Die Suche einer Frau nach ihrem
Ort in der Welt und im Leben, eine Suche nach Liebe beschreibt
Christina Buchmüller in ihrem zweiten Roman. Ein stilles,
überzeugendes Buch.
Verloren im Leben, in der Liebe
Urs Bugmann
Mit achtzehn erwählt sich Mona
einen, der sie lieben soll. «Ich sass im Café
und sah den Leuten beim Leben zu, dachte an Mutter, als
hätte ich sie gekannt. Sie muss an Heiners Verachtung
gestorben sein. Mir durfte so etwas nicht geschehen, ich
würde mich an keinen verlieren. Doch es lockte mich,
Frau zu sein. So verfiel ich auf Anders. Mit ihm ginge es,
er sollte es tun, an Weihnachten in Zürich. Das schrieb
ich ihm.» Heiner, Monas Vater, lebt nach dem Tod der
Mutter mit wechselnden Mätressen so nennt sie
die Tochter. Für ein Jahr hat sie in Paris gelebt,
als Kindermädchen. Paris bleibt ihre Sehn sucht, auch
solange sie in Zürich lebt, weit entfernt von diesem
Sehnsuchtsort, weitab von Wien, wo Anders als Schauspieler
engagiert ist. Eine Liebe auf Distanz, die nicht zur Abhängigkeit
wird, aber auch nicht freilässt die Liebesnacht
mit Dahl, einem nur vage gekannten Freund, den es immer
wieder zu weiten Reisen forttreibt, wird zum Desaster für
Mona. Ihr Alleinsein wird ihr nur trauriger bewusst.
Spiegelungen
Dahl hatte ihr eine Katze anvertraut,
Nur, mit ihr verbindet sich Mona, wie es ihr mit keinem
Menschen, keinem Mann gelingen will. Eine Anhänglichkeit,
ein Abhängigsein, das sich leben lässt. Nurs Sterben
ist in diesem Roman gefühlsintensiv wie nichts sonst
beschrieben, «auf ovalen Pfoten» geht diese
Katze durch das Buch, als ein Leitmotiv, als seine emotionale
Mitte. Oder besser: Diese Katze gibt den Spiegel ab, in
dem sich Mona zeigt.
Deutlicher als in den Bildern von
Albrecht, die Narziss und Echo zeigen, als in dem alten,
eingetrübten, fleckenweise blind gewordenen Spiegel,
den sie im Brockenhaus entdeckt hat und in ihren wechselnden,
behelfsmässigen Wohnungen aufstellt, wird die Frau,
deren Geschichte zwischen zwanzig und fünfzig dieses
Buch erzählt, im Gegenüber dieser Katze erkennbar,
in ihr erkennt sie sich selbst.
Mona lebt auf sich gestellt, den
Kontakt zum Vater hat sie längst abgebrochen, sein
Tod betrifft sie kaum. Sie beaufsichtigt eine Galerie, die
niemand besucht, sie reist nach Wien zu Anders, versucht
anzuknüpfen an eine Beziehung, die einmal wie selbstverständlich
war und doch weder Sicherheit kannte noch ein Wort, das
Zukunft heisst. Er findet andere Frauen, sie tut sich mit
anderen Männern schwer, bleibt die Einzelgängerin,
ein katzenhaftes Wesen mit Augen, in denen die Pupillen
in Flecken zerbrochen sind. Ihr Blick fällt aus ein
ander, ihr eigenes Bild von sich ist nicht einheitlich,
es ergibt keine Gestalt.
Das Unbestimmte
Vor vier Jahren hat Christina Buchmüller
ihren ersten Roman vorgelegt: «Winterhaus»,
eine Generationen geschichte, damals schon ein Buch über
ungelebtes Leben und versäumte Beziehungen. Der zweite
Roman der 1948 geborenen Autorin ist ein ausgereiftes Buch,
streng kontrolliert in seinen Mitteln, nah fokussiert auf
die Hauptfigur. Ihre Wahrnehmung bestimmt die Welt, die
in diesem Buch vergegenwärtigt, gefühlt und erdacht
wird: «Immer im Wissen, dass mein Gehirn ein Ungeheuer
war. Was es ersann, fand statt.» Der Satz spricht
einen Zwischen bereich an, eine Sphäre der Ahnungen,
von Spukerscheinungen oder auch nur bis ins Krankhafte sensibilisierter,
über steigerter Wahrnehmung. Christina Buchmüller
fasst diese Sphäre des Unbestimmten ebenso präzise
wie massvoll. Obgleich diese unscharfen Ränder in ihrer
Geschichte allgegenwärtig sind, wirken sie nirgends
aufdringlich oder aufgesetzt.
Das ist überhaupt ein Merkmal
dieses Romans, dass seine Mittel mit hohem Bewusstsein für
Mass und Wirkung eingesetzt sind. Es mag zu Beginn die Lektüre
erschweren, dass die Züge der Geschichte sich erst
allmählich ausformen, dass zunächst mit der Gefühls
intensität eines Traumbildes Atmosphäre geschaffen,
das Konkrete erst allmählich fassbar wird. Es bewahrt
dagegen die Autorin durch den ganzen Roman hindurch vor
jeder schwelgerisch ausgekosteten Sentimentalität.
Sie findet die genaue Mitte zwischen kühler Beobachtung
und intensiver Anteilnahme, zwischen Andeuten und Ausformulieren.
Offenbaren und verhüllen
Hier vertraut jemand auf seine Sprache
und ihre Mittel, organisiert die Geschichte nach verborgenem
Plan auf Verbindungslinien, die die Bezüge unaufdringlich
mitklingen lassen. Es ist die hohe Kunst der Zurückhaltung
und dabei durchaus kein Buch, das seine Figuren distanziert
dem Leser aussetzt. Es fordert Einlassen und Anteilnahme,
offenbart und verhüllt oft im selben Atemzug. Monas
Geschichte wird nicht entlarvt, nur kenntlich gemacht, diese
Frau, die ihre Gegenwart nicht ins Künftige weiterdenken
kann, die in Erinnerungen befangen bleibt und vor jedem
Loslassen genauso zurückschreckt, wie sie das Festhalten
nicht wagen will, wird nicht vorgeführt und denunziert,
sondern in einer Charakterstudie subtil ausgeleuchtet
immer im Bild, in ihrer Geschichte, nicht in abstrakter
Reflexion oder kommentierender Bewertung. Das ist ein stilles
und sehr reichhaltiges Buch, ein zweiter Roman, der allen
hohen Erwartungen aus dem ersten Recht gibt.
Urs Bugmann
16. März 2000
Christina Buchmüller: Anders. Roman.
Pendo Verlag, Zürich 2000. 160 S., 29.80 Fr.
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