Manchmal warten die Probleme, die über
Jahre hinweg die Gemüter bewegen, nur auf den Moment,
wo sich endlich ein scharfer Denker ihrer annimmt. Dann verschwinden
sie wie Warzen, und man fragt sich, wie man sich je über
sie hat aufregen können.
Die deutsche Rechtschreibereform war
eine solche Warze. Jahrelang gab sie zu unfruchtbaren Diskussionen
Anlass - bis der Heiler auftrat, der sie besprach. Weg ist
das Ärgernis! Beim Heiler handelt es sich um den Ökonomen
Silvio Borner, Dozent am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum
der Universität Basel. Seine Remedur geht dem Problem,
ohne sich bei oberflächlichen Symptomen aufzuhalten,
frisch an die Wurzel: "Vielleicht wäre es besser,
statt die deutsche Sprache zu verbessern, einfach auf Englisch
umzustellen."
Die einfachsten Hausmittel waren schon
immer die besten. Die Leserinnen und Leser jener Schweizer
Tageszeitung, die Zeugnis von Borners Intervention abgelegt
hatte, wurden staunend gewahr, dass zusammen mit der ersten
Warze auch eine zweite verschwunden war. Ohne jeden pädagogischen
Schmerz hatte sich der Streit um das Frühenglisch an
unseren Primarschulen in Luft aufgelöst. Künftig
herrscht in den Lektionen, wo früher das lästige
Deutsch die Schülerinnen und Schüler quälte,
vom ersten Schultag an ein happy learning. Ein Lernen im Schlaf
gleichsam. Denn "wenn einmal der kritische Schwellenwert
von Englisch Sprechenden überschritten ist, stellt der
Rest ohne jeglichen Zwang von selber um", weiss der Professor.
Und schon setzt er dazu an, unter unseren staunenden Augen
die dritte Warze zu besprechen. Leiden wir nicht seit eh und
je darunter, eine Klassengesellschaft zu sein? Das ist nun
vorbei! Endgültig - weil mit Englisch "nicht mehr
nur die Absolventen der höheren Bildungsanstalten, sondern
auch die Abgänger der Volksschule Zugang zur Weltsprache
von Wissenschaft, Technik und "Business" hätten."
Sunny days also für die Zu-kurz-Gekommenen, welche nun,
ausgerüstet mit globalen Sprachwerkzeugen, die Hochschulen
und die Direktorenposten für sich erobern werden. Any
questions ? Allenfalls wäre zu überlegen, ob für
jenes elitäre Grüppchen, das Goethe und Dürrenmatt
durchaus in der Ursprache lesen will, Deutsch als Fremdsprache
neu eingeführt werden sollte. Vielleicht empföhle
sich dafür das Frühdeutsch? Darüber wird man
lange und heftig streiten, bis dereinst wieder ein Wunderheiler
auftritt, der das Problem mit passenden Worten von der Hand
weg redet.
Rudolf Bussmann
|