Auf Beobachtungsposten in der
Provinz
Gerold Späth legt den ersten
Teil seiner "Aufzeichnungen eines Fischers" vor
Jeanot ist kein Hansdampf mehr wie
einst Unschlecht oder Balzapf, die Figuren aus Gerold Späths
fulminanten literarischen Anfängen. Er greift nicht
mehr fabelhaft ins Geschehen ein, sondern lässt den
provinziellen Alltag ungestört. Jeanot sitzt an seinem
Platz am Ufer des Sees und hält einen Schwatz, erinnert
sich und wirft dazu die Fischerrute aus.
"Man könnte meinen, mit der Zeit werde sowas langweilig.
Aber mir spiegelt das Wasser hier lauter Erinnerungen".
Ganz abgesehen davon, dass die Fischerei jeden Morgen mit
dem ersten Wurf neu beginnt. Jeanot musste sich vor Jahren
frühpensionieren lassen. Die Passion fürs Fischen
kam ihm damals gerade recht. Frei von Ehrgeiz ist er aber
nicht, wie seine Notizhefte demonstrieren. Aufzuschreiben,
was ihm durch den Kopf geht, wird ihm zur heimlichen Lust.
Festzuhalten, wie die "ganze hiesige Menagerie"
an seiner Fischerbank vorüberzieht.
Gerold Späth ist also zurück
in Barbarswila, wie bei ihm die Heimatstadt Rapperswil heisst.
Der Ort, an dem Jeanot sitzt, ist trotz der namentlichen
Maskerade ganz und gar real. Fotos zeigen seinen Platz in
der "Giesse" auf der Rückseite des Schlosshügels;
hier fischt Jeanot und palavert mit Fritz, oder wem immer,
der vorbeigeht. Auch einige der Figuren, die ihm hier begegnen,
wirken sehr lebensecht. Jeanot notiert sich alles auf, und
tut dies auf seine ganz persönliche, unnachahmliche
Weise. Seine Notizen glänzen nicht durch sprachliche
Brillanz, im Gegenteil. Hilfsverben wie "sein"
oder "haben" lässt er gerne weg, als ob ihm
deren Notation zuviel Mühe bereiten würde. Es
sind keine literarischen Tagebücher, die Jeanot im
Sinn hat, sondern eine persönliche Erinnerungschronik.
Gerade dieser Dreh verleiht Späths Buch stilistischen
Reiz und macht es zu Literatur.
Einen Teil des Jahres verbringen
Jeanot und seine Frau Betsy in Irland. So hat Jeanot selbst
Teil an der Unrast, die alle Welt erfasst hat. Während
er bloss die Rute ins Wasser halten will, scheint die ganze
Menschheit auf Achse, irgendwo unterwegs. Eigentlich müsste
Barbarswila längst ausgestorben sein.
Die irischen Notizen geraten Späth nicht ganz so intensiv
und anschaulich wie die vom stillen Gelände am See.
Unter dem Zeichen von Weltläufigkeit geht ihnen die
Barbarswiler Beschränktheit ab, die auch in anderer
Hinsicht Späths Aufzeichnungen prägt. Sie verlieren
sich in der irischen Landschaft.
Politisches aus der grossen Welt gibt es in diesen Aufzeichnungen
nicht. Jeanots Aufmerksamkeit konzentriert sich - ans "Commedia"-Buch
von 1980 erinnernd - ganz aufs Anekdotische und Individuelle.
Dies wirkt umso erstaunlicher, als einzelne Datumsangaben
darauf hinweisen, dass Jeanot seine Notizen im Jahr 2001
macht. Über den 11. September aber kein Wort.
So feiern die "Aufzeichnungen eines Fischers"
mit launiger Gelassenheit das provinzielle Treiben, um es
mit dem Traum von Ferne zu konfrontieren. Jeanot will es
gar nicht mit der anarchischen Umtriebigkeit Unschlechts
aufnehmen - und muss es auch nicht. Ihre Stärke liegt
in der Beschränkung.
Gerold Späth: Aufzeichnungen
eines Fischers (das erste Jahr). Lenos Verlag, Basel 2006.
Beat Mazenauer
Page créée le: 13.07.06
Dernière mise à jour le: 13.07.06
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