Wenn Herbert anruft, hat er ein Problem.
Er fragt, wie es mir gehe, und ohne die Antwort abzuwarten
schiesst er los : "Du, hör mal." Seine Stimme
flattert. "Du, hör mal, ich kann nicht mehr schlafen.
Es ist hinter uns her", stöhnt er.
"Es ? Hinter uns ?"
"Hinter dir und mir, mein Lieber. Hinter uns allen.
Eines schönen Tages holt es dich ein. Du betrittst einen
Buchladen, schmökerst herum, nimmst ahnungslos ein Buch
in die Hand und - -. Hier, schwarz auf weiss, getarnt durch
einen lächerlichen Umschlag, stehst du. Du selber ! Steht
niemand anders als du mit vollem Namen. Irgend jemand hat
sich den Spass gemacht, deine Misserfolge, deine Liebesgeschichten,
dein Alkoholproblem über 94 oder 250 Seiten hinweg schamlos
auszubreiten, und nun kann jeder Idiot in deinem Leben blättern.
Bitte, da gibt es nichts zu lachen ! Auch dich kann's erwischen."
Er macht eine Pause. "Und da liegst du denn nackt in
der Auslage, den Blicken der Passanten ausgesetzt, hilflos
wie Cornelius. Seither schlafe ich nicht mehr."
"Sebastian meinst du. Den von Pfeilen durchbohrten heiligen
Sebastian."
"Ich meine Cornelius. Du solltest ihn kennenlernen,
Cornelius Busch, ein netter Mensch. Aber seit dieser Affäre
vollkommen verstört. Da kauft sich Cornelius Busch doch
ein kleines schmukkes Prosabändchen mit dem vielversprechenden
Titel "Als ich das erste Mal mit einem Jungen im Bett
lag", geht nach Hause, liest darin herum - wamm ! schlägt
ihm sein Name ins Gesicht. Nicht bloss einmal. Die Autorin
Birgit Kempker bringt es fertig, ihn über 300 Mal systematisch
durch den Text zu ziehen. Stell dir das vor, du liegst gebunden
auf dem Rücken und kannst dich nicht wehren !"
"Moment, Herbert. Hat denn jemand behauptet, der gebundene
Cornelius Busch sei identisch mit dem lesenden ?"
"Sei nicht albern. Nichts ist natürlicher, als
dass sich Cornelius Busch in seiner Intimsphäre verletzt
fühlt ! Das Landgericht Essen gab ihm übrigens recht.
Es verurteilte den Grazer Droschl Verlag dazu, die gesamte
Restauflage des Bandes zu vernichten und Cornelius 35'000
Schilling Schmerzensgeld zu zahlen. Deutsche Gerichte wissen
eben noch, was Satisfaktion heisst."
Ich höre, wie Herbert am andern Ende der Leitung Luft
holt. "Nun sieht es natürlich auch für Friedrich
Schiller und seinen Verlag nicht gut aus. Seine "Räuber"
werden den Prozess nicht überleben."
"Wie, es gibt einen Prozess gegen Schiller ?"
"Noch nicht. Aber es leben, ich habe im Telefonbuch
nachgesehen, in Deutschland immerhin sechs Franz Moor, da
liegt jederzeit eine Sammelklage drin. Oder würdest du
dich ungestraft als Räuberhauptmann beschimpfen lassen?"
Da ich schweige, fährt er fort: "Schluss mit der
üblen Nachrede ! Tut euch zusammen, Emma Bovarys ! Erhebt
Einspruch, Anna Kareninas, lasst euren Namen nicht länger
besudeln. Trotzdem überläuft mich bei jedem Buch,
das ich in die Hand nehme, ein kalter Schauer. Auch wenn du
vor Gericht gewinnst, ein Rest von Verdacht bleibt immer hängen.
In meiner Stellung kann ich es mir auf keinen Fall erlauben..."
"Vergiss es, Herbert. Kein Schriftsteller der Welt käme
auf die Idee, einen Namen wie den deinen auch nur für
eine Nebenfigur zu verwenden."
Herbert meldet sich erst nach einer Weile wieder zu Wort,
verärgert, wie mir scheint. "Weshalb nennst du mich
immerzu Herbert ? Ich heisse Humbert", sagte er. "Humbert
Humbert, das müsstest du eigentlich wissen."
Rudolf Bussmann
Page créée le 30.08.00
Dernière mise à jour le 20.06.02
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