Christina Buchmüller Christina Buchmüller / Anders Christina Buchmüller geboren 1948, lebte fünfzehn Jahre lang in Paris. 1991 kehrte sie in die Schweiz zurück. Ihr erster Roman "Winterhaus" (1996) wurde mehrfach ausgezeichnet. Der Roman "Anders", ihr aktuelles zweites Buch, ist mit dem Förderpreis des Kuratoriums Aargau ausgezeichnet worden. Christina Buchmüller lebt in Zofingen.
Die Suche einer Frau nach ihrem Ort in der Welt und im Leben, eine Suche nach Liebe beschreibt Christina Buchmüller in ihrem zweiten Roman. Ein stilles, überzeugendes Buch. Verloren im Leben, in der Liebe Urs Bugmann Mit achtzehn erwählt sich Mona einen, der sie lieben soll. «Ich sass im Café und sah den Leuten beim Leben zu, dachte an Mutter, als hätte ich sie gekannt. Sie muss an Heiners Verachtung gestorben sein. Mir durfte so etwas nicht geschehen, ich würde mich an keinen verlieren. Doch es lockte mich, Frau zu sein. So verfiel ich auf Anders. Mit ihm ginge es, er sollte es tun, an Weihnachten in Zürich. Das schrieb ich ihm.» Heiner, Monas Vater, lebt nach dem Tod der Mutter mit wechselnden Mätressen so nennt sie die Tochter. Für ein Jahr hat sie in Paris gelebt, als Kindermädchen. Paris bleibt ihre Sehn sucht, auch solange sie in Zürich lebt, weit entfernt von diesem Sehnsuchtsort, weitab von Wien, wo Anders als Schauspieler engagiert ist. Eine Liebe auf Distanz, die nicht zur Abhängigkeit wird, aber auch nicht freilässt die Liebesnacht mit Dahl, einem nur vage gekannten Freund, den es immer wieder zu weiten Reisen forttreibt, wird zum Desaster für Mona. Ihr Alleinsein wird ihr nur trauriger bewusst. Spiegelungen Dahl hatte ihr eine Katze anvertraut, Nur, mit ihr verbindet sich Mona, wie es ihr mit keinem Menschen, keinem Mann gelingen will. Eine Anhänglichkeit, ein Abhängigsein, das sich leben lässt. Nurs Sterben ist in diesem Roman gefühlsintensiv wie nichts sonst beschrieben, «auf ovalen Pfoten» geht diese Katze durch das Buch, als ein Leitmotiv, als seine emotionale Mitte. Oder besser: Diese Katze gibt den Spiegel ab, in dem sich Mona zeigt. Deutlicher als in den Bildern von Albrecht, die Narziss und Echo zeigen, als in dem alten, eingetrübten, fleckenweise blind gewordenen Spiegel, den sie im Brockenhaus entdeckt hat und in ihren wechselnden, behelfsmässigen Wohnungen aufstellt, wird die Frau, deren Geschichte zwischen zwanzig und fünfzig dieses Buch erzählt, im Gegenüber dieser Katze erkennbar, in ihr erkennt sie sich selbst. Mona lebt auf sich gestellt, den Kontakt zum Vater hat sie längst abgebrochen, sein Tod betrifft sie kaum. Sie beaufsichtigt eine Galerie, die niemand besucht, sie reist nach Wien zu Anders, versucht anzuknüpfen an eine Beziehung, die einmal wie selbstverständlich war und doch weder Sicherheit kannte noch ein Wort, das Zukunft heisst. Er findet andere Frauen, sie tut sich mit anderen Männern schwer, bleibt die Einzelgängerin, ein katzenhaftes Wesen mit Augen, in denen die Pupillen in Flecken zerbrochen sind. Ihr Blick fällt aus ein ander, ihr eigenes Bild von sich ist nicht einheitlich, es ergibt keine Gestalt. Das Unbestimmte Vor vier Jahren hat Christina Buchmüller ihren ersten Roman vorgelegt: «Winterhaus», eine Generationen geschichte, damals schon ein Buch über ungelebtes Leben und versäumte Beziehungen. Der zweite Roman der 1948 geborenen Autorin ist ein ausgereiftes Buch, streng kontrolliert in seinen Mitteln, nah fokussiert auf die Hauptfigur. Ihre Wahrnehmung bestimmt die Welt, die in diesem Buch vergegenwärtigt, gefühlt und erdacht wird: «Immer im Wissen, dass mein Gehirn ein Ungeheuer war. Was es ersann, fand statt.» Der Satz spricht einen Zwischen bereich an, eine Sphäre der Ahnungen, von Spukerscheinungen oder auch nur bis ins Krankhafte sensibilisierter, über steigerter Wahrnehmung. Christina Buchmüller fasst diese Sphäre des Unbestimmten ebenso präzise wie massvoll. Obgleich diese unscharfen Ränder in ihrer Geschichte allgegenwärtig sind, wirken sie nirgends aufdringlich oder aufgesetzt. Das ist überhaupt ein Merkmal dieses Romans, dass seine Mittel mit hohem Bewusstsein für Mass und Wirkung eingesetzt sind. Es mag zu Beginn die Lektüre erschweren, dass die Züge der Geschichte sich erst allmählich ausformen, dass zunächst mit der Gefühls intensität eines Traumbildes Atmosphäre geschaffen, das Konkrete erst allmählich fassbar wird. Es bewahrt dagegen die Autorin durch den ganzen Roman hindurch vor jeder schwelgerisch ausgekosteten Sentimentalität. Sie findet die genaue Mitte zwischen kühler Beobachtung und intensiver Anteilnahme, zwischen Andeuten und Ausformulieren. Offenbaren und verhüllen Hier vertraut jemand auf seine Sprache und ihre Mittel, organisiert die Geschichte nach verborgenem Plan auf Verbindungslinien, die die Bezüge unaufdringlich mitklingen lassen. Es ist die hohe Kunst der Zurückhaltung und dabei durchaus kein Buch, das seine Figuren distanziert dem Leser aussetzt. Es fordert Einlassen und Anteilnahme, offenbart und verhüllt oft im selben Atemzug. Monas Geschichte wird nicht entlarvt, nur kenntlich gemacht, diese Frau, die ihre Gegenwart nicht ins Künftige weiterdenken kann, die in Erinnerungen befangen bleibt und vor jedem Loslassen genauso zurückschreckt, wie sie das Festhalten nicht wagen will, wird nicht vorgeführt und denunziert, sondern in einer Charakterstudie subtil ausgeleuchtet immer im Bild, in ihrer Geschichte, nicht in abstrakter Reflexion oder kommentierender Bewertung. Das ist ein stilles und sehr reichhaltiges Buch, ein zweiter Roman, der allen hohen Erwartungen aus dem ersten Recht gibt. Urs Bugmann Christina Buchmüller: Anders. Roman. Pendo Verlag, Zürich 2000. 160 S., 29.80 Fr.
Christina Buchmüllers Zweitling «Anders» Ein atmosphärisch dichter Roman Traugott Weisskopf Der zweite Roman der aargauischen Schriftstellerin Christina Buchmüller hebt sich deutlich von ihrem Erstling «Winterhaus» ab. Ihre Sprache ist noch konziser, noch ausgefeilter geworden. Mit nur wenigen Strichen wird schon auf der ersten Seite eine ausserordentlich dichte Atmosphäre geschaffen. Mit allen Sinnen nimmt man beispielsweise das ganz Besondere einer Mansardenwohnung wahr. Abschnitt für Abschnitt ist präzise modelliert in Sprachmelodie und Rhythmus. Auf diese Weise wird das Ganze zu einem sich behutsam entfaltenden Kunstwerk über den Reifeprozess einer jungen, weltoffenen Frau. Im ersten Buch erzählt die Protagonistin Mona ihre Erfahrungen im Künstlermilieu. Ihr Freund Anders ist anerkannter Schauspieler, der in Zürich, Wien und München seine Engagements hat. Ein überschaubarer Kreis von weitern Personen wirkt mit unterschiedlicher Intensität in das sich stetig verändernde Beziehungsgeflecht ein, so die Hausbesitzerin («Ihre Bühne war das Treppenhaus, die Mieter ihr Publikum»), der erfolgreiche Maler Albrecht mit seiner Frau Ilse, der Häusermakler und Galeriebesitzer Hugo mit Lili, der Weltenbummler Dahl mit seiner ehemaligen Frau Judith und der Siamkatze «Nur». Die genau beobachtende Ich-Erzählerin ist scheinbar anpassungsfähig und geduldig-verstehend: «Es lockte mich, Frau zu sein.» Doch untergründig bahnt sich etwas an, was nur in wenigen Andeutungen an die Oberfläche drängt, oft auch in Verrätselungen stecken bleibt. Entscheidungen bereiten sich vor, haben ihre Ursache im Fernabliegenden, wobei sich das Wesentliche vorwiegend zwischen Frauen abspielt. Die Männer sind im Irrglauben befangen, ihre Freundinnen nach ihren Vorstellungen modellieren zu können. Sie habenimmer noch nicht begriffen, dass die Frauen bedeutend mehr sind als nur Spielobjekte. Als Anders, von seinen auswärtigen Verpflichtungen entbunden, wieder zurückkehrt, ergibt sich nicht ganz unerwartet eine neue Situation: Er «lebte sein neues Leben mit seiner neuen Frau». Der Aufbruch nach Paris im zweiten Buch wird auch dadurch markiert, dass die Ich-Erzählerin zurücktritt und nur mehr distanziert über Mona und ihre veränderte Umgebung berichtet wird. Das Hotel «Egalité», weitgehend für Aussenseiter bestimmt, nimmt Mona auf. Nach einigem Auf und Ab und Hin und Her findet sie endlich eine Wohnung und eine Arbeitsstelle in einer Werbeagentur für Models, sie wird «Reisende in Sachen Mädchen». Die Turbulenzen gehen jedoch weiter. Verschiedene Männer und Frauen greifen in ihr Leben ein. Ihre Lage spitzt sich noch dadurch dramatisch zu, dass ihr Leben in der Grauzone ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung durch Fremdenpolizei und Steuerbehörde bedroht wird. Dank dem Regimewechsel werden die unzähligen «Schattenarbeiter» legalisiert, was auch ihr zugute kommt. Wird sie aber weiterhin zum Spielball fremder Interessen und Gefühle oder taucht endlich «der erste Mann, der einem ernsthaften Vergleich standhält», auf? Mit Ruben, einem politischen Flüchtling aus Argentinien, der sie auch mit der Literatur seines Heimatlandes bekannt macht, setzt die Umkehr ein: Mona «hatte zugenommen an Einsicht und Stolz». Im Rückblick muss sie erkennen: «Jahre habe ich im Stillstand verbracht, im Untergrund, während Anders vorankam.» Nach etlichen Umwegen und Irrtümern, nach manchen Beziehungen, die aufblühten und sich wieder lösten, vollzieht sie den Aufbruch zu sich selbst und ihrer bewusst gelebten Eigenständigkeit. Ohne jede Bitterkeit, nur mit einer leisen Melancholie, dem Kennzeichen der Reife, erkennt sie, wie viel sie von sich gegeben und wie wenig sie erhalten hat. Christina Buchmüllers neuer Roman lebt
fast ganz aus der gebändigten, beinahe unterkühlt zu nennenden
Stimmung. Der verknappende Stil erzeugt eine eigene Poesie und fordert
die Leserinnen und Leser heraus, sich mit der eigenen Phantasie an diesem
eindrücklichen Selbstfindungsprozess zu beteiligen. Ob die Heimkehr
zu den Wurzeln ins Haus des verstorbenen Vaters den endgültigen Aufbruch
zu neuen Ufern ermöglicht, das ist die bohrende Frage, die man an
das Schicksal dieser sich selber suchenden Frau stellt. Traugott Weisskopf Christina Buchmüller: Anders. Roman.Pendo Verlag, Zürich.187 Seiten. Fr. 29.80.
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