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Arno Camenisch
Sez Ner. Prosa. Romanisch und Deutsch. Urs Engeler Editor, Basel 2009. 216 Seiten.

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  Arno Camenisch / Sez Ner

 

Arno Camenisch / Sez Ner

 

Arno Camenisch beschreibt in seinem Erstling das Leben von Senn, Zusenn und zweier Hirtenbuben während eines Sommers auf der Alp Stavonas am Fuße des Piz Sezner in der Surselva des Kantons Graubünden. In kurzen Prosastücken erzählt er von Kühen und Schweinen, Katzen und Hunden, der Polenta und dem Käse, dem Alkohol und den Rauchwaren, von Wind und Wetter, Mann und Frau, den Leuten aus dem Unterland und den Bauern aus den Tälern Graubündens. Dass Camenisch seine Texte nicht übersetzt, sondern auf Rätoromanisch und auf Deutsch schreibt, gibt ihnen ihren ganz eigenen Klang, in der Rauheit und Melodiösität, Kraft und Zartheit eine suggestive Verbindung eingehen. Distanz und Nähe sind auch die bezeichnenden Momente von Camenischs Beschreibungskunst: Alles ist sehr nah und genau gesehen, und doch wird nichts bloßgestellt, kann alles diskret bleiben und sich in seiner Unmittelbarkeit bergen.

Sez Ner. Prosa. Romanisch und Deutsch. Urs Engeler Editor, Basel 2009. 216 Seiten.

  Alpidyll mit Röschti aus der Packung (Beat Mazenauer)

In breve in italiano - En bref et en français

„Der Senn hängt an seinem Gleitschirm in den Rottannen unterhalb der Hütte der Alp am Fusse des Sez Ner. Er hängt mit dem Rücken zum Berg, von der Hütte aus hört man ihn fluchen, mit dem Gesicht zur anderen Talseite (...). Der Zusenn sagt, der kommt dann schon wieder, der soll ruhig noch ein bisschen zappeln, wenn er schon nicht drüber gekommen ist.“

Mit diesen Worten beginnen Arno Camenischs prosaische Beobachtungen von einem Sommer auf der Alp. Bauernliteratur ist das offenkundig nicht. „Sez Ner“ schildert eine traditionelle bäuerliche Welt, die sich der Moderne nicht entziehen kann – und dies auch nicht will. Dennoch ist die Arbeit auf der Alp für die vier Sennen und Hirten anstrengend, schmutzig und einsam. Hände werden rissig, die Stiefel füllen sich mit Matsch und Mist. Die Menschen leben einträchtig mit Kühen, Schweinen, Hühnern und Hunden zusammen, zwischen Stall und Hütte herrschen beengende Verhältnisse. Und spätestens wenn wütende Gewitter mit Blitz und Donner über die Berge ziehen, beschleichen mulmige Gefühle auch den modernen Menschen. Dann hocken die vier Sennen und Hirten in ihrem Justy 4WD wie in einem (Faradayschen) Käfig und warten, bis sich die Natur wieder beruhigt.

Scharf und ironisch beobachtet

Arno Camenisch nähert sich dem Treiben auf der Alp Stavonas am Fuss des Piz Sez Ner nicht mit dem Blick des Fremden auf Exkursion. Der nüchterne Beobachter schmiegt sich vielmehr ein in das schlichte Alpleben, das manchmal beinahe archaisch unbescholtene Züge verrät. Nachdem der Senn sich einmal mit Mühe und Not vor dem wütenden Stier in Sicherheit brachte, blieb er erschöpft unter den Säuen liegen, friedlich dösend.

Dennoch ist die Alp kein idyllisches Arkadien mehr, sondern ein Produktionsbetrieb, der frischen Käse ans Unterland liefert. Und spätestens wenn in der Alpwirtschaft „nur Rösti aus der Packung“ auf den Tisch kommt oder der Senn in den Rottannen am Gleitschirm hängt, verflüchtigt sich der Traum vom Naturzustand vollends. Nur die Wanderer finden es an schönen Tagen „uhh schön“ und urchig in den Bergen.

Der Autor hält sich eng an seine Figuren, bleibt aber stets ein Aussenstehender, der viel sieht, einiges erahnt, dennoch das meiste verschweigen muss. So fügen sich die meist kurzen Prosapartikel nie nahtlos zueinander, sondern lassen stets Lücken offen. Diese wirken manchmal haarfein, manchmal weiten sie sich zu ahndungsvollen Abgründen.

„Sez Ner“ ist eine ausgesprochen unaufgeregt und präzis gearbeitete Prosa. Die Liebe zu den Figuren wird dabei nicht ausgestellt, sie bleibt diskret zwischen den Zeilen spürbar. Diesbezüglich entspricht der Text durchaus den schweigsamen vier Männern, die verlässlich ihre Arbeiten verrichten, gemeinsam einen Stumpen rauchen und Einzelgänger bleiben.

„Jetzt ist Ruhe, jetzt ist es still. Eine Fliege surrt um die Köpfe der Älpler.“

Frei von Künstelei verlegt sich Camenischs poetische Prosa ganz auf dieses beinah spröde Beschreiben in betont einfachen Sätzen, die aber immer wieder feine, oft ironische Irritationen bereit halten und stets etwas schwebend Leichtes behalten. Nicht zuletzt deshalb liest sich dieser äusserlich ganz und gar unspektakuläre Text mit Spannung. Darin steckt seine vielleicht bemerkenswerteste Qualität.

Romanisch - Deutsch

„Sez Ner“ liegt als zweisprachiges Buch vor, doch die deutsche und die romanische Version sind nicht identisch miteinander. Camenisch hat sie je eigens verfasst. Ihre Differenzen offenbaren sich bei genauem Hinsehen. Wechselweise fehlen kurze Absätze, und auch innerhalb der Sprachversionen wird die Zweisprachigkeit manifest, wie sie real in der Region Surselva / Obersaxen um den Piz Sez Ner gilt. Camenisch überlässt die Kraftausdrücke ganz dem Romanischen, dafür bleiben Produktenamen wie der „Aebi“ (Landwirtschaftsgefährt) oder der „Rössli“ (Stumpen) dem Deutschen vorbehalten. So behält der Text sein Geheimnis und entfaltet sich ganz erst in der doppelten sprachlichen Wahrnehmung – selbst ohne profunde Kenntnis der romanischen Sprache.

Arno Camenisch: Sez Ner. Prosa. Romanisch und Deutsch. Urs Engeler Editor, Basel 2009. 216 Seiten.

Beat Mazenauer

 

  En bref

In breve in italiano

Bella, la montagna. I turisti passano davanti alla capanna nelle loro scarpe rosse e fotografano l'alpigiano. Lavano le loro scarpe alla fontana, senza pensare che questa fontana è molto più di una semplice decorazione. Quattro uomini condividono, in estate, il rifugio e il lavoro all'Alpe di Stavonas e ai piedi del Piz Sez Ner. Tra loro, la gerarchia è chiara, come confermano tutti i visitatori: si parla male con uno degli alpigiani, si stringe la mano all'altro; si dà una pacca sulla spalla al vaccaro e si fa un cenno con la testa al porcaio. È come un ordine naturale.
In questo primo libro, Arno Camenisch descrive l'estate all'alpe in brevi frammenti di prosa che formano però un insieme preciso. Le dure giornate degli alpigiani e dei mandriani è dipinta attraverso frasi di un'evidente semplicità, ma tra questi passaggi sobri e descrittivi s'insinua una fine ironia che conferisce al testo leggerezza, oscillazione. Ne deriva una certa modernità, che ormai da tempo ha superato il lavoro dei montanari.
Arno Camenisch, nato nel 1978 a Tavanasa, nel Cantone dei Grigioni, studia all'Istituto letterario di Bienne. Il suo bilinguismo (romancio-tedesco) dà al libro uno charme supplementare anche per coloro che non conoscono il romancio.

***

En bref et en français

C'est beau à la montagne, les touristes passent devant la cabane dans leurs chaussettes rouges et prennent l'alpagiste en photo. Ils lavent leurs chaussures à la fontaine, sans songer que cette fontaine est bien plus qu'une simpe décoration. Quatre hommes partagent en été le refuge et le travail sur l'alpage de Stavonas et au pied du Piz Sez Ner. Entre eux, la hiérarchie est claire, et tous les visiteurs venus d'en bas la confirme : on parle mal avec un des alpagistes, on serra la main à l'autre, on tape sur l'épaule du vacher, et on fait un signe de tête au porcher. C'est comme un ordre naturel.
Dans ce premier livre. Arno Camenisch décrit l'été sur l'alpe en courts fragments de prose, qui forment nonchalamment un ensemble précis. Le dur quotidiens des alpagistes et des gardiens de troupeau y est dépeint à travers des phrases d'une simplicité manifeste. Mais entre ces passages sobres et descriptifs se niche une fine ironie, qui confère au texte une légèreté, un flottement. Il en jaillit une modernité, face à laquelle le travail des montagnards a capitulé depuis longtemps.
Arno Camenisch, né en 1978 à Tavanasa, dans les Grisons, étudie à l'Institut littéraire suisse de Bienne. Son bilinguisme (romanche-allemand) donne un charme supplémentaire à son livre – même pour les lecteurs qui ne connaissent pas le romanche.

 

Page créée le: 12.06.09
Dernière mise à jour le: 16.06.09

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