Über die Rolle der Dichter scheiden sich noch
immer die Geister. Fungiert der Dichter als Sprachrohr
der Götter, zuhause im luftigen Freiraum zwischen
Erde und Transzendenz? Oder ist er, wie Canetti es
ausdrückte, "der Hund seiner Zeit",
der seine Nase in alles steckt, "als hätte
er für das Laster seiner Schnauze eigens laufen
gelernt"? Wohin auch immer diese Frage führt,
solange sie gestellt wird, ist es um die Literatur
nicht übel bestellt.
Dem pflichtet Peter von Matt
bei. Beschlagen mit profunder literarischer Kenntnis
weiss er um die Kraft der Literatur. Ihr steht eine
höhere Wahrheit zu als die des profanen Syllogismus.
Die Literatur gleicht der indianischen Figur des "Trickster":
diesem "Wesen, das überall auf den Grenzen
sitzt und alle Grenzen verwischt". Die Poesie
ist Äusserungsform des zwielichtigen Dazwischen,
in dem die trennscharfen Wahrheiten in Zweifel gezogen
sind.
Um diesen programmatischen
Kern kreisen von Matts Reden und Vorträge. Am
Beispiel des Märchens vom "Froschkönig"
demonstriert er, wie gute Literatur "vom Hereinbrechen
der Wahrheit ins Menschenleben und von der Verwandlung,
die sie bewirkt", erzählt. Diese existentielle
Dimension liegt ihm am Herzen, wenn er zu literarischen
Reflexionen über das Essen, die Liebe, die nächtliche
Unruhe, den Abschied, die Schadenfreude ausholt. Weiter
gesteckte Ziele, etwa das Reisen in unbekannte Gefilde,
liegen ihm dagegen ferner. Von Matt besinnt sich lieber
auf alltägliche Erfahrungen, zu denen die Literatur
eine Ritze zum bessern Verstehen eröffnen kann.
Ihre "Wahrheit beseitigt nicht einfach eine Unwissenheit,
sie verwandelt vielmehr das erkennende Subjekt in
seiner tiefsten Existenz."
Gedanklich und vor allem rhetorisch
grandios ist sein Vortrag "Der blühende
Holzboden" von 2002. Die Aufgabenstellung, im
Rahmen einer Festansprache in "keinesfalls länger
als dreissig Minuten" das Verhältnis von
Wissenschaft und Kultur schlüssig darzulegen,
führt ihn gleich in medias res. Die Kürze
erlaubt keine harte wissenschaftliche Analyse, sondern
lediglich eine weiche kulturelle Deutung. Was nicht
zwingend ein Nachteil ist, denn mit Rückgriff
auf Hobbes und Rousseau gelingt es ihm glänzend,
die Schwierigkeit der begrifflichen Abgrenzung dingfest
zu machen.
Peter von Matt ist ein leidenschaftlicher
Professor gewesen, der allerdings zusehends Mühe
bekundet hat mit dem universitären Betrieb, in
dem "der Designerstudent am Horizonz steht, der
nach fixem Zeitplan zu studieren hat, die Stechuhr
in der Brust". Derart lässt sich nicht Literatur
studieren, sie braucht vielmehr Zeit und Erfahrung.
Das gegenwärtig gepredigte Effizienzstreben hat
ihm den Abschied von der Uni wohl mit erleichtert.
So gut befestigt seine Argumentationen
sind, mit klarer Präferenz für das 18. und
19. Jahrhundert, so wenig hat sich von Matt von aktuellen
Entwicklungen je einschüchtern lassen. Die Tinte
ist ihm heilig, doch - nebenbei bemerkt - ist es ihm
einerlei, ob sie aus der Feder oder aus dem Tintenstrahldrucker
fliesst. Gerade diese Offenheit macht eine Stärke
aus, weil sie Offenheit für die Weiterentwicklung
des Diskurses signalisiert. Mag er mit sichtlicher
Vorliebe Goethe, Hebel und Keller als Kronzeugen heran
ziehen, beweist von Matt doch ausserordentliche Belesenheit
und vor allem hermeneutisches Feingefühl.
Das Hohelied auf den Dichtergenius, den Luftgeist,
der wie Aristophanes' "Vögel" zwischen
Erde und Göttern seine Spiele treibt, reizt allerdings
auch zu Widerspruch. Im göttlichen Homer kann
postmodern gewendet der kreative Sampler erkannt werden,
der aus den Rhapsodien seiner Epoche eine grossartige
Dichtung remixte. Der Vergleich zwischen Dichter und
Flickschuster, den von Matt einmal zieht, um deren
Unvergleichlichkeit festzuhalten, hinkt, weil er ausser
Acht lässt, dass es auch dilettantische Poesiealbumverse
gibt und göttlich bequemes Schuhwerk. Deshalb
ist es gut, dass die Dichter heute "nicht mehr
als Rätsel gelten", sondern als Menschen
mit ebensolchen Erfahrungen.
"Eines ist sicher: Die
reinen Verwalter haben ausgedient". Peter von
Matt selbst geht mit gutem Beispiel voran. Seine Reden
und Vorträge sind stets auch Anlass zur Auseiandersetzung.
Solange diese, so kontrovers wie möglich, geführt
wird, bleibt die Literatur virulent.
Peter von Matt: Öffentliche
Verehrung der Luftgeister. Reden zur Literatur. Hanser
Verlag, München 2003. 280 S.
von Beat Mazenauer
Page créée
le: 27.11.03
Dernière mise à jour le 27.11.03
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