Der 1944 geborene Ernst Burren
ist jener Schweizer Autor von Format, der ausschliesslich
in Dialekt schreibt. Sein jüngster Band mit Geschichten
in Solothurner Mundart bestätigt diese kurze und knappe
Charakterisierung.
Sigs wies wöu
Die Dialektsprache neigt unweigerlich
zur Folklore. Ihr breite Melodie rührt heimelig
an, freilich um den Preis, dass sie sich gerne vor den Inhalt
stellt. Seit 30 Jahren unterläuft der im solothurnischen
Oberdorf lebende Ernst Burren diese Gemütlichkeit mit
seinen Geschichten.
Sigs wies wöu, es
geit eim jo ou nüt a tröstet sich der Ich-Erzähler
über das Angebot eines jungen Mannes hinweg, er könne
für zwanzig Franken e geili chatz haben.
Mit einer Floskel mag die Irritation oberflächlich
besänftigt sein, der wartende Mann und seine Frau bleiben
darob dennoch den ganzen Tag deprimiert.
Unter dem Eindruck der kurzen Begebenheit
verliert sogar der Arztbericht, den die Frau erwartet, jede
Bedeutung: villich ischs sowiso besser / wenn mir
zwöi de öppe / chöi verschwinde.
Die Geschichte uf em bänkli
ist typisch für Burrens neue Texte. Der Seufzer besänftigt
die Unruhe, ordnet das Chaos ringsum, doch es bleibt eine
lakonisch zur Sprache gebrachte Resignation zurück.
Hinter der Gemütlichkeit des Idioms steckt die tiefe
Angst über eine Welt, die nicht nur Käuze hervorbringt
und Probleme, sondern grundlegend aus den Fugen geraten
scheint.
Ich glaube, dass zu jedem Menschen
eine grosse Einsamkeit gehört, zitiert Burren
eingangs Jon Fosse. Der Satz gilt für alle seine Geschichten,
gerade weil alle seine Figuren in soziale Strukturen eingebunden
sind. Die Familien erscheinen allesamt zersprengt und zerstritten,
und an der Verlässlichkeit der Freunde muss grundsätzlich
gezweifelt werden.
Lebensangst und Verzweiflung bleiben
jedoch unterschwellig, von Wohlanstand und eigennützigem
Krämergeist unter Kontrolle gehalten. Burren zeigt
die Folgen davon, dass es einen mitunter schaudert. Etwa
wenn ein Paar die Taten eines Krankenpflegers bespricht,
der todkranke Patienten getötet hat: so geits
natürlich nit / me muess do scho / e besseri lösig
sueche. Ohne Scham denken sie auch an die eigene Mutter,
die bald ins Heim muss.
Es wird viel davon gelaufen in Burrens
Geschichten, und viel gestorben. Alles Intakte bricht auseinander,
nur das erzählende Ich und seine Frau bzw. ihr Mann
scheinen unverbrüchlich zusammen zu halten. Ihre Eintracht
lebt von den Geschichten, die um sie herum so passieren,
wie man sagt.
Burren hält es mit mal lakonischer,
mal grausamer Ungerührtheit fest. Dabei verweigert
er sich jeder aufgesetzten Mundartlichkeit. Sprachpflege
ist das letzte, was er anstrebt, vielmehr lässt er
seine Figuren so reden, wie sie es in ihrem Alltag tun.
Die lyrische Form mit freien Absätzen, doch ohne Satzzeichen,
betont die sprachliche Musikalität - und zugleich die
Doppelbödigkeit.
Es kann alles passieren im Leben,
dass es äuä / gar nid eso wichtig isch /
wie gschid dass bisch. Burrens neue Geschichten handeln
viel von Traurigkeit, dagegen hilft die Robustheit des Common
Sense nur mit Not. Der doppelbödige, tückische
Witz, der dabei oft unfreiwilig entsteht, erzeugt ein trockenes
Lachen, das im Halse stecken bleibt.
Ernst Burren: Chrüzfahrte. Mundartgeschichten.
Cosmos Verlag, Muri bei Bern 2003
Beat Mazenauer
Page créée le: 25.06.03
Dernière mise à jour le 25.06.03
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