In breve in italiano
"ÜBERALL hat Rhythmus, Klang und Farbe." Mit einem Sprach-Manifest hat die Gruppierung "Bern ist überall" vor fünf Jahren den Anspruch erhoben, mit Spoken-Word-Performances auch literarische Akzente zu setzen. Die Sprache muss laut ausgesprochen werden, denn "Sprachen entfalten sich im Mund".
Spoken Word als Programm
Die Gründungsmitglieder von "Bern ist überall" stammen – wie es der Name sagt – vornehmlich aus Bern und Umgebung, entsprechend bildete anfänglich der Berner Dialekt ein gemeinsames Band. Die 2006 im Berner Kultur-Café Kairo aufgezeichnete Debüt-CD demonstriert den Variationsreichtum dieser Einheit. Sprachliche Spielereien, witzige Alltagsgeschichten und chorische Refrains folgen sich im schnellen Wechsel.
In eigenwilligen Listentexten zeigt Beat Sterchi, wie ausdrucksstark die Dialektsprache sein kann, aber auch wie floskelhaft in unserer Alltagskommunikation. "Ghörsch mi? Ghörsch mi nid? Du ghörsch mi nid! Ghörsch mi itz? Itz ghörsch wyder nüt." Wir alle kennen solche Situationen, nur selten jedoch empfinden wir sie als poetisch. "Wohär chonnt d'Sprach? Wo geit sie häre?" fragt Guy Krneta in seiner Reflexion über "ds Wort Wort". Aus dem Mund kommt sie, klar – wie aber kommt sie da hinein? Sicher ist nur: Sprache muss heraus, muss gesprochen sein.
Aus dem Berner Rahmen fällt der in Biel wohnende Michael Stauffer mit seinem angestammten spitzen Thurgauer Dialekt. In seine dadaistischen Performances mischt er nur zu gerne auch französische Accents oder rotzfrechen Yugo-Slang: "Allah isch Chef u fertig".
Bern partout
"Bern ist überall" funktioniert so auf zwei Ebenen. Es geht einerseits um den Dialekt als poetische Kunst und andererseits um deren laut gesprochenen Vortrag. Live auf der Bühne gelangt beides zur Deckung. Die Lebendigkeit der Texte beruht dabei nicht zwingend auf der berndeutschen Färbung. Wichtiger ist, dass Autor und Sprache eins sind, dass der Autor der Sprache nach dem Mund redet. Naturgemäss funktionieren pointierte Texte dabei am besten.
Auf ihrer zweiten CD präsentiert sich das Autorenkollektiv in verändertem Klangbild. „Notre langue est partout“ – ergänzte "Bern ist überall" 2008 ihr Programm. Die beiden Romands Daniel de Roulet und Noëlle Revaz brachten neue Sprachfarben ins Spiel und weiteten die Berner Perspektive partout ins Partout. Revaz' „Fritz“, qui jutz et fait le putz, ist ein verschmitztes Spiel mit einem „frallemanden“ Idiom, das tout à fait französisch ist und manchmal doch wortmalerisch deutsch klingt. Und Daniel de Roulet dekliniert den „Nom de bleu“ durch alle Böden: Mon dieu!
Was im Grund einfach wirkt, mutiert unversehens ins Komplizierte. Beat Sterchis simple Zerlegung „Inne u usse“ erweist sich als eine dialektal wie dialektisch furiose Sprechfigur. In „Provokazione!“ steigert Guy Krneta solche Vertracktheit, indem er die Provokation vom Kunstwerk spitzfindig auf den Betrachter hinüber wandern lässt. Das Publikum ist stets Teil der Kultur, erst recht bei live-Veranstaltungen.
"Bern ist überall" ist Klang. Dazu trägt seit den Anfängen die musikalische Begleitung durch Akkordeon, Bass und Schlagwerk ihren Teil bei. Die kurzen Zwischenspiele unter dem durchnummerierten Titel „Isch das ke Politik?“ signalisieren, dass trotz Kalauer, Wortwitz und „compétence linguistique“ dem Projekt „Bern ist überall“ durchaus ein politischer Impetus zugrunde liegt.
Auch Kinder gibt es partout
Für Lautpoesie und Wortspiele sind Kinder erst recht empfänglich. 2008 erschien "Tomate uf de Ohre". Die Audio-CD öffnet die gesamte stilistische Bandbreite an Texten und Formen zwischen dadaistischem Nachäffen und ironisch-lehrhafter Botschaft. Pedro Lenz erzählt eine ganz alte Geschichte vom „Buechstabe Franz“, die eine verschmitzte Moral bereit hält. Genau darauf verzichtet Michael Stauffer . „Was bisch du für en Aff?“ fragt er unverfroren und dekliniert im schnellen Sprechgesang alle möglichen Variationen durch, vom „Müesli-Aff“ zum „Sött jetzt go Aff“. Der kindliche Hang zum Repetitiven kann daran seine helle Freude haben.
Dass die eine oder andere Geschichte auf dieser CD Fragezeichen setzt bezüglich ihrer Kindertauglichkeit, hat auch damit zu tun, dass sich die Lautpoeten von "Bern ist überall" nicht extra für ihr junges Publikum verbiegen. Sie präsentieren ihnen, was sie auch den Erwachsenen vorsetzen, allenfalls thematisch variiert.
Dies trifft auch auf die 2010 erschienene CD "Verruckti Tier" zu, auf der alle Beteiligten ihre je unverwechselbaren Handschriften verraten. Die Lust an der Sprache und an guten Geschichten kennt kein Alter. Kevins missratener Zaubertrick von Gerhard Meister oder Lily, die ihr Zelt nicht mehr verlassen will, wie Elsa Fitzgerald erzählt – solche Geschichten schliessen an absurde literarische Traditionen an.
In einem Punkt geht diese CD einen Schritt weiter als "Tomate uf de Ohre". Mit zum Programm gehört hier auch Frühfranzösisch mit Noëlle Revaz – und sogar Frühromanisch, wie es Arno Camenisch dem Publikum vorträgt. Das klingt irgendwie zwar völlig schräg und fremd, spätestens aber mit den "dues stgatla s cun iswürfelis", die den Kühlschrank füllen, hebt sich das Verstehen in einem kindlichen Lachen auf.
Allerhand Pflanzliches
2009 gastierte "Bern ist überall" im Botanischen Garten in Bern für ein speziell pflanzliches Programm. Auf seiner Aufnahmen lassen acht Autoren und Autorinnen zweisprachig die Gartenwelt hochleben. "böim si böim si böim si böimig" reimt sich Beat Sterchi sein Lob zusammen. Der heile Ziergarten nährt hörbar das poetische Feuer, doch er provoziert auch heikle Fragen, etwas bei Guy Krneta. Wer bricht den Aronstab über wem? Und müssten die unverständlichen Namen nicht generell dem Zeitgeist angepasst werden? Der altbackene Rittersporn hiesse demnach nur noch "Stick", und so weiter.
Die heilsame Wirkung der Pflanzen verpufft erst recht, wenn Michael Stauffer "gopferdammi" ins Fluchen gerät, und Pedro Lenz sich über Rasenteppiche ärgert, die nichts weiter seien als "e lehmgruebe mit echli grüen obendruf". Ein Rasen ist ein Rasen, in diesem Wort hat kein anderes Kraut Platz: "zero tolerance".
Dem Berndeutschen begegnet hier abermals, verstärkt das Französische – mit allen Misshelligkeiten beim Übersetzen. Noëlle Revaz' Picknick unter einem Nussbaum ist nicht ohne Tücke. Ist es nicht eine Birke, oder eine Buche, eine Magnolie wegen der Blüten? Und woher kommen dann die Kartoffeln? Wenn schon in der Originalsprache das richtige Verständnis fehlt – so erst recht im Chor der Nachsprecher von Antoine Jaccoud. Zur "noix" gehört ein "noyer", zur "figue" ein "figuier" – zur "vache" ein "vachier", und zur "calme" die "calmireyer".
Dem höheren Blödsinn sind keine Grenzen gesetzt, schon gar nicht sprachliche. "Verbarium" bietet einen Strauss von oft kurzen, pointierten Texten, die mal einzeln, mal im Chor vorgetragen werden. Zwischen Kultur und Natur, Literatur und Muskulatur, Hamburgur und Reparatur könnte es noch lange weitergehen, rund um die Uhr. "L'homme cherche toujours un equilibre et c'est dur".
Bern ist überall:
Im Kairo. 2006.
partout. 2008.
Tomate uf de Ohre. Spi Spa Spoken Word für Kinder. 2008.
Verbarium ... live im Botanischen Garten Bern. 2010.
Verruckti Tier. 2010.
Alle im Verlag Der gesunde Menschenversand, Luzern – www.menschenversand.ch
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