Der Grat ist schmal zwischen
Überleben und Zugrundegehen. In seinem Debütroman
Sara tanzt erzählt der Journalist und Reporter
Erwin Koch ("Tages Anzeiger Magazin") von einer
Frau, die auf diesem Grat tanzt.
Die nächsten fünf
Minuten entscheiden
Die nächsten fünf Minuten
entscheiden. Wer sie besteht, wird überleben. Immer
wieder flüstert ihr Rico dies ein. Seine innere Stimme
hilft Sara, Haltung zu wahren, die Angst nicht zu zeigen,
denn die Angst ertragen die Schergen nicht.
Rico ist vor drei Jahren verschwunden,
tot aufgefunden worden. Offiziell hiess es: Opfer eines
Beziehungsdelikts. Nun haben sie auch Sara geholt. Die Übergabe
des Mikrofilms wurde überwacht. Die Handlanger der
Junta wissen alles. Fast alles: Von Sara erhoffen sie sich
weitere Namen und Adressen. Doch weil sie keine kennt, Rico
war der Aktivist, erfindet sie in ihrer Zelle welche, und
summt dazu Kinderlieder. Weil nicht sein kann, was nicht
sein darf, Sara also etwas wissen muss, wird sie nicht weggebracht.
Bleibe für sie wichtig, hat ihr Rico eingeschärft.
So mutiert das Verhör im Lauf
der Monate zum leeren Ritual, zur peinlichen Farce. Solange
Sara nicht gelogen hat, bleibt sie am Leben, weil nach lautender
Doktrin alle lügen. Sara und ihre Bewacher
gewöhnen sich aneinander. Der Musiker, der täglich
spielt, ursprünglich damit Saras Schreie nicht nach
aussen dringen, wirft gar ein besonderes Auge auf die zurückhaltend
starke Frau.
Der durch seine mehrfach ausgezeichneten
Reportagen bekannt gewordene Erwin Koch siedelt seinen Roman
Sara tanzt in einer imaginären Diktatur
an. Unter den Generälen Carpento, Buchi, Peirse,
Kemczyk wurde ein Aushorchsystem perfektioniert, das
jede feindliche Bewegung registriert. Namen und Orte hat
der Autor bewusst mit einer Esperanto-Sprache bezeichnet,
die keine exakte Zuordnung erlaubt. Wer an Argentinien oder
an das faschistische Spanien denkt (es liegt Schnee im Winter),
liegt gewiss nicht ganz falsch.
Dieser geographische Bezug wird angeregt
auch dadurch, dass Kochs Geschichte, die auf einer wahren
Begebenheit basiert, inhaltlich wie stilistisch an die Prosa
von Erich Hackl erinnert. Koch erzählt betont einfach
in kurzen, prägnanten, manchmal fast gestanzten Sätzen
von einer Frau, die dem Namen nach aus Hackls Sara
und Simon entnommen sein könnte. Freilich behauptet
Koch dabei seine Eigenständigkeit. Refrainartige Satzwiederholungen
und Modulationen innerhalb der Zeitstruktur verleihen seiner
Prosa ein eigenes Gepräge.
Als Erzähler fungiert Saras
späterer Mann Frits, der im Dienst des Innenministeriums
Bürodienste übernimmt und das Cello bedient. Seiner
Notenkenntnisse wegen erhält er auch die Aufgabe übertragen,
in den Kinderliedern, die Sara beständig summt, die
darin verschlüsselte Botschaft zu entdecken. Irgendwie,
irgendwann verrieten sich alle: "Sie drängen darauf,
sich mitzuteilen, um sich zu erlösen." Mit einem
kleinen Geniestreich - der freilich auch eine etwas fantastische
Note hat - befreit er schlieslich Sara. Frits ist der Idealtypus
des dienstfertigen subalternen Beamten, der nichts wissen
will, damit er nichts weiss. Im Cello findet er seine Ersatzbefriedigung.
Seinen Bericht über Sara erzählt er selbst im
Gefängnis, wo er wegen seiner Mittäterschaft im
alten Regime einsitzt. Aber Sara wird ihn rausholen, ist
er sich gewiss.
Seine Ich-Erzählung offenbart
indes einige Schwächen. Zwar hält Frits zunehmend
klarer die Erzählfäden in Händen, viele Passagen
jedoch entziehen sich seinem direkten Wissen, sind also
einer übergeordneten Erzählinstanz geschuldet,
die jedoch unbekannt bleibt. Wer also erzählt wirklich?
Die Unsicherheit darüber ermöglicht weitere kleine
Ungereimtheiten und Lücken. Verständlich ist,
dass Frits sich in Sara verliebt, warum aber sollte diese
ihn mögen und heiraten? Erwin Koch hält sich bezüglich
der Beziehung dieses ungleichen Paares doch allzu bedeckt.
Insgesamt aber vermag dies den gefestigten Erzählbogen
nicht zu unterminieren. Trotz der erwähnten Schwächen,
die den Journalisten verraten, ist Erwin Koch mit Sara
tanzt ein bemerkenswertes Erstlingsbuch gelungen.
Beat Mazenauer
Page créée le: 22.08.03
Dernière mise à jour le 22.08.03
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