Mit dem Roman Trilogie der nächsten
Ziele legt der in Bern lebende 59-jährige Jürgen
Theobaldy einen Roman vor, der eine brave Beamtenstadt im
Zwielicht zeigt. Unter der geordneten Oberfläche geschehen
finstere Dinge.
Die Beamtenstadt im Zwielicht
Theobaldy gilt gemeinhin als eine
der wichtigsten lyrischen Stimmen der Gegenwart. Vor 30
Jahren begründete er eine neue poetische Sprache mit,
die in der umstrittenen Tradition der amerikanischen Pop-Lyrik
Subjektivität und Widerstand miteinander verknüpfte.
In einfacher Diktion drückten die Gedichtbände
Blaue Flecken und Zweiter Klasse
die rebellischen Impulse aus, die im Indivuum stecken. Diesen
politischen Impetus hat Theobaldy nicht vollends gezähmt,
auch als er sich später stärker an klassischen
Vorbildern zu orientieren begann. Im neuen Roman kommt er
wieder unübersehbar zum Vorschein. Dafür haben
hier die leichten, zuweilen beinahe hymnischen Töne
der letzten Gedichte aus Immer wieder alles
einer düstern Lakonik weichen müssen.
Nebst zahlreichen Gedichtbänden
und ein paar Geschichten hat der Lyriker Theobaldy früher
schon zwei Romane veröffentlicht: die gelobte Milieustudie
Sonntags Kino (1978) und die getadelte Beziehungsgeschichte
Spanische Wände (1981). Mit der Trilogie
der nächsten Ziele betritt er nun Neuland.
Die Stimmung ist düster und
fahl in der Beamtenstadt, die Bern heissen könnte,
und wo unter der ordentlichen Oberfläche finstere Geschäfte
abgewickelt werden. Alles ist von feinem schlierigem Sand
überzogen, der Verkehr steht still, die Sonne zeigt
sich nur als fahler Schatten. Eine Katastrophe von unbekannter
Herkunft droht über die Stadt, die Welt hereinzubrechen.
Mit Hilfe von Asylanten wird in einer Talsenke ein riesiger,
letztlich unnützer Windfang aufgebaut.
Zu dieser Arbeit hat sich auch der
ungenannte Erzähler der Episode Staub aufbieten
lassen. Er ist in die Schweiz geflohen, weil er zuhause
verfolgt wird, weshalb, weiss er nicht recht zu sagen. Im
Asylantenheim hält er sich abseits, anderen Anschluss
findet er aber keinen. Vivia, die er zufällig kennen
lernt, versetzt ihn, und der Ingenieur, auf den er nächtens
trifft, ist tot. So lässt er sich für eine mafiöse
Vereinigung anheuern, um für sie als Kurier zu arbeiten.
Ihm bleibt ein Koffer voller Blüten, als sein Gewährsmann
auffliegt. Koffer wie Mann bleiben in den folgenden zwei
Episoden verschwunden, doch ist von ihnen weiterhin die
Rede.
Zuerst ein windiger Anwalt, Luigi
Bartolani, danach der pflichtbewusste Staatsbeamte Tschuppert
halten die Augen offen und sehen am Ende doch nicht durch.
Ihre Berichte, die sie für sich abfassen, lassen aus
unterschiedlicher Sicht die Machenschaften erahnen, die
sich im Zwielicht zwischen Öffentlichkeit und Halbwelt
abwickeln. Auch wenn die Katastrophe abgewendet scheint,
sich auflösender Beton war die Quelle, bleibt die Stimmung
diffus, uneindeutig. Theobaldy hat einige doppelte Böden
in seine Trilogie der nächsten Ziele eingezogen.
Die drei Episoden ergänzen sich
zu einem schummrigen, ungesicherten Ganzen. Die divergierenden
Teile sind ebenso raffiniert wie unaufdringlich mittels
Zeichen und schattenhaft wiederkehrenden Figuren miteinander
verhakt. Sie verstärken die düstere Lakonik, die
diesen Roman umgibt.
Die Trilogie der nächsten
Ziele wirkt wie in Stein gemeisselt und zugleich aus
Sand gebaut. Sprachlich befleissigen sich alle drei Erzähler
einer beamtenhaften Klarheit, die in der Übersicht
allerdings an Kontur verliert. Zum einen verwischen langatmige,
pingelige Erörterungen über Recht und Ordnung
zwischendurch die übergreifenden Zusammenhänge.
Sie würden durch Kürzung an Prägnanz gewinnen.
Zum anderen stehen sich die Episoden trotz ihrer unterschiedlichen
Erzähler sprachlich sehr nahe. Es bleibt letztlich
unklar, woher der Asylant das ihm irgendwie ungehörige
Idiom hat?
Was trotz ein paar verrutschten Lyrismen
aber merklich glückt, sind die zwielichtige Stimmung
und die düstere Spannung. Theobaldy unterlässt
es gekonnt, in dieser Parabel von den doppelten moralischen
Tanzböden alle Fäden zu Ende zu knüpfen.
Vielmehr ist es so, wie es immer ist: fürs erste ausgestanden.
Darüber hinaus hat niemand nichts geahnt und nichts
gesehen. Solange geht alles seinen rechten Gang in der rechtschaffenen
Beamtenstadt, die keineswegs Bern heissen muss.
Jürgen Theobaldy: Trilogie der
nächsten Ziele. Roman. zu Klampen Verlag, Springe 2003.
240 S.
Beat Mazenauer
Page créée le: 26.05.03
Dernière mise à jour le 26.05.03
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