En bref et en français - In breve in italiano
Glücklich, wer als Autor einen solchen Brief erhält:
„Lieber Hans Boesch – Ihr Brief aus Latsch liegt auf meinem Tisch: ein Geschenk. Bei wichtigen Gaben hat meine Mutter jeweilen gesagt: Bueb, heb sorg, verlüür's niid. Und so halte ich es mit Ihrem Brief.“
Werner Weber schrieb ihn 1994 an den Autor Hans Boesch. dass Boesch zu der Zeit längst kein Geheimtipp mehr war, war mit auch Werner Weber zu verdanken und dessen Sorgfalt gegenüber Boeschs Werk. Eine erste Korrespondenz zwischen den beiden ergab sich schon vierzig Jahre früher. Boesch – damals ein gänzlich unbekannter Dichter, der im Brotberuf Ingieur war – bedankte sich 1953 beim NZZ-Literaturredaktor Weber für eine Besprechung seines lyrischen Debüts „Oleander, der Jüngling“. Er schrieb:
„Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir, Ihnen zu sagen, wie sehr wir Jungen uns freuen, dass Sie sich unser annehmen, dass Sie uns unterstützen, Sicherheit geben, Wege weisen und ermuntern. Wenn die Lyrik wieder aufblüht, wach wird und sicher, ist dies nicht zuletzt das Verdienst Ihrer Freundlichkeit und Fürsorge.“
Damit traf er früh einen zentralen Punkt. Werner Weber war ein freundlicher Kritiker, der zwar auch dezidierte Ablehnung aussprechen konnte, der aber meist dann noch ein gutes Wort für die abgelehnten Texte fand. Daran mag sein „ausgesprochenes Harmoniebedüfnis“ schuld sein, wie Thomas Feitknecht schreibt, was zuweilen den Eindruck erweckt habe, „er sei ein Meister des Verdrängens und Ausweichens“. Dennoch: Weber machte sich sehr um die „junge Literatur“ der 1950er und 1960er Jahre verdient. Seine Korrespondenz aus sechzig Jahren demonstriert es.
Darin nur am Rande Erwähnung eine Episode, in der sich Weber tatsächlich von seiner harschen Seite zeigte. 1957 tadelte er den Zürcher Autor Otto Steiger heftigst dafür, dass dieser eine Einladung des sowjetischen Schriftstellerverbands annahm – so kurz nach Niederschlagung des Ungarn-Aufstands –, mit dem Effekt, dass Steiger für Jahrzehnte keinen Schweizer Verleger mehr für seine Bücher finden sollte. Die Geschichte war damals hohe Wellen, sie fand ihren Abschluss vier Jahrzehnte später, in Form eines gemeinsamen Podiumsgespräch anlässlich der Solothurner Literaturtage 1999 sowie darauf folgend zwei kurzen von Weber an Steiger. In beidem zeigte sich Werner Weber (wie er auf der anderen Seite auch Otto Steiger) in bewegender Weise beharrlichund einsichtig. Er verteidigte sich, damals in gutem Treu und Glauben gehandelt zu haben, doch heute würde er andere Worte wählen.
Werner Webers familiärer Hintergrund ist kein klassisch bürgerlicher. Geboren 1919 in Winterthur, lernte er durch seine Eltern zuerst die Welt der Arbeiter und der Bauern kennen. Sein Vater war Werkmeister in einer Winterthurer Strickerei, 1941 kaufte die Familie ein Bauerngut, bei dessen Bewirtschaftung der Sohn nach dem frühen Tod seines Vaters 1942 mithelfen musste. Das Gymnasium, danach das Studium (Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte) führten ihn in neue, akademische Gesellschaft.
Dieser biographische Hintergrund bewirkte einerseits, dass sich Weber sehr um den Anschluss an die gutbürgerliche Kultur bemühen musste, sie war ihm nicht in die Erziehung gelegt. Talent und Charme machten jedoch, dass der damalige NZZ-Literaturchef Eduard Korrodi schon im 24-jährigen Studenten den eigenen Nachfolger erkannte. Werner Weber war immer ein vorbildlicher Kenner und Liebhaber der hohen kulturellen Traditionen: Romantik, Klassik – und in der Gegenwart Thomas Mann, beispielsweise, oder Paul Celan und Nelly Sachs, mit denen Weber ausführlich korrespondierte.
„19:III.60
Sehr verehrter Herr Paul Celan
‚Die Krüge' – das beduetet mir viel: ich danke Ihnen herzlich für den kostbaren Genuss. Und dann die Jeune Parque. Ich bin Stunden, im Lesen und Nachdenken darüber, glücklich gewesen: bin es noch. (...) Danke! immerfort Ihr
Werner Weber“
Webers innigste kulturelle Leidenschaft galt jedoch dem Maler Félix Vallotton – einem Maler, der „so herrliche Bilder – der so grässliche Bilder gemalt hat“, wie Weber schrieb. In dieser kurzen Notiz deutet sich fein eine Spannweite an, die über die klassische Formvollendetheit hinausblickte und anderes gelten liess. Das Schöne und das Grässliche sind zwei Seiten einer Medaille. Beiden Seiten zu erörtern, war stets die Art von Werner Weber.
Als Weber 1973 an die Universität Zürch berufen wurde, war er als Verteidiger des klassischen Kanons in der Tradition Emil Staigers nicht unumstritten. Für Staiger hatte er etwas früher, 1966, die Laudatio gehalten anlässlich der Verleihung des Zürcher Literaturpreises. Staiger dankte damals mit seiner berühmt-berüchtigten Rede „Literatur und Öffentlichkeit“, die den legendären Zürcher Literaturstreit entfachte. Dieser zeichnet sich in den Briefen nur vage ab (Anmerkungen dazu vermitteln die Zusammenhänge) – vielleicht aber liegt hierin einer der Gründe dafür, dass Werner Weber und Max Frisch bis zuletzt in einem freundlichen, doch stets förmlichen Ton miteinander korrespondierten („Lieber Herr Werner Weber“). Friedrich Dürrenmatt dagegen fand mit Weber trotz dessen Kritik an „Die Panne“ schon 1957 zu einem eher saloppen „Lieber Weber“ resp. „Lieber Dürrenmatt“.
Der Literaturstreit blieb dennoch kaum an Werner Weber hängen, wie die gehäuften Signale grösster Wertschätzung für seine Kritiken demonstrieren. Mochte er auch das hohe Lied der klassischen, schönen, beseeligenden Literatur gesungen haben, besass Weber zugleich stets ein feines Gehör für neue Töne und Formen – als Kritiker ebenso wie später an der Professor und Lehrer. Letzteres war er wie kaum ein anderer. Werner Weber verstand es, von seinem Katheder hinabzusteigen und seinen Studenten auf Augenhöhe zu begegnen, ihnen zuzuhören, sie klug zu kritisieren, doch vor allem stets zu ermuntern. Ich kann dies aus eigener glücklicher Erfahrung bezeugen.
Alle diese Facetten sind im vorliegenden Briefwechsel enthalten und erneuern die Erinnerung an eine literaturkritische Stimme von grosser Wärme und von grossem Gewicht.
Beat Mazenauer
Werner Weber: Briefwechsel des Literaturkritikers aus sechs Jahrzehnten. Hg. von Thomas Feitknecht, Vorwort von Angelika Maass. Verlag NZZ, Zürich 2009. 376 Seiten.
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