entwürfe n°31 entwürfe - Zeitschrift für Literatur n°31 entwürfe ist die LiteraturZeitschrift der Schweiz. Viermal jährlich beleuchtet "entwürfe" ein aktuelles Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Zeitschrift wird zusammengestellt und redigiert von Yasmine Inauen, Susanne Reichlin, Viola Rohner, Michael Schmid, Bettina Spoerri, Marc Stadelmann, Yvonne Stocker sowie Koni Nordmann (Fotografie) und Nadine Olonetzky (Kunst). entwürfe entdeckt Neues. Bekannte Autorinnen und Autoren wie Peter Weber, Gion Mathias Cavelty, Ruth Schweikert, Kristin T. Schnider, Hansjörg Schertenleib und andere mittlerweile arrivierte Schreibende publizierten ihre frühen Texte in "entwürfe". entwürfe sprengt Grenzen Kompetente Essays, literarische Debatten und Diskussionen, Lyrik und Prosa fördern den Austausch auf nationaler wie internationaler Ebene. entwürfe zeigt Fotografie. Unveröffentlichte Fotoessays erweitern den literarischen Horizont. entwürfe wagt Kunst. Künstlerinnen und Künstler erproben das Zusammenspiel von visuellem Ausdruck und Sprache. entwürfe bespricht Literatur. Ausführliche Kritiken von bemerkenswerten Publikationen greifen Tendenzen im Buchmarkt auf. entwürfe hat Tradition. 1991 wurde "entwürfe" unter dem Namen "Entwürfe für Literatur und Gesellschaft" gegründet. Sie fusionierte 1995 mit der Zeitschrift "Zündschrift - Forum für Schreibende" und trägt seither ihren heutigen Namen. entwürfe will abonniert und unterstützt sein. Abonnement CHF 70.-, im Ausland CHF 90.- € 60.-
Editorial n°31 : Nacht Dunkelheit, Stille, nur das leise, surrende Geräusch des Laptops, vereinzelt das Brummen eines Autos auf der nahe gelegenen Quartierstraße, das Quietschen eines Trams, der schnelle Flügelschlag eines Falters unter der Glühbirne. Literatur entsteht oft in der Nacht, spricht aber vom Tag. Nur selten macht sie die Nacht selber zu ihrem Thema, richtet das Auge hinein in die Dunkelheit. Im Thementeil dieses Hefts finden sich solche Texte; sie zwingen zum Horchen, zum Aufhorchen. Im zweiten Teil finden sich Prosatexte von jungen, noch unbekannten Schweizer Autorinnen und Autoren. Es sind die Gewinner eines Literaturwettbewerbes, den die Rote Fabrik, das Literaturhaus Basel und die Literaturzeitschrift «entwürfe» gemeinsam ausschrieben. Anlass war die zweite «Lange Nacht der kurzen Geschichten». Vom Nachmittag bis spät in die Nacht hinein finden am 26. Oktober Lesungen und Literaturevents aller Art in der ganzen Stadt Zürich statt. «entwürfe» wird dieses Jahr das erste Mal mit dabei sein. Die Zeitschrift nutzt zusammen mit dem Literaturhaus Basel und der Roten Fabrik diesen Großanlass, um für neue Talente eine unkonventionelle Plattform zu schaffen. Die aus 122 Einsendungen ausgewählten Autorinnen und Autoren werden ihre Texte ab 20.00 Uhr in der Roten Fabrik vortragen. Hören Sie zu, lesen Sie, lassen Sie sich überraschen; verbringen Sie mit uns gemeinsam diese Nacht. Die Literaturredaktion
Theres Roth-Hunkeler, *1953;
lebt und arbeitet als Autorin literarischer und kulturjournalistischer
Texte in St. Gallen. Letzte Publikation: Erzähl die Nacht, Roman,
rotpunktverlag, 2000.
Nachtwanderung Dunkelheit. Darkness. Du willst dazwischen. Drängst dich zwischen die Sprachen, zwischen die Wörter und machst dich dort klein. Ziehst die Beine an deinen Körper, richtest dich ein im Wort- und Sprachzwischenraum, embryonal, vorsprachlich ganz bestimmt, willst hier fortan wohnen, insbesondere hier schlafen. In diesem Dunkel. Im Dunkel des Kontinentalgrabens. In seiner ganzen Tiefe. Nur im Kopf gibt es winzige Verbindungen: Darkness und Dunkelheit. Im karierten Wörterheft von einst stand sogar Dunkelheit = Darkness. Nun bist du dir nicht mehr sicher. Seit du schlaflos lagst in den hellen Nächten Islands. Seit du die Tafelberge gesehen hast und die sich auffächernde Geologie und die Wunderwörter Granit, Gneis und Glimmerschiefer wieder aufgetaucht sind und die Synapsen in der Schwärze des Kopfes stimuliert wurden und Basalt sich zur Gesteinsammlung legte und Desmin und Kalzit und Pyrit: Dunkelheit. Darkness. Seit sich in dir der Kontinentalgraben fortsetzt und die Meere auseinanderreißt wie Liebende, trennt, was zusammengehört, seit alledem richtest du dich ein im Leerschlag zwischen Dunkelheit und Darkness. Im Norden morgens um drei die Helle. Du sahst keinen Mond, der doch im Märchen immer so kalt ist, du sahst nur die Bilder, von denen du dachtest, sie könnten den Mond zeigen, Mondlandschaften, sagen wir, obwohl nur ganz wenige Menschen Mondlandschaften wirklich gesehen haben. Aber du brauchtest endlich nicht mehr mit Kunstlicht im Zimmer zu schlafen. Denn seit einiger Zeit hattest du zuhause das Licht nicht mehr gelöscht, wenn du zu Bett gingst. Da war eine Anwesenheit vorgekommen im Dunkeln, die du nicht deuten konntest, und deshalb hattest du es vorgezogen, nur noch einzuschlafen, wenn alle Lichter an waren, deine Wohnung hell erleuchtet bis zum Morgen. Das Licht nie ausmachen. In der Helle einschlafen. Es gelang nur mühsam. Erst in der Helle des Nordens hast du dich wieder nach Dunkelheiten gesehnt und das Zauberwort Darkness gedacht, als würde sich im Übersetzen endlich der Wechsel von Hell zu Dunkel vollziehen. Und jetzt bist du zurück. Und kannst dich nur noch wundern über deine Lichtmarotte von vor der Reise in den Norden. Du liegst wieder im Dunkeln, im Stockdunkeln, und es ist dir mehr als recht. Und du beginnst wieder. Springst von Stein zu Stein. Machst Nacht für Nacht deine kleinen Wanderungen. Machst deine Spielchen. Gegen die Schlaflosigkeit. Das alphabetische kleine Einmaleins. Buchstabierst dich da durch. Vom N zum A. Vom Mann zur Liebe zur Kälte. Von der Jagd zur Insel. Von den Händen zum Geschlecht. Und Fragen. Und Eifersucht. Du Dummchen. Chanel Nr. 5. Bilder. Adieu Alleinchen. Und wieder über alle Bilder zu deinem Duty-Free-Parfüm Chanel Nr.5. Und dann denselben Pfad zurück bis zu euren Händen. Und der letzte, der weitgespannte Abschnitt vom H zum T. Wie zuverläßig die Versalien. Wie gut du Tritt fasst. Die Innigkeit. Der Juni. Die Klammer. Die Lust. Die Münder. Die Nähe. Die Ohren. Die Poesie. Die Qual. Die Ruhe. Die Sanftheit. Die Tiefe. Nach der Ankunft in Frankreich wandern. Dann in Italien. Und schließlich den Sprung über den Graben. Night. Welch ein Glück, dass die Nächte alle mit N beginnen. N ist der Buchstabe für nie und für nein. Im Isländischen gibt es mehr als zwanzig Wörter für Wind. Das fällt dir ein, wenn du dir deine Beine viersprachig vertreten hast und immer noch nicht müde bist oder so, oder wie sagt man? Leider sprichst du kein Spanisch. Du denkst an den Brüllwind, der dich packte und drohte, dich in den Graben zu stoßen. Du teilst den Winden ihre Zimmer zu, Einzelzimmer, damit sie schlafen können. Du knipst die Lampe an und wieder aus. Dunkelheit. Darkness. Theres Roth-Hunkeler
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entwürfe : lieferbar 1995
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