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Stefanie Sourlier
Das weisse Meer. Erzählungen. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2011. 170 Seiten.

4ème - Critique, par Elisabeth Vust -
En bref et en français - In breve in italiano

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  Stefanie Sourlier / Das weisse Meer

Stefanie Sourlier - Das weisse MeerZwei Geschwister haben sich eine zauberhafte eigene Welt geschaffen. Tage- und nächtelang spielen sie am Mondsee, aus dem sie geboren zu sein glauben, sprechen Rosam , ihre eigene Sprache. Als die Geburt eines Geschwisterchens ihre Zweisamkeit zu zerstören droht, fassen sie einen ungeheuren Plan. Mit leisem Unbehagen beobachtet eine Frau während der Sommerferien in Südfrankreich die Annäherung zwischen ihrem Bruder und ihrer Freundin. Als der Bruder beinahe ertrinkt, erinnert sie das Blau des sommerlichen Himmels an die Farbe des Kupfersulfats, mit dem sie sich als Kind das Leben nehmen wollte. Eine junge Frau wandert nach Manchester aus, wartet mit ihrer russischen Mitbewohnerin auf eine bessere Zukunft und begegnet einer Frau, die sie nicht vergessen kann. Die Sehnsucht nach ihr führt sie fast bis an das weiße Meer. Gemeinsam mit dem Bruder ihres lustigen Freundes versucht eine Frau die Wahrheit über dessen Suizid zu ergründen. Doch die Erinnerungen verschwimmen, der Freund wird zum unscharfen Schattenbild, während der Bruder ihr plötzlich befremdlich nah ist.
Stefanie Sourliers Erzählungen sind von einer einzigartigen flirrenden Schönheit. Ihre Abgründe geben sie nur allmählich preis. Geheimnisvoll und doch klar, fragil und feingewoben, erzeugen sie eine Sogkraft, die den Leser bis zu letzten Seite nicht mehr loslässt. In zarten, enigmatischen Bildern erzählt Stefanie Sourlier vom Leben ihrer Figuren, ein Leben, das unter Wasser zu spielen scheint, still, geheimnisvoll und voller verborgener Beziehungen, die aus der Tiefe das Handeln der Menschen bestimmen.

Das weisse Meer. Erzählungen. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2011. 170 Seiten.

 

  Archangelsk ist ein schöner Name, par Beat Mazenauer

En bref et en français - In breve in italiano

Eine Reise nach Archangelsk lohnt sich nicht, "in Archangelsk gibt es nichts". Doch der Name der Stadt klingt schön. Deshalb fährt Stefanie Sourliers erzählendes Ich in der Titelerzählung dennoch dahin. Das nur vierzig Kilometer entfernte Weisse Meer ist allerdings unerreichbar, ein militärisches Sperrgebiet.
Einzig ein Bild ihrer Zufallsfreundin Leo bezeugt die Reise, von der die Erzählerin auch Ella berichtet. Mit ihr teilt sie in Manchester die Wohnung. Hier wie dort, und dazwischen Berlin – alle diese Orte sind flüchtige, zufällige Stationen eines trägen, manchmal verzweifelten Lebens. Die neun Erzählungen im Band Das weisse Meer kreisen um solche Nichtigkeiten – wäre da nicht die auffällige Häufung von Unfällen und Selbstmorden.

Stefanie Sourliers gleichförmiger Erzählton schwankt zwischen bleischwerer Trägheit und ruhiger Gelassenheit – im besten Fall, wie bei Onkel Georg ("Nach Italien"), dem allmählich die Kontrolle über sein Alter entgleitet. Unter der scheinbar glatten Oberfläche jedoch brodelt es. "Sie tun immer so, als wäre man blöde im Kopf", wehrt er sich, kaum mehr hörbar.
Die Unerschütterlichkeit der erzählenden Ich-Figuren ist bloss eine Maske. Selbst scheinbare Gegensätze heben sich dabei auf: "Eigentlich bin ich ein fröhlicher Mensch, sagte mein lustiger Freund, ich mag das leichte Leben. Du bist immer traurig, sagte er zu mir, nicht sehr, aber immer ein wenig, ich hingegen bin ein lustiger Mensch" ("Der Bruder"). Doch lustig war sein Tod nicht.
Die sich öffnenden Abgründe bändigt Stefanie Sourlier mit sprachlichen Mitteln. Ihre Geschichten sind behutsam und klug aufgebaut, sie plaudern nichts aus und lassen am Ende doch tief blicken. Mit sicherem Gespür entwickelt sie eine höchst stimmige, mitunter ins Mysteriöse ausgreifende Atmosphäre.

Böse Moritaten

"Man denkt immer, man könne das Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden, und plötzlich kriegt das Nichtige immense Wirklichkeit." Behutsam lockt Sourlier die Lesenden ins Dickicht ihrer bösen Erzählungen, in denen die Wahrheit nur als Schemen zu erkennen ist. Das Klima ist heiss, oder kalt. Und beides zugleich.
Die Ich-Erzählerinnen halten sich dabei diskret bedeckt, bloss Erinnerungen überfallen sie und bringen ihren konturlosen Alltag zum Kippen. Sourliers Geschichten sind böse Moritaten ohne Grund und Begründung. Die vielen Tode legen ihre langen Schatten darüber.

Den Erzählton hält Stefanie Sourlier eisern, strikte durch, nur vereinzelt verrutscht ab und zu eine Formulierung. Die untereinander geschickt verwobenen Geschichten geben nichts preis – wenn doch, dann zwischen den Zeilen und in den vielsagenden Auslassungen. Zurück bleibt ein "bitterer, säuerlicher" Geschmack wie beim Kind in der ersten Erzählung. So schmeckt Kupfersulfat auf der Zunge.

Beat Mazenauer

 

  En bref

En bref et en français

En surface, l’atmosphère paraît calme – elle vire toutefois imperceptiblement à la mélancolie et au mystère. Avec le recueil de nouvelles Das weisse Meer, Stefanie Sourlier, née en 1979, a réussi une première œuvre étonnante d’harmonie. Les neuf récits, dont les trames s’entremêlent avec ingéniosité les unes aux autres, laissent percer une tranquillité dans le ton de la narration, qui de temps à autre est parcourue de fractures subliminales. Les nombreux suicides et accidents surtout font penser que les protagonistes ne parviennent que difficilement à vivre leur vie. Leur imperturbabilité n’est qu’un masque, comme pour l’ami joyeux : « Au fond, je suis quelqu’un de joyeux », dit-il, alors que sa mort n’a absolument rien de joyeux. Les abîmes qui se creusent ainsi, Stefanie Sourlier les maîtrise par les moyens de la langue. Ses histoires sont construites avec délicatesse et intelligence, et si elles ne sont pas bavardes, elles en disent long pourtant, à la fin. Ces neuf ballades féroces laissent un arrière-goût d’amertume et d’âpreté – comme le sulfate de cuivre sur la langue. (ml)

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In breve in italiano

L'atmosfera appare calma in superficie – salvo poi scivolare impercettibilmente nella malinconia e nel mistero. Con la raccolta di racconti Das weisse Meer (“Il mare bianco”) all'autrice Stefanie Sourlier, nata nel 1979, riesce un debutto straordinariamente armonico. I nove racconti, abilmente intrecciati gli uni agli altri, rivelano un tono narrativo calmo, percorso continuamente da rotture latenti. Soprattutto i numerosi suicidi e gli incidenti suggeriscono che per protagonisti la vita non sia facile. La loro imperturbabilità è solo una maschera, come per l'amico allegro : “In realtà io sono un uomo felice”, diceva; la sua morte tuttavia non fu per nulla allegra. Gli abissi che si aprono sono dominati da Stefanie Sourlier attraverso la parola. Le sue storie sono costruite in modo cauto e intelligente, non lasciano trapelare nulla e rivelano il loro significato solo alla fine. Queste nove ballate macabre lasciano in bocca un gusto amaro, acre, come di solfato di rame. (sc)

 

Page créée le: 11.07.11
Dernière mise à jour le: 11.07.11

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