Peter Stamm legt sein drittes Buch
vor, den Roman "Ungefähre Landschaft", die
Geschichte einer schweigsamen Frau in der schweigenden Landschaft
am Nordkap.
Nicht viel, mein Leben
Ein Roman (Agnes) und
ein Erzählband (Blitzeis) haben dem 38-jährigen
Autor Peter Stamm bisher ausgezeichnete Kritiken eingetragen.
Mit seinem zweiten Roman Ungefähre Landschaft
möchte er diese bestätigen.
Ungefähr ist die
Landschaft, die Peter Stamm beschreibt, in zweifacher Hinsicht.
Zum einen verlieren sich in den langen Nächten und
auf den weiten Schneefeldern Nordnorwegens die scharfen
Konturen. Zum anderen gerät ein männlicher Autor,
der eine Frau zur Protagonistin macht, womöglich ins
Zwielicht des Ahnens und Mutmassens.
Beides aber verleiht dem Roman Ungefähre
Landschaft seinen Reiz. Peter Stamm erzählt von
seiner Heldin Kathrine mit behutsamer Zurückhaltung.
Und für die unwirtliche Gegend am Nordkap entwickelt
der Autor unbestreitbar eine Faszination. Die glasklaren
Beschreibungen der Polarlandschaft prägen diesen Roman
stilistisch wie atmosphärisch. Mit kühler Sorgfalt
beschreibt Stamm das grenzenlose Weiss des Fjells,
in dem sich die Horizontlinie im Nebel verliert. Allein
eine einsame Schneespur, wenn Kathrine auf ihren Skiern
hinaus zum Leuchtturm fährt, gibt einen flüchtigen
Anhaltspunkt.
Eine Decke aus Schnee
Die 28-jährige Kathrine arbeitet
als Zöllnerin im weit abgelegenen Dorf. Sie lebt geschieden
von ihrem ersten Mann und heiratet einen zweiten, von dem
sie sich aber bald auch wieder trennt. Die Welt südlich
des Polarkreises hat sie noch nie betreten. Ihr Leben ist
gezeichnet von Kälte und Dunkelheit der langen Winter,
doch an beides hat sie sich nie gewöhnen können.
Die zweite Ehe mit Thomas steht unter
unglücklichem Stern. Sie möchte ihrem Sohn Randy
eine Familie geben. Doch Thomas hat Kathrine belogen. Nicht
mit Affären. Schlimmer, er hat ihr eine falsche Persönlichkeit
vorgespielt. Der souveräne Sportler und Akademiker
erweist sich als ängstlicher Selbstbetrüger. Aber
belügt sich nicht auch Kathrine?
"Sein Leben war ein Strich durch
die ungefähre Landschaft ihres Lebens."
Vor einer Antwort flieht sie. Mit
verweinten Augen und ohne eigentliches Ziel erfüllt
sie sich den Traum einer Reise in den Süden. Sie sucht
Christian, einen frühern Freund, der zurzeit im französischen
Boulogne arbeitet. So reist sie halt da hin. Einfach so.
Reise in die Fremde
Im Grunde kann auch diese Geschichte
nicht gut ausgehen. Christian ist überrascht, ja überrumpelt
vom Besuch Kathrines. Er mag sie gut leiden, doch zugleich
fühlt er sich bedrängt. Er weiss nicht, was er
mit dieser Frau anfangen soll. Zart fühlend lässt
ihm der Autor seine Schüchternheit und Furcht, ohne
sich über ihn lustig zu machen.
Kathrine aber muss notgedrungen wieder zurück ins Dorf.
In der Stadt hat sie sich ohnehin nicht wohl gefühlt.
Mit ein paar schnellen Strichen skizziert der Roman abschliessend,
wie sie doch noch mit ihrem Jugendfreund Morten zusammenzieht
und mit ihm ein bescheidenes Familienglück findet.
In seinen schönen Landschaftsbildern
gibt sich Peter Stamm ebenso nüchtern, wortkarg wie
in der Beschreibung seiner Charaktere und ihrer familiären
Konflikte. Die tiefern Motive für Thomas Lügengeschichten
bleiben unausgesprochen, auch Kathrines Verhalten wirkt
manchmal rätselhaft.
Peter Stamm beobachtet, er beantwortet
nicht. So hält er etliche Fragen unter der immerweissen
Schneedecke verborgen. Diesbezüglich überzeugt
sein Roman nicht in allen Teilen. Umso sorgfältiger
erzeugt er die Atmosphäre einer verschlossenen, melancholischen
und zugleich weit offenen Welt. Ungefähre Landschaft
ist eine im tiefsten Grunde warme Erzählung aus dem
kühlen Norden.
Peter Stamm: Ungefähre Landschaft.
Roman. Arche Verlag, Zürich-Hamburg 2001. 192 Seiten.
Selbstbiographische Angaben von Peter
Stamm auf der Website des Projekts "Agnes in Bildern",
ein drehbuch in der Reihe "Novel in Progress".
Beat Mazenauer
Page créée le: 29.11.01
Dernière mise à jour le 29.11.01
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