Der Missstand bestand seit langem, aber erst vor zwei Jahren
wurde er aufgedeckt und öffentlich gemacht : Die Stadt
Basel, Metropole mit renommierten Firmen, Fussballern, Architekten,
Museen sowie einem berühmten Gebäck hat keinen
international gültigen literarischen Leistungsausweis.
Sie verfügt über keinen Basler Stadtroman.
Im folgenden wird ziemlich oft das
Wort Basler auftauchen. Es ist unumgänglich. Denn um
den Schandfleck zu tilgen, tat sich ein privates Basler
Sponsorengremium mit dem Basler Literaturhaus zusammen und
schrieb einen Roman aus. Einen Basler Roman. Nein, den Basler
Stadtroman. Das heisst - der Hinweis auf Döblins Berlin,
Joyces Dublin und Musils Wien in der Ausschreibung war deutlich
- den Roman einer Stadt von Rang. Die Sache war den Gönnern
attraktive 30'000 Franken wert.
Was das "Tabakskollegium"
sich von seiner Aktion genau versprach, darüber kann
man im nachhinein nur rätseln. Einen Roman, der in
Basel spielt? Das tun die Hunkeler-Geschichten von Hansjörg
Schneider zur allgemeinen Zufriedenheit. Eine heimische
Kulisse als Hintergrund für ein bedeutendes Geschehen?
Die Kulisse existiert, prominent genug, in Hesses Steppenwolf.
Basler Köpfe, künstlerisch verewigt? Die blicken,
wenn auch als Karikaturen, seit Arnold Böcklins Zeiten
auf die Stadt hernieder. Fragen wir nicht weiter. Man schreib
aus, man las. Man urteilte, man wählte. Ein Wiener
sollte es schliesslich richten, Eberhard Petschinkas Projekt
überzeugte die Jury. Zumindest dessen erste 18 Seiten.
Als das Werk Ende 2002 vorlag, war die Verlegenheit gross.
Man hatte einen schönen Titel, Zcirkus
der Wünsche. Aber nicht den Basler Stadtroman.
Shit.
Dass der Autor mit seinem Opus trotz
geflissentlichem Nennen von Basler Ecken die "Tout
Bâle" - Quote nicht erreicht hatte, war schlimm
genug. Musste er sich über die Ausschreibung auch noch
lustig machen? Er habe gar nie im Sinn gehabt, einen Stadtroman
zu schreiben, liess er verlauten. Starker Tobak. Zwar mag
man sich in der Tat nur schwer vorstellen., Dos Passos habe
sich mit der Absicht an den Schreibtisch gesetzt, den New
Yorker Stadtroman zu schreiben. Und wer würde behaupten,
Der Glöckner von Notre-Dame
gehe auf den Entschluss Victor Hugos zurück, einen
Stadtroman in die Welt zu setzen. Aber die beiden schrieben
auch nicht den Basler Stadtroman, für den ganz andere
Gesetze gelten.
Petschinkas Beleidingung konnte man
nicht auf sich sitzen lassen. Man quittierte sie, in den
Worten eines Jurymitglieds, mit einem "knallharten
Grosstadtentscheid". Die Lesung im Theater Basel wurde
kurzfristig abgesetzt. Die Lesung im Literaturhaus geriet
zum Tribunal der Jury, die den Autour vor versammeltem Publikum
zur Rechenschaft zog. Die zweite Hälfte des Preisgelds
werde, teilte man dem erstaunten Gewinner mit, nicht ausbezahlt.
Übrigens, was kommt im Buch
eigentlich vor? Unter anderem ein Maler (geil und potent)
mit Atelier; ein Auftraggeber (reich und verliebt); mehrere
Modelle (hübsch und willig), ein Quartier (Drogehhandel
und Strich); Weltpolitik (Krieg und Gewalt). Gewürzt
mit einer Prise Homoerotik, einem Hauch Kinderporno. Ein
Stadtroman? Vor zwanzig Jahren würde man ihm urbanen
Chic attestiert haben. Vor zweihundert Jahren hätten
seine kulturkritischen Bemerkungen ("basel - eine prächtige
kulisse. wenn man das mittelalter liebt") beim Lesen
ein Schmunzeln entlockt.
Zählen wir alles zusammen. Erstens,
wir haben einen Roman. Zweitens, wir haben einen Basler
Roman und eine literarische Posse dazu. Drittens wir haben
- ei, da fehlt doch was? Genau. Die Stadt.
Rudolf Bussmann
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