Alex Capus
Alex Capus: Fast ein bisschen Frühling. Roman. Residenz Verlag, Salzburg 2002. 176 S.

Alex Capus / Fast ein bisschen Frühling

Ein wahres Räuberstück in Basel

Marie und Ernst sind sich ein ebenbürtiges Verlobten-Paar. Kein Zweifel, sie würden sich dereinst das Leben recht schön zur Hölle machen. So ist es gekommen, dass Jahrzehnte später Max Mohn, der für Alex Capus schon die Munzinger-Biographie recherchiert hat, mit den beiden Grosseltern getrennt reden muss. Er sammelt Informationen im Fall Sandweg / Velte, der sich 1933/34 in Basel zutrug. Ernst grollt der Marie noch immer, dass sie damals irgendwie darin verwickelt war. Gewiss, der schlaksige Kurt Sandwerk konnte ein Mädchen derart bezirzen, dass es an ihn denken würde. Auch wenn die weiteren Vorfälle keineswegs gute Erinnerungen hinterliessen.

Abermals hat Alex Capus einen interessanten historischen Kasus dem Vergessen abgerungen. Eine wahre Räubergeschichte, die noch heute das Volksempfinden in Wallung versetzen würde. Kurt Sandwerk und sein Freund Waldemar Velte waren im Grunde zwei herzliche Burschen, letzterer ein wenig düster und verschlossen, was das sonnige Gemüt des anderen aber mehr als wettmachte. In Basel, wo sie im Dezember 1933 ankamen, erregten sie keinerlei Aufsehen; und wenn, dann lediglich bei Dorly Schupp in der Schallplattenabteilung von Globus. Die Art, wie die beiden bei ihr Tangoplatte um Tangoplatte kauften und sie zu Spaziergängen einluden, schmeichelte ihr, ohne dass sie freilich mehr davon erwartet hätte.

Kurt und Waldemar waren Deutsche, aus politischen Gründen verschwiegen sie ihren vollen Namen. Ein bisschen Vorsicht war also am Platz, doch weshalb eigentlich? Dorly Schupp hatte nie etwas zu befürchten, und von der dunklen Seite des Geschehens würde sie erst später erfahren.

Zum Beispiel davon, dass die beiden auf der Flucht waren, weniger vor dem verhassten Naziregime als vor dessen Polizei, die sie wegen eines Banküberfalls mit Todesfolge suchte. Basel war nur Durchgangsstation, doch die nette Verkäuferin bewegte Kurt und Waldemar zum Verweilen. So geschah hier, was andernorts vielleicht zu vermeiden gewesen wäre. Die beiden überfielen abermals eine Bank, mit zwei Toten, in der anschliessenden Verfolgung gerieten noch drei Polizisten in ihr Visier. Dabei waren es eigentlich zwei nette Kerle, der eine lustig, der andere ein bisschen verdüstert durch seine Nietzsche-Lektüre.

„Fast ein bisschen Frühling“ erzählt diese tragische und damals Sensation heischende Geschichte mit Zurückhaltung. Capus enthält sich voyeuristischer Zuspitzungen. Er legt lediglich vor, was einst in den Zeitungen geschrieben und in den Gerichtsakten niedergelegt wurde, ergänzt durch die Befragung von Zeugen. Erzählerische Passagen berichten von den nicht protokollierten Umständen am Rande.

Wirkt das aufzählende Zitieren von verbürgten Quellen mitunter ein bisschen steif und überkorrekt, so verleihen die frei hinzu gedichteten Passagen dem Roman eine Leichtigkeit, die von den Helden jede Schwere nimmt, dafür die Ratlosigkeit über ihr Tun vergrössert. Und indem sie bis heute weiter streiten, stimmen auch Marie und Ernst die Lesenden versöhnlich. Der Schrecken ohne Ende triumphiert über das Ende mit Schrecken.

Gut recherchiert: Alex Capus: Fast ein bisschen Frühling. Roman. Residenz Verlag, Salzburg 2002. 176 S.

Beat Mazenauer (erschienen in: Der Bund)

 

Alex Capus / Mein Studium ferner Welten

Die Bestehung der alltäglichen Abenteuer

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Fremde liegt so nah. Nach diesem Motto hat sich der Lokaljournalist Max Mohn bislang famos darum herumgedrückt, den provinziellen Nabel seiner Welt verlassen zu müssen. Mohn fühlt sich in der mittelländischen Kleinstadt geborgen, schon der Besuch in der Hauptstadt stürzt ihn dagegen in Grundfragen des Seins: Hat er ES, dasjenige welches, was ausmacht, dass man sich zum Beispiel erfolgreich durchs städtische Leben schlägt. Der milde Trotz aus Bequemlichkeit, den Mohns Wesen verströmt, scheint den TV-Nachrichtenchef jedenfalls zu ermuntern, ihn aus einer guten Laune heraus anzustellen.

Max Mohn kennen wir aus Capus früheren Büchern, dem überraschenden „Munzinger Pascha“ und dem verunglückten „Eigermönchundjungfrau“. Mohn ist sich treu geblieben. Die alltäglichen Verrichtungen bergen für ihn genug Abenteuer, die zu bestehen er sich redlich abmüht.

ES zu wissen, ES zu sein war schon immer sein Ziel: ES zu haben, um das Mädchen der Träume zu erobern. Doch was dabei herauskam, ist seither in eine vertrackte, verbrüchliche Ehegeschichte eingemündet.

Träume werden durch das Morgengrauen verscheucht, deshalb hängt Max tagsüber gerne den Melancholiker heraus. In dieser Haltung scheint er ein Mittel gegen die Verzweiflung am provinziellen Biedersinn gefunden zu haben.

Die eigentliche Entdeckung in diesem Erzählband, der sich nicht ganz korrekt „Roman“ nennt, ist aber eine Figur namens Johnny Türler, ein alter Freund von Max, der ihn an die gemeinsame Schulzeit erinnert. Die „mittlere Reife“ schlug Johnny aus, indem er sich als Matrose verdingte und fremde Welten bereiste. Von jedem Ort, an dem er anlegte, zeugt eine Tätowierung auf seinem Körper. Doch seit er vom Schlammwasser des Orinoco eine gefährliche Überdosis abbekam, und deshalb notfallmässig heimgeholt werden musste, arbeitet er im väterlichen Betrieb, der ortsbekannten Confiserie.

Der tätowierte Riese im rosa Schürzchen beim Pralinen-Abzählen bietet ein traurig-lächerliches Bild, das die Integrationskraft des Provinzlebens belegt. Freilich lässt es Capus nicht dabei bewenden. In der abschliessenden Geschichte schickt er Johnny im Namen seines Vaters an die Jahresversammlung des örtlichen Gewerbes, um für das City-Parkhaus zu votieren. Dafür braucht Johnny jedoch erst mal ein Bier, und noch eines und... Auch wenn all seine schönen Reden nie an die Ohren der Gewerbler dringen werden, hat Johnny so seine Würde gewahrt. Mit stumpfen Kopf landet er in der Morgendämmerung in einem Güterwaggon und ein paar Stunden später ausgenüchtert auf einem Abstellgleis irgendwo südlich von Avignon.

Zwischen diesen beiden Johnny-Szenen bewegt sich Max: ein ewiger Junge, ein liebenswürdiger Scharlatan, der die Wirklichkeit am liebsten mit Geschichten garniert. So viel Charakter wie hier hat er in den bisherigen Büchern von Alex Capus noch nicht bewiesen. Der Autor hilft ihm nach Kräften, indem er seine Erzählungen mit Sprachwitz würzt und beschwingt zu einem Abschluss führt. Launige Beobachtungen und skurrile Aperçus ergänzen die komische Palette. Vielleicht ist es nicht hohe Kunst, was Capus in „Mein Studium ferner Welten“ zelebriert, doch seine Humoresken aus der Provinz überzeugen dadurch, dass sie halten, was sie versprechen: eine sehr vergnügliche Lektüre.

Witzig: Alex Capus: Mein Studium ferner Welten. Ein Roman in 14 Geschichten. Residenz Verlag, Salzburg 2001. 208 S..

Beat Mazenauer

 

Alex Capus / Eigermönchundjungfrau

Ein wurstiger Salonlöwe in Provinzdancings

„Am Tag, an dem ich starb, machte ich einen Fehler“. So beginnt die Titelerzählung „Eigermönchundjungfrau“: der Erzähler bestieg in Olten den Zug nach Bern, das ja bekanntlich eine schmucke Stadt ist und einen Bummel unter den Lauben lohnt. Doch dem Besucher behagten die biedere Wohlanständigkeit der Berner sowie die mit Geranien überfrachteten Burgerhäuser mit den postkartengleichen Eigermönchundjungfrau im Hintergrund ganz offensichtlich nicht. Die Menschen erschienen ihm so glücklich, unerträglich froh darüber, „o vo Bärn“ zu sein. Dies brachte seine Darmgase in Wallung und liess den Bauch unerquicklich aufquellen, so dass es ihn schliesslich in die Lüfte hob und er mit seinem Bauchballon der Bundesstadt entflog. Seither kreist er „tiefgefroren durchs All auf der Suche nach jenem Ort, der möglichst weit entfernt ist von Städten wie Bern“.

Diese Erzählung ist typisch für den neuen Band, mit dem Alex Capus seinen Debüterfolg „Munzinger Pascha“ zu wiederholen hofft. Leichthin und unbefangen erzählt sie eine skurrile Geschichte. Auf charmante Weise wird darin das ewige Glück der guten Berner belächelt. Doch der flotte Erzählton offenbart bei näherem Besehen einige formale Schwächen, die sich zwar leicht überhören, doch weniger leicht überlesen lassen. Nicht allein das selige Glück des zittrigen Fixers, über den der geplagte Erzähler stolpert, wirkt etwas angestrengt lustig. In einer Geschichte, wo die Einheimischen Berner Dialekt reden als Ausdruck ihres Glücks, müsste vermutlich auch er nicht „Danke vielmals“, eher „Dankä veumau“ oder so erwidern.

Ein Zeichen der Flüchtigkeit, die einen grossen Teil dieser Geschichten negativ auszeichnet. Über dem munteren Fabulieren hat die literarische Feinarbeit gelitten. Capus begnügt sich gerne mit voreiligen Klischees und Allerweltsformulierungen. Beschreibungen wirken oft etwas plakativ und Pointen bemüht herbeigeredet. So ist kaum nachzuvollziehen, warum zum Beispiel der 33jährige Erzähler in „Der Ernst des Lebens“ mit seinem Vater regelmässig im Altersheim den ungeliebten Grossvater besucht. Die Erzählung gibt keine Hinweise für die Gründe seines kleinlauten Verhaltens entgegen dem eigenen Willen. Ähnlich unmotiviert wirkt auch die Verfluchung „dieser blöden Schreibmaschine“, an der das Erzähler-Ich in „Wollene Unterhosen“ sitzt.

Auf der anderen Seite aber gelingt es Capus hin und wieder doch auch, die heitere Leichtigkeit seiner Geschichten formal einzulösen. In „Leite mich, Voyager 1!“ schildert er die Unruhe eines Vaters in spe, der die Ultraschallbilder des Fötus aus dem Bauch der Mutter wie Bilder aus dem All wahrnimmt und sich daneben einsam, hilflos vorkommt. Und in „Das geht dich einen Dreck an“ - der stimmigsten Geschichte - erinnert sich der Ich-Erzähler einer Jugendliebe, deren Gesicht er beim hitzigen winterlichen Spiel mit Schnee einrieb statt es zu küssen. Ein nicht wieder gut zu machendes Versäumnis.

So schwankt die Qualität zwischen diesen insgesamt 19 Geschichten bedenklich stark. Ein Hinweis wohl darauf, dass für diesen Band zu grossen Teilen alte, literarisch ungenügende Texte ausgegraben wurden, um dem vorangegangen Erfolg ein neues Buch draufzusetzen.
Capus erzählt von Figuren, die einige Erfahrungen mit ihrem Autor gemein haben. Die Geburt in Frankreich, vor allem aber das Leben im provinziellen Olten zwischen Gelegenheitsjobs und dem nächtlichen Barbesuch. Das erzählen­de Ich beschreibt sich selbst einmal als „wurstiger Salonlöwe“, der am nächsten Tag wieder als Lokalredaktor oder als Gabelstapelfahrer zur Arbeit antritt. Natürlich aber sind die mit Phantasie angereicherten Figuren nie ganz mit dem Autor identisch. Dies dürfte sich spätestens dann zeigen, wenn Alex Capus in Bern aus seinem Buch voliest, keineswegs tiefgefroren und dem Berner Publikum wohl durchaus wohl gesinnt.

Nachlässig: Alex Capus: Eigermönchundjungfrau. Geschichten. Diogenes Verlag, Zürich 1998. 188 Seiten

Beat Mazenauer

 

Alex Capus / Munzinger Pascha

Ein Schweizer im finstern Afrika

Beherzte Geister leiden in der Schweiz an der Enge, sagt man. Das war schon früher so, zum Beispiel im Fall des Werner Munzinger (1832-75), dem Sohn des liberalen Bundesrats Josef Munzinger. Mit zwanzig haute der Junge aus seinem behüteten Zuhause ab und kehrte nicht mehr zurück. Im eriträischen Massaua hat ihn Alex Capus aufgespürt.

Munzinger strandete 1852 im finstern Herzen Nordafrikas: im weltabgelegenen Grenzland zwischen Eriträa, Äthiopien und Sudan. Wie gerade in den letzten Wochen von neuem, war die Gegend um Kassala schon zu jener Zeit hart umkämpft. Dabei hielt sich der eingewanderte Schweizer so gut, dass ihn der ägyptische Khedive als Statthalter über die Region einsetzte. Mit Elan ging er daran, die Wasserversorgung zu verbessern und ein Telegraphennetz aufzubauen, um aus Massaua ein Handelszentrum zu machen. Unglücklicherweise kam Pascha Munziger 1875 bei einem Erkundungsfeldzug ums Leben.
Ein Glück, dass dieser Abenteurer noch zu entdecken war. Eher zufällig ist Capus auf ihn gestossen und hat sich von ihm faszinieren lassen. Nach langwierigen Recherchen kann er nun ein Lebensbild von ihm vorlegen. Mit gerafften und vom Autor leicht bearbeiteten Auszügen aus Briefen und Tagebüchern Munzingers dokumentiert er dessen Wirken als Handelsherr und Kolonisator.

Eine glückliche Entdeckung

Als Erzähler heftet ihm Capus den Lokaljournalisten Max Mohn auf die Fersen. Der nutzt die Entdeckung nur zu gerne, um selbst ein bisschen dem alltäglichen Trott entfliehen. Er reist nach Kairo und stöbert da exklusive Dokumente des Gesuchten auf. Nebenbei verliebt er sich zuhause in die nicht minder aufregende Polja.
In seinem Bericht erweist er sich als charmanter, witziger Erzähler, der mit leichter Hand zu schreiben versteht. Mit feinen ironischen Kringeln entwickelt er aus dem Leben Munzingers einen abenteuerlichen Gegenentwurf zum normierten Schweizertum. Allerdings gerät ihm die Romankonstruktion etwas allzu hausbacken, konventionell. Die glückliche Findung wird nicht gleichwertig durch literarische Inspiration aufgewogen.

Kapitelweise wechseln sich Munzingers Erlebnisse und Mohns Recherchen ab. Auf beiden Erzählebenen erweist sich der Gang der Dinge als leicht vorhersehbar, der Geschichte fehlen die überraschenden Haken, den Figuren die irritierenden Kanten. Die Faszination wurzelt somit vor allem im aufgefundenen Stoff selbst.
Aus anderer Perspektive ist Alex Capus aber zugute zu halten, dass er das wilde Leben Munzingers nicht exotisch ausschmückt und artistisch verbrämt, sondern es nüchtern und geradlinig beschreibt. Vielleicht Resultat seiner journalistischen Tätigkeit für die schweizerische Depeschenagentur? Auf jeden Fall preist sich sein Roman „Munziger Pascha“ als frisches, süffig lesbares Buch an.

Überraschend: Alex Capus: Munzinger Pascha. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 1997. 234 Seiten

Beat Mazenauer

 

Biographie

Alex Capus, 1961 geboren, in Olten lebend, hat bislang vier Bücher veröffentlicht. In Olten wohnt auch der Journalist Max Mohn, dem Capus seine Geschichten gerne unterschiebt.

1997 debütierte Capus mit dem Roman "Munzinger Pascha". Ein Jahr später erschien die Geschichtensammlung "Eigermönchundjungfrau".

2001, nach einem Verlagswechsel, ist der Roman "Mein Studium ferner Welten" erschienen, gefolgt 2002 von "Fast ein bisschen Frühling".

Page réalisée par Beat Mazenauer