"Bäume sind in Wahrheit
viel, viel einnehmender als grob und gefährlich.
Haben sie, zumal bei Wind, nicht etwas Grusshaftes?"
(aus: Reizkers Entdeckung, S. 111)
Bäume sind viel einnehmender
als grob und gefährlich
Dieter Zwicky hat für "Reizkers Erfindung"
den Schillerpreis 2006 zugesprochen erhalten
Nomen est omen. Dieter Zwicky schreibt
verzwickte Prosatexte: "Denkprosa". Dem in Uster
lebenden, studierten Theologen (Jahrgang 1957) ist es nicht
primär ums Erzählen zu tun, sondern ums reflektieren.
Dem hat die Jury des Schillerpreises in ihrer Begründung
Rechnung getragen:
"Die Texte gehen von einer Beobachtung
aus, einer 'Entdeckung', welche zum Innehalten und Nachdenken
über das Funktionieren unserer Vorstellungen zwingt,
über den trügerischen Zusammenhang zwischen Worten
und Dingen. Zwickys Texte suggerieren intensive Bilder,
provozieren ein Schmunzeln, hinterlassen Rätsel."
Und in seiner Laudatio schrieb der Präsident der Schweizer
Schillerstiftung Dominik Müller: "Der Reiz von
'Reizkers Entdeckung' scheint mir nun aber wesentlich darin
zu liegen, dass das Kindliche, Leichte darin dem Philosophischen
so nahe kommt: das Bemühen, das menschliche Wahrnehmungsvermögen
in seiner ganzen reichen Vielfalt zu vergegenwärtigen
führt zu wahrnehmungstheoretischen Reflexionen. Es
wird nicht einfach für Gefühligkeit plädiert,
auf Kosten des Kopfes; Dieter Zwicky ist kein new-age-Autor.
Der Kopf ist gefordert, auch der des Lesers. In ihm können
Welten entstehen, was aussen ist und was innen, was Erfahrung
und was Traum oder Imagination, lässt sich nie sauber
scheiden."
Wer sich auf diese Kurzprosa einlässt,
wird also viel zu grübeln haben, wobei es Dieter Zwicky
durchaus auf ein lustvolles Grübeln anlegt. Die logische
Schlussfolgerung kommt bei ihm weniger zum Ziel als das
assoziative, bildnerische, widerspenstige Denken - ein Denken
notabene, das sich darob nicht verdriessen lässt, wenn
es sich nicht in eine saubere Schlussfolgerung oder Begründung
mündet. "Im schönsten Satz äussert sich
nicht Erfüllung, sondern der Wunsch danach. Das zumindest
gibt die Sprache her."
Absurde Konstellationen, gewitzte Sprachspielereien und
(scheinbar) unzusammenhängende Satzfolgen lassen immer
wieder Gedankenfragmente aufblitzen, die ihre Lösung
für die Leser und Leserinnen aber manchmal nur in der
schönen Formulierung finden. Sprache, Bild, Gedanke
durchdringen sich wechselseitig, ohne klare Abgrenzungen.
Und nicht zu vergessen: Worte haben nicht nur Eigensinn,
sondern auch ein Sozialleben: "Sie blühen nur
auf, wenn sie einer Riesenzahl Kolleginnen und Kollegen
andauernd zauberhafte Anträge machen dürfen."
"Reizkers Entdeckung" umfasst verschiedenste Formen
von Prosatexten: Aphorismen, Beobachtungen, Kurzgeschichten,
Parabeln und philosophische Reflexionen, die sorgfältig
nach Gesetzen der poetischen Verdichtung, Auslassung und
Metaphorik organisiert sind. Besonderes Augenmerk richtet
der Autor immer wieder auf die Natur: Fauna und Flora. "Denken
Pflanzen, sobald sie denken, in Grün, in Blattgrün?
Geht pflanzliches Denken eher von Blattgrün aus, um
es zu überwinden, weil auch Grün Gefängnis
ist?" So beginnt eine längere Textfolge zum Thema
"Pflanzliches" - um in eine wortspielerische Volte
zu münden: "Dass Menschen, die Wünsche haben,
das heisst von der Verpflanzung träumen, immer gleich
den längsten und aussichtslosesten Weg wählen,
diesen unmöglichen Umweg gehen über den eigenen,
den menschlichen Körper, Schultern, Becken, Hals!"
Die Titelfigur taucht insgesamt drei Mal auf, ohne nennenswerten
Eindruck zu hinterlassen. In seinem Namen steckt der Reiz,
doch auch das natürliche Wuchern. "Als Speisepilz
entfaltet der Edelreizker seinen angenehmen, etwas süsslichen
Geschmack durch kräftiges Anbraten", heisst es
im Lexikon. Genau so sollte mit diesen Texten verfahren
werden: Anbraten, durchkauen, geniessen - oder ausspuken,
sollte es sich nicht um einen wirklichen, essbaren Reizker
gehandelt haben.
Beat Mazenauer
Page créée le: 12.08.06
Dernière mise à jour le: 12.08.06
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