drehpunkt 112 Inhaltsangabe Liebe Leserin, lieber Leser Wir, Ausgehungerte dieser
Erde... Nachtmusik und Anemonen Besprechungen und Hinweise
Liebe Leserin, lieber Leser Vor dreissig Jahren weckte sie mit ihren ersten Romanen und Erzählungen das literarische Interesse, vor knapp zwanzig Jahren ist sie - von der Öffentlichkeit fast unbeachtet - gestorben, heute ist sie vergessen. Zu Gertrud Wilkers Lebzeiten war das "Fräuleinwunder" noch nicht erfunden. Schreibende Frauen mussten sich die öffentliche Anerkennung in kleinen Portionen erkämpfen. Auf den Frauenbonus aber, der mancher Kollegin zugute kam, konnte eine Autorin nicht hoffen, die ihre Frauenfiguren ohne emanzipatorische Gebärde ihren Platz in der gesellschaftlichen Ordnung suchen liess. Es ist wohl kein Zufall, dass Gertrud Wilker der stillsten Form der Literatur, der Lyrik, erst spät die Chance der Veröffentlichung gab. Ein Blick in ihren Nachlass zeigt indes, dass sie das ganze Leben hindurch Gedichte schrieb. Es war die Form, die sie brauchte, um sich ihrer selbst zu vergewissern. Unser Schwerpunkt enthält eine Reihe von Gedichten aus verschiedenen Schaffensperioden der Autorin, die meisten davon entstammen dem unpublizierten Nachlass. Der abschliessende Text bezieht kontrapunktisch die Prosa mit ein. Auswahl und Präsentation verdanken wir der Berner Kritikerin und Publizistin Elsbeth Pulver. Mit neuen Texten sind Anna Felder, Hanna Johansen und Ingeborg Kaiser vertreten. Im Reigen der schreibenden Frauen, die dieses Heft bestimmen, ist Jürg Laederach der einzige Mann. Und auch sein Text ist einem weiblichen Wesen gewidmet - der Nacht. Die Bilder von Heinz Egger verstehen sich als Antwort auf die Tuschzeichnungen von Henri Michaux in unserem letzten Heft. Egger verwendet die gleichen Zeichnungsgeräte (Pinsel, Kohle, Tusche), die Michaux gerne benutzte, und auch er gibt dem Zufall Raum, Ihm und allen, die an der Nummer mitgewirkt haben, gilt unser Dank. Rudolf Bussmann und Martin Zingg
Fisimatenten Manchmal warten die Probleme, die über Jahre hinweg die Gemüter bewegen, nur auf den Moment, wo sich endlich ein scharfer Denker ihrer annimmt. Dann verschwinden sie wie Warzen, und man fragt sich, wie man sich je über sie hat aufregen können. Die deutsche Rechtschreibereform war eine solche Warze. Jahrelang gab sie zu unfruchtbaren Diskussionen Anlass - bis der Heiler auftrat, der sie besprach. Weg ist das Ärgernis! Beim Heiler handelt es sich um den Ökonomen Silvio Borner, Dozent am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum der Universität Basel. Seine Remedur geht dem Problem, ohne sich bei oberflächlichen Symptomen aufzuhalten, frisch an die Wurzel: "Vielleicht wäre es besser, statt die deutsche Sprache zu verbessern, einfach auf Englisch umzustellen." Die einfachsten Hausmittel waren schon immer die besten. Die Leserinnen und Leser jener Schweizer Tageszeitung, die Zeugnis von Borners Intervention abgelegt hatte, wurden staunend gewahr, dass zusammen mit der ersten Warze auch eine zweite verschwunden war. Ohne jeden pädagogischen Schmerz hatte sich der Streit um das Frühenglisch an unseren Primarschulen in Luft aufgelöst. Künftig herrscht in den Lektionen, wo früher das lästige Deutsch die Schülerinnen und Schüler quälte, vom ersten Schultag an ein happy learning. Ein Lernen im Schlaf gleichsam. Denn "wenn einmal der kritische Schwellenwert von Englisch Sprechenden überschritten ist, stellt der Rest ohne jeglichen Zwang von selber um", weiss der Professor. Und schon setzt er dazu an, unter unseren staunenden Augen die dritte Warze zu besprechen. Leiden wir nicht seit eh und je darunter, eine Klassengesellschaft zu sein? Das ist nun vorbei! Endgültig - weil mit Englisch "nicht mehr nur die Absolventen der höheren Bildungsanstalten, sondern auch die Abgänger der Volksschule Zugang zur Weltsprache von Wissenschaft, Technik und "Business" hätten." Sunny days also für die Zu-kurz-Gekommenen, welche nun, ausgerüstet mit globalen Sprachwerkzeugen, die Hochschulen und die Direktorenposten für sich erobern werden. Any questions ? Allenfalls wäre zu überlegen, ob für jenes elitäre Grüppchen, das Goethe und Dürrenmatt durchaus in der Ursprache lesen will, Deutsch als Fremdsprache neu eingeführt werden sollte. Vielleicht empföhle sich dafür das Frühdeutsch? Darüber wird man lange und heftig streiten, bis dereinst wieder ein Wunderheiler auftritt, der das Problem mit passenden Worten von der Hand weg redet. Rudolf Bussmann
Gertrud Wilker : Gedichte Lagunen des Glücks Es gab Lagunen des Glücks Gott unter schrägschattender
Krempe Uns hing das selige Herz Niemand wird sie so wiederfinden, Gertrud Wilker Gertrud Wilker : Gedichte/ Drehpunkt p. 16
Memphis/Tennessee Eine Stadt ist das die wir vergessen
werden Gertrud Wilker Gertrud Wilker : Gedichte/ Drehpunkt p. 17
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