helldunkel" in langen, atemraubenden, verschachtelten und nach hinten oft punktlos offenen Satzkaskaden und manieristischen, rhythmisierten Wortwindungen eine schauderlich kalte Licht- und Schattenwelt. Beschreibend versucht sie Hänny zu bannen. Wie ein heller Lichtpunkt leuchtet zwar einmal der Satz "Dann plötzlich, ein Mensch" auf: Ecce homo - doch tot und auf dem Sezierbrett festgezurrt. Am Leben sind hier bloss die gelangweilt dabeistehenden Wächter.
Beat Mazenauer
Page créée le: 15.08.07
Dernière mise à jour le: 15.08.07
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