Poesie und Übertragung
Das jüngste Heft der Poetik-Zeitschrift
Zwischen den Zeilen mit Textenvon Franz Josef
Czernin, Thomas Poiss, William Shakespeare, Felix Philipp
Ingold, John Donne, Benedikt Ledebur.
Shakespeare
Sind Übersetzungen von Poesie
an sich schon eine Unmöglichkeit, so fordert die historische
Distanz zusätzlich heraus. Die Frage ist nicht nur,
wie getreulich der Übersetzer formal, metaphorisch
und thematisch dem Original zu folgen versucht, sondern
zusätzlich, ob Gegenstände, Motive, Bilder und
Metrum aus der Vergangenheit vergegenwärtigt, modernisiert
werden sollen. Jeder Übersetzer wird hierfür eine
eigene Antwort finden müssen.
Deshalb überraschte es nicht sonderlich, als vor fünf
Jahren Franz Josef Czernins Neuübersetzung der Sonette
Shakespeares auf Irritation und Kritik stiessen. In der
Frankfurter Allgemeine Zeitung wendete Burkhard
Müller dagegen ein, dass Czernin die nüchterne
Sprache und die klaren Gedanken des Originals zu einer
künstlichen Altertümelei zerknautsche und
zudem Shakespeares fünfhebigen Vers ohne Zugewinn zum
überlangen Sechsheber erweitere.
Anhand von drei Sonetten, den Nummern 38, 61 und 63, lässt
sich diese Kritik im vorliegenden Heft nachprüfen.
Dem englischen Original folgen Czernins Fassung und dazu
eine deutsche Übertragung von Hanno Helbling. Die Trias
erlaubt einen guten Vergleich, wie gleich die erste Zeile
von Sonett 38 belegt:
Shakespeare: How can my muse
want subject to invent
Helbling: Wie könnte meine Kunst des Stoffs
entraten,
Czernin: solang von dir ein hauch nur meine zunge
löst,
Der Vergleich deutet eine signifikante
Differenz an, die durchaus auch Geschmackssache ist. In
einem längern Essay versucht Thomas Poiss, die verstörende
Eigensprache Czernins anhand einer Analyse des Originals
zu erläutern und rechtfertigen. Störend daran
ist freilich, dass ausgerechnet die beiden Sonette, die
analysiert werden, nicht in integraler Form, sondern nur
argumentativ zerstückelt nachzulesen sind.
Ingold da und dort
Einen andern Zugang unternimmt Felix
Philipp Ingold mit dem Versuch, 13 Sonette Shakespeares
über einen russischen Zwischenschritt ins Deutsche
zu übertragen. Der englischen wie der russischen Version
(letztere in Originalschrift abgedruckt) ist jeweils eine
deutsche Interlinear-Übersetzung beigesellt, die Ingolds
Version überprüfbar macht. Zum Beispiel Sonett
17, mit der russischen Übersetzung von Vladimir Nabokov
(hier interlinear):
Shakespeare: Who believe my
verse in time to come
If it were filles with your most high deserts?
Nabokov: Mein Sonett würden
die Zeiten wegen Betruges rügen
wenn es zeigen würde dein unirdisches Bild, -
Ingold: Die Zukunft würde
dieser Verse Lügen strafen,
wenn ich dich übersetzen wollte in ein Bild.
Allein schon das Satzzeichen am Ende
der zweiten Zeile markiert die unterschiedlichen Lesarten.
Für Ingold diente die Versuchsanordnung dazu, zu zeigen,
in wie weit und in welcher Weise der Inhalt, also
die Aussage, die Mitteilung eines poetischen Texts durch
dessen Übersetzung in eine andere Sprache verändert,
allenfalls verfälscht wird.
Ein anderer Ton erklingt in seinen 13 luziden, bsiher unpublizierten
Gedichten, die Ingold den Shakespeare-Übersetzungen
folgen lässt.
Vollkommenheit lehrt
immer nie. So
wie keine Sonne schont.
Und noch knapper, konziser auf den
Punkt gebracht sind die Ortstermine:
Dort! Passt Ovid in Gottes Ohr; wie Pastior.
Ledeburs Donne
Weit weniger bekannt als Shakespeare
ist heutzutage dessen Zeitgenosse John Donne (1572-1631).
Der Münchner Dichter (Philosoph und Datentechniker)
Benedikt Ledebur - von dem im Band auch 7 Oden und ein schöner
Essay zur Odenform stehen - hat sich intensiv mit diesem
anglikanischen Prediger und Hauptvertreter der metaphysical
poets auseinander gesetzt und Gedichte von ihm übertragen.
Übertragung und Poesie hat er den Essay
betitelt, worin er seine Beweggründe für diese
Auseinandersetzung darlegt. Im Wort Übertragung
steckt bereits das Quäntchen Demut und Vorsicht, das
es braucht, wenn man sich Donnes Songs and Sonetts
annähert. Mehrstimmige, zuweilen ironisch gesetzte
philosophische Reflexionen kreuzen sich mit theologischen
Bildern, die nicht nur der anglikanischen, sondern auch
der protestantischen und katholischen Lehre entnommen sind.
Hinzu kommt, dass Donne die zeitgemässen rhetorischen
Strategien und Figuren variiert und unterläuft, indem
er Bilder wörtlich nimmt, syllogistisch aufgliedert
oder zu Paradoxien verdichtet, Hyperbeln argumentativ ausweitet,
bis zur Sinnlosigkeit übertreibt und das ganze Arsenal
der Figuren nicht als rein ornamentales Gestaltvokabular
begreift. Dieser kurze Katalog des poetischen Eigensinns
deutet die Herausforderung an, die Ledebur zu seinem Übertragungsversuch
lockte.
So, in forgetting, thou remembrest
right
And unaware to mee shalt write.
(in: A valediction: of my name in the Window)
so zu vergessen wird erinnern
bleiben,
du absichts los, in mich dich schreiben.
(in: leb wohl: von meinem namen im fenster)
Ledebur kommentiert die von ihm ausgewählten
Gedichte einzeln und legt dar, welche Einflüsse in
ihnen verborgen sind und soweit möglich ins Deutsche
hinüber getragen werden müssen. Diese Kommentare
sind klärend und hilfreich, weil sie am konkreten Beispiel
die Schwierigkeiten einer Poesie der Übertragung
dingfest machen. Der Verdacht, den Ledebur selbst äussert,
dass seine deutschen Fassungen als Verstehenshilfen
missverstanden werden könnten, ist nichtig. Ledebur
überträgt in klare, schöne Verse, die sich
so weit nötig vom Original entfernen, auch im Wissen
darum, dass dieses auf der Seite nebenan abgedruckt steht.
Zuletzt bleibt die königliche Rolle dem empirischen
Leser, der beim Vergleichen von Original und Übersetzung
versuchen kann, die Übersetzer anhand der Differenzen
zu sich übersetzen zu lassen.
Selten wird, notabene, so intensiv und konkret über
das Ausdrucksvermögen von Sprache(n) diskutiert, wie
wenn akribisch Originale und deren unterschiedliche Übersetzungen
miteinander verglichen werden.
Czernin nochmals
Wie sehr Poetik sich aber auch verlaufen
kann, demonstriert Czernins Traktat in lyrischer Form Die
Metapher. Die Transsubstantation. Die zweite Hälfte
des Titels bedeutet den quasi-religiösen Aspekt dieser
eher hermetisch dunklen, denn klärenden Annäherung
an die Metapher in der Poesie. Freilich ärgert daran
weniger das Hermetische - Hermes der Gott der Übertragung
wacht darüber - als die letztlich sehr lockere lyrische
Form, die zwar mit genialischen Anflügen spielt, sich
letztlich aber doch eher im Redundanten und Tautologischen
verliert. Eine Feier des Geheimnisses um des Geheimnisses
dieser Feier Willen.
Mit diesem 22. Heft wird eine Reihe
fortgesetzt, die es seit elf Jahren gibt. 2003 hat Zwischen
den Zeilen sich selbst mit einer besonderen 20. Ausgabe
gefeiert: in Form einer CD-ROM, auf der alle Beiträge
der ersten 19 Ausgaben im im PDF-Format gespeichert sind.
Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass hier mit drauf
die wichtigsten Namen der zeitgenössischen deutschsprachigen
Poesie versammelt sind, und dazu viele gewichtige Namen
aus dem europäischen und amerikanischen Umland dazu.
Wie der Band 22 bezeugt, war dies bloss ein festlicher Zwischenhalt.
Die Auseiandersetzung geht weiter
Beat Mazenauer
Zwischen den Zeilen 22, Dezember 2003.
Hg. von Urs Engeler. 305 S., Fr. 30.-.
Zwischen den Zeilen. Heft 20 in Form einer CD-ROM mit den
Beiträgen der Hefte 1-19. 2003. Fr. 40.-.
Beide Urs Engeler Editor, Basel /Weil am Rhein.
Page créée le: 01.04.04
Dernière mise à jour le 01.04.04
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