2 Dichter - 2 Poesien
Armin Senser / Kurt Aebli
Das Jahrhundert der Ruhe. Hanser 2003 / Ameisenjagd. Suhrkamp 2004
Armin Senser / Kurt Aebli: 2 Dichter 2 Poesien
"In einer Zeit möchte ich leben, Minerva, in der zwischenNull und Eins einen die grosse Leere überkommt, die Pascal noch zu undeutlich sah. Und das Auge des Forschers völlig konsterniert durchs Mikroskop auf den blanken Horror schielt."
Armin Senser: Jahrhundert der Ruhe. Gedichte. Hanser Verlag, München 2003. 102 S., Fr. 27.20, S. 11.
"Kinder auf der Strasse
machen wenigstens Lärm
Du machst gar nichts.
Du machst Jagd auf Ameisen in der Küche.
Erstaunlich viel
Angriffsfläche, diese
Lebewesen,
und dabei so
klein.
Kurt Aebli: Ameisenjagd. Gedichte. Edition Suhrkamp, Frankfurt 2004. 80 Seiten, 13.90 Franken. S. 26
En bref et en français
Très remarqué il y a deux ans avec son premier recueil, Armin Senser donne à nouveau dans Jahrhundert der Ruhe la mesure de son talent. Dans un vers très libre et des formes ouvertes, jouant avec les hésitations et les incertitudes de ses poèmes ("Sans tremblement, point d'écriture") Senser partage en quatre sections de sombres pensées, de joyeux poèmes d'amour, de mélancolique poèmes de voyage et des confrontations avec des figures telles Schiller, Mandelstam ou Benn.
Dans sa chasse aux fourmis (Ameisenjagd), Kurt Aebli (né en 1955) cherche l'équilibre du "pas un mot de trop". Des poèmes concis, donc, réflexifs, hésitant entre le besoin de dire de leur auteur et ses doutes face à sa capacité de s'exprimer. Ces textes sont marqués par la discretion, presque obsessionnelle, jusqu'à l'effacement du sujet lyrique.
Poetisches Eigenleben
Armin Sensers zweiter Gedichtband
"Um den Anfang zu finden, sollte man das Ende vorhersehen können".
So dichtete vor vier Jahren Armin Senser in seinem Debüt Grosses Erwachen. Verlorne Müh, denn die Macht des Faktischen setzt den Anfang vor das Ende, die Gegenwart vor die Zukunft. Es sei denn, diese Macht würde poetisch unterhöhlt. In Sensers neuem Buch spricht Faust es aus:
Seh Naheliegends kaum. Zwischen nah und fern neigen
die Dinge doch zu einem Quantum an Eigenleben und wichtig
scheint, es ihnen zu gönnen.
Dieses Eigenleben verwandelt der weniger hinschauende als hinahnende Dichter in eigenlebende Worte, in die lyrischen Stimmen eines umgehenden Geistes, der erst zur Ruhe findet in dem Jahrhundert, das ihn vergessen wird. Senser spricht den Gedanken gegenüber einem andern Unruhegeist aus. In der lyrischen Begegnung mit Schiller räsoniert der Dichter im Schatten des Weimarers darüber, wes Geistes Kind der Geist sei, wovon er sich ernähre:
Von Raumabfällen, Abschiedsimmergrün,
von Reiseschimmelpilzen, Liebesnesterschlangeneiern.
Von Gewissenspfefferkörnern.
Derart umschreibt Senser gleich auch das eigne Menü. In vier Gängen serviert er uns dunkle Gedankenlyrik, heitere Liebesgedichte, melancholische Reisebetrachtungen und ehrerbietige Zueignungen an Vorbilder wie Benn, Mandelstam oder eben Schiller.
Sensers Lyrik achtet nicht auf formale Strenge. Melodie und Metrum werden selten durchgehalten, die Reime folgen unregelmässigen Mustern. Darin steckt viel Absicht des Autors, der gern mit gespieltem Ungeschick tändelt. Doch nicht in allen Fällen wirkt das restlos überzeugend. Mit dem Stolpern wachsen auch Unsicherheit und Zweifel. Jahrhundert der Ruhe bezeugt nicht nur hohes poetisches Geschick, sondern auch eine gewisse Unschlüssigkeit. Mit eignen Worten: Ohne Zittern - keine Schrift.
Armin Senser: Jahrhundert der Ruhe. Gedichte. Hanser Verlag, München 2003. 102 S., Fr. 27.20.
Beat Mazenauer
Zusammenkehrverse
Neue Gedichte von Kurt Aebli
Kein Wort zuviel, auch keines zu wenig. Kurt Aebli sucht die optimale Balance zwischen Aufwand und Ertrag. Er träumt von allem, was schweigt, heisst es im neuen Gedichtband Ameisenjagd. Diskretion ist darin eine bedeutsame Stilfigur, eine Obsession:
Magnetisch angezogen
von meiner eigenen Abwesenheit:
auf Diebestour
bei mir selbst.
Solche Selbst-Erkundung ist zugleich Sprach-Sondierung. Aebli beschränkt sich gern auf das einzelne Wort, um sein volles Aroma abzuschmecken. Viele Gedichte bestehen aus aneinander gereihten, losen Setzungen, die frappieren, irritieren, Hallräume öffnen.
Wie ein Kreisel in Erwartung einer grossen Unebenheit.
Wesen ohne Anhaltspunkte.
Der listig veränderte Wortlaut wird dabei zum kieseligen Stolperstein für die Lektüre.
Stilistische Verknappung und Konzentration prägt auch die poetisch erzählenden Texte in diesem Band. Ihn selbst verstimmte die eigene Redseligkeit heisst es einmal. Der Dichter schwankt daher permanent zwischen Ausdrucksbedürfnis und Skepsis gegenüber der eigenen Aussagekraft. Die Sprache richtet sich gegen ihn, das Subjekt, selbst. Spielt ihm mit, bringt ihn schliesslich zum Verschwinden:
Weil mir bald alle Worte fehlen,
kann ich auf einmal
verdunsten.
Dieses Verschwinden, dieser Rückzug in den stillen Winkel, probt Opposition, wie das Selbstgespräch am Abend bezeugt. Während die Kinder draussen lärmen, macht das poetische Du sich auf die Jagd nach Ameisen.
Erstaunlich viel
Angriffsfläche, diese
Lebewesen,
und dabei so
klein.
Im Blick des Jägers formen sich im scheinbar konfusen Gewusel Koinzidenzen von schöner Unvermeidbarkeit heraus. Aebli fängt sie eilig ein, das lange Warten hinter dem Findeglück verbergend. Wegschauen heisst hier aber nicht: ignorieren. Nur: anders sehen, anderes.
Kurt Aebli: Ameisenjagd. Gedichte. Edition Suhrkamp, Frankfurt 2004. 80 Seiten, 13.90 Franken.
Beat Mazenauer
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