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L'invité du mois
Andreas Neeser
directeur de la nouvelle Literaturhaus " Müllerhaus " de Lenzburg (AR)

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Interview en français - Interview auf deutsch

  

 




Interview au deutsch

Andreas Neeser, Sie sind Leiter eines neuen Literaturhauses. Welches ist ihr wichtigstes Ziel?

Das Projekt "Müllerhaus", das Aargauer Literaturhaus in Lenzburg, ist vorerst auf drei Jahre angelegt. Danach wird eine erste Bilanz gezogen. Es muss für mich also darum gehen, das Literaturhaus neben Basel und Zürich im schweizerischen Mittelland zu etablieren.

Ganz einfach wird das nicht sein, aber: Wir haben es selbst in der Hand zu beweisen, dass der Kanton Aargau mit seiner langen und bedeutenden literarischen Tradition einen Ort für das Wort braucht, einen literarischen Knotenpunkt sowohl für die Schreibenden als auch für die Lesenden.

Das Müllerhaus stellt sich nicht nur als Literaturhaus vor, sondern auch als Sprachhaus. Was heisst das konkret?

Das Müllerhaus ermöglicht einerseits die Begegnung zwischen Schreibenden und Lesenden in Form von Autorenlesungen oder literarischen Projekten, auch ausser Haus; andererseits ist die Arbeit an und mit der Sprache ein wichtiges Element des Konzepts. So wird etwa in der "Textstatt Aargau", einer dreimonatigen Schreibwerkstatt für talentierte, junge Schreibende, das Sprachbewusstsein der Jugendlichen gefördert. Darüber hinaus sind auch Veranstaltungen zum Thema "Sprache" geplant. Alles aus der Überzeugung heraus, dass der präzise und bewusste Umgang mit Sprache dazu beiträgt, eine immer komplexer werdende Welt (und uns selbst) besser zu verstehen.

Das Müllerhaus ist nicht das einzige Literaturhaus in der Schweiz: Seit 1998 gibt es ein Literaturhaus in Zürich, seit 2000 eines in Basel. Auch das Bodmann-Haus in Gottlieben organisiert Literaturveranstaltungen. Inwiefern hat das für Ihr Konzept eine Rolle gespielt und wie unterscheidet sich das Müllerhaus von den bestehenden Literaturhäusern?

Die geografische Kleinräumigkeit im schweizerischen Mittelland ist ein Problem. Ich meine, ein Aargauer Literaturhaus hat nur dann eine Chance, wenn es ihm gelingt, sich mit einem eigenen Profil zu etablieren - nicht als Konkurrenz zu Basel oder Zürich, sondern komplementär im Angebot. Ich verweigere mich deshalb ganz bewusst der literarischen Event-Kultur; einen Autor einfliegen, ihn eine Stunde lesen lassen, und das wars - das interessiert mich nicht. Das würde übrigens auch nicht zum Haus passen. Das Müllerhaus ist ein prächtiges, denkmalgeschütztes Bürgerhaus aus dem 18. Jahrhundert mit einer unheimlich dichten Atmosphäre. Das ist ein Ort für eher leise Veranstaltungen. Die Bedeutung des Hauses ist grundsätzlich nicht zu unterschätzen, ich betrachte es als wichtiges Kapital, gerade im Fall "Müllerhaus". Das Konzept des Hauses zeichnet sich aus durch seine Vielfalt (Literaturvermittlung, Schreibwerkstätten, Lesezirkel etc.), durch das "Junge Müllerhaus", ein Veranstaltungsforum für Junge (etwas, was mir sehr wichtig scheint), und durch themenspezifische Arbeit. Im Müllerhaus werden regelmässig Themen aufgegriffen, die dann an vier oder fünf Veranstaltungen aus verschiedener Perspektive beleuchtet und vertieft werden.

Sie haben von Tradition und Gegenwart gesprochen : es fällt auf, dass in ihrem ersten Veranstaltungsprogramm auch einige der "grossen, alten" Dichter auftauchen: Ein Lesezirkel beschäftigt sich mit dem Thema "Leidenschaftliche Liebesbeziehungen im 18. und 19. Jahrhundert". Was unterscheidet ein solches Angebot von einem Seminar an einer Universität - in Hinsicht auf die Führung des Zyklus, und auch auf das Zielpublikum?

Das Wichtigste vorweg: Der Leszirkel im Müllerhaus ist weder Proseminar noch Volkshochschulkurs! Vielmehr geht es darum, dass sich Lesebegeisterte in einer Gesprächsrunde über Bücher unterhalten - wie in jedem anderen Lesezirkel. Der Leiter ist nicht der Lehrer, sondern so etwas wie ein Gewährsmann für die Gesprächsteilnehmer/innen. Wer schon einmal in einem Lesezirkel dabei war, kennt das: Man diskutiert zwei Stunden lang ziemlich wirr über verschiedenste Aspekte eines Buchs und irgendwann muss man dann noch das nächste Buch und den nächsten Termin bestimmen, was oft nicht ganz einfach ist. Vor allem aber: In der Regel verlässt man die Runde ohne wirklichen literarischen Mehrwert. - Der Leiter im "Lesezirkel Müllerhaus" wählt die Bücher für alle fünf Abende im Voraus aus und sorgt dafür, dass sie in einem thematischen Zusammenhang stehen. Wer sich anmeldet, weiss also genau, worauf er sich einlässt, und es geht keine wertvolle Zeit mit Terminsuche etc. verloren. Zudem ist der Leiter auch Fachmann, bietet also Gewähr dafür, dass allfällige Fragen der Lesenden auch beantwortet werden. - Das erste Thema ist bestimmt etwas gewagt, doch der Lesezirkel ist bereits ausgebucht. Es ist offensichtlich ein Bedürfnis, "Klassiker", die man vielleicht früher mal gelesen hat oder von denen man schon gehört hat, neu oder endlich zum ersten Mal zu lesen. Die Zusammensetzung des Zirkels ist sehr gemischt. Und um auf Ihre Frage zurückzukommen: Akademiker hat es (erfreulicherweise) praktisch keine! - Der nächste Zyklus wird dann von einer neuen Leitung zusammengestellt. Und da wird es mit Sicherheit sehr modern zu und her gehen.

"Übersetzen" steht bis Juni 2004 im Zentrum Ihrer ersten Themenreihe. Was möchten Sie damit erreichen?

Zuerst geht es mit mit den Themenreihen darum, ein Thema zu vertiefen. Eben: Keine Eventkultur, sondern Nachhaltigkeit, wenn Sie wollen. Und spezifisch zur Themenreihe Übersetzen: Ich denke, dass das Metier der Übersetzer im Literaturzirkus viel zu wenig geschätzt und gewürdigt wird. Dabei gäbe es keine "Weltliteratur" ohne Übersetzer. Es ist mir deshalb ein Anliegen, den Fokus für einmal auf dieses stille Geschäft zu richten. Und schon jetzt zeichnet sich ab: Die Reihe wird 2005 weitergeführt...

Soll der literarische Austausch oder die Literatur anderer Sprachgebiete ein Schwerpunkt Ihres Programms werden ? Aus einer schweizerischen Perspektive gesehen : meinen Sie, das neue Literaturhaus habe eine besondere Rolle in Hinsicht auf italienisch-, französisch-, romanischsprachige Literatur und die sogenannte fünfte Literatur zu spielen?

Im Müllerhaus ist die Auseinandersetzung mit Literatur und Sprache keinesfalls auf das Deutsche beschränkt, wie das erste Programm beweist. Auch wenn etwa die Themereihe "Übersetzen" im nächsten Jahr weitergeführt wird, denke ich nicht, dass wir uns so stark spezialisieren, wie Sie es in Ihrer Frage andeuten. Unsere Stärke soll nach wie vor auch die Vielfalt des Angebots sein.

Man liest und schreibt meistens alleine. Gerade aus dieser einsamen Konzentration bezieht die Literatur ihre Kraft und Tiefe. Doch wenn es um Promotion geht, bereitet dieser unspektakuläre Aspekt auch Schwierigkeiten. Jochen Kelter, ehemaliger Leiter des Bodmanhauses, schrieb in Feuxcroisés 5 (2003), die Literatur sei "menacée d'être marginalisée et réduite à des events". Wie stehen Sie zu dieser Äusserung?

Ich sehe das etwas weniger pessimistisch als Jochen Kelter. Gewiss: Wir leben in einer immer schneller werdenden und oberflächlichen Welt; bei den meisten sportlichen Freizeitaktivitäten etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, geht es um relativ mühelose Fortbewegung an der Oberfläche. Ruhe, Stille, Tiefe sind nicht eben trendy. Aber das ist kein Grund, nicht gerade darauf zu setzen - im Gegenteil! Ich bin ja auch Schriftsteller, und deshalb liegt mir viel daran, dass sich das Müllerhaus dieser Eventkultur verweigert - und dennoch nach immer neuen Möglichkeiten der Literaturvermittlung sucht. Mich interessiert - auch aus meiner eigenen literarischen Arbeit heraus - die echte, substanzielle Auseinandersetzung mit Literatur und Sprache. Und ich bin sicher, ich bin nicht der Einzige, der davon überzeugt ist, dass dies auch heute ein Bedürfnis ist. Vielleicht mehr denn je.

Propos recueillis par Francesco Biamonte


Page créée le 03.05.04
Dernière mise à jour le 03.05.04

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