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Oscar Peer
Das alte Haus / La chasa veglia, Rätoromanisch - Deutsch. Hg. und mit einem Nachwort von Mevina Puorger.
Limmat Verlag, Zürich 2010. 202 Seiten.

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  Oscar Peer / Das alte Haus - La chasa veglia

 

Oscar Peer : Das alte Haus / La chasa veglia In seiner Erzählung – vom Autor zweisprachig auf Deutsch und Rätoromanisch verfasst – schildert der Engadiner Oscar Peer den unheilen Zustand der heilen Alpenwelt. Chasper Fluris Vater wird zu Grabe getragen, dem Sohn bleiben seine Schulden, die er nicht bezahlen kann. Während er verzweifelt versucht, Geld zu leihen, um das Elternhaus zu behalten, behindert der Gemeindepräsident Lemm diesen Plan. Er erkennt, dass das alte Haus mit Gewinn zu verkaufen wäre. Chasper sträubt sich, doch niemand will oder kann ihm helfen, so entfremdet er sich immer mehr von der dörflichen Gemeinschaft. Dieser Prozess findet subtil im Verborgenen statt. Offen flackert der Konflikt nur einmal auf, als sich Lemm und Chasper prügeln. Auch wenn dieser den Kampf gewinnt, hat er am Ende keine Chance. Das Glück ist für Chasper bloss eine Erinnerung: an die Familie, früher, als Mutter noch lebte und sein Bruder Domenic noch nicht verschollen war. Oder an Johanna, die er vor Jahren zwischen den Heuballen in den Armen hielt.
Oscar Peer schildert diese einfache, ländliche Geschichte mit nüchterner Genauigkeit. Die widerstreitenden Gefühle werden dabei stets in Handlung übersetzt, keine der Figuren reflektiert über ihren Horizont hinaus. Diese betonte Einfachheit verleiht der Erzählung Intensität und Glaubhaftigkeit: eine existentielle Tiefe. Chasper kann am Schluss nur alle Brücken hinter sich abbrechen.

Oscar Peer: Das alte Haus / La chasa veglia. Rätoromanisch – Deutsch. Hg. und mit einem Nachwort von Mevina Puorger. Limmat Verlag, Zürich 2010. 202 Seiten.


  Feuer im Dach, (Beat Mazenauer)

En bref et en français - In breve in italiano

"Im hintesten Dorf wird jemand bestattet. Mittags hat man schwarz Gekleidete aus dem Postauto steigen sehen, etwa zehn Personen, vielleicht Verwandte des Toten."

Nüchtern, genau, mit ausrücklicher Zurückhaltung erzählt Osacar Peer in "Das alte Haus / La chasa veglia" eine Geschichte aus der unheilen Alpenwelt. Chasper Fluri trägt seinen Vater zu Grabe, der ihm nur Schuldern hinterlässt: für das alte Elternhaus, für die Trinkerei der letzten Jahre, für die Ausbildung des älteren Bruders Domenic. Nun sind sie alle verschwunden. Der Bruder, der studieren durfte und das Studiengeld lieber vertat, tauchte eines Tages spurlos unter, die Mutter verstarb wenig später an ihrem Kummer. Und nun der Vater.
Chasper aber will das Haus retten, für dessen Kauf einst die Gemeinde aufgekommen ist. Der Wirt und Dorfkönig Lemm würde es allerdings gerne selbst übernehmen, er ahnt, dass sich touristisch daraus was machen liesse. Chasper lehnt sein erpresserisches Angebot ab und sucht bei Bekannten Hilfe. Die Jugendliebe Johanna, die geerbt hat, würde ihm gerne leihen, darf aber nicht, weil ihre geizige Schwiegermutter auf dem Geld hockt. Andere wie Curdin oder der Bäcker wollen nicht. Und die letzte Hoffnung, ein ausgewanderter Cousin in La Spezia, verflüchtigt sich, als ein Telegramm kurz seinen kürzlichen Tod meldet.
Es ist zum Verzweifeln! "Herrgott nochmal, wozu soll man überhaupt leben, wenn man nicht wenigstens einmal nahe bei einer geliebten Person sein kann, so nahe, dass sie einen vielleicht erlöst?" Johanna bleibt für Chasper eine schöne Erinnerung an einen sommerlichen Tag. Mehr nicht, auch wenn sie sich gut geblieben sind. In diesem Tal hält die Liebe – scheinbar – nur verbotene Früchte bereit. Der Auslöser für Domenics Flucht waren Liebschaften, die er seinem Studium vorzog. Schon als Gymnasiast hatte er im Tal ein Techtelmechtel mit der Gattin eines Bankiers, der hier ein Sommerhaus besass. Oder der Pfarrer Kieni, der ins Tal versetzt wurde, weil er an seiner frühern Arbeitsstelle eine Schülerin verführte. All dies wird im Tal unterdrückt – nicht mit Gewalt, eher mit Stillschweigen. So bleibt das Alleinsein, an das sich Chasper gewöhnt hat: "doch manchmal krepiert man vor Einsamkeit".

In "Das alte Haus" porträtiert der Engadiner Oscar Peer eine ungenannt bleibende Talgemeinschft irgendwo an der Grenze zum Italienischen und Österreichischen, irgendwann in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Die subtilen sozialen Mechanismen werden vom Erzähler mit nüchterner Diskretion geschildert. Einzig die direkte Anrede an ein literarisches Du: Johanna ist angesprochen, bedeutet gegen Ende, dass er mit seinem Bericht gewissermassen zwischen ihr und Chasper vermitteln möchte.
Dieser bewahrt trotz all der Niederschläge eine melancholische Gelassenheit. Nur ein einziges Mal bricht die Verzweiflung offen durch, als Lemm in sein Haus eindringt, um sich umzusehen. Chasper prügelt ihn vom Grundstück. Wie er wenig später den jährlichen Herbstball im Dorf – in Lemms Gasthaus – besucht, geben sich alle Dorfbewohner freundlich und zuvorkommend. Sie begrüssen Chasper schulterklopfend und laden ihn ein zuzusitzen. Selbst Lemm wirkt geläutert – genau da schnappt die Falle zu. Glücklich darüber, wie angenehm der Abend in Gemeinschaft ist, unterschreibt Chasper einen Vertrag ... und bereut es sogleich wieder.
Die Konflikte werden unterschwellig, deshalb nicht minder rau ausgetragen werden. Pfarrer Kieni benennt das Übel: "wo es um Geld geht, hört die Nächstenliebe auf". Und die Hebamme Lucrezia, die dem halben Tal auf die Welt geholfen hat, weiss: "Zuerst sind sie klein und rührend, als kämen sie vom Himmel, dann wachsen sie auf und werden zu Halunken."
Zeit für ein Fanal. Noch während am Herbstball ausgelassen getanzt wird, kehrt Chasper heim, packt ein paar Sachen ein, lässt die Tiere frei und zündet das alte Haus an. Dann geht er weg. Von oben betrachtet er, wie die Flammen lodern, das Gebälk zusammenkracht, am Ende ein Glimmen bleibt. Chasper verschwindet wie einst Domenic. Spurlos. Glück gibt es keines im engen Tal – vielleicht aber irgendwo draussen.
Oscar Peer verleiht dieser einfachen Heimatgeschichte eine menschliche Wärme und existentielle Tiefe, indem er den handelnden Personen nie zuviel zumutet, sondern sie reden, denken und empfinden lässt, was ihnen entspricht. Ihr Horizont übersteigt nie die engen Grenzen der Tallandschaft. Hierin ist Peers Erzählung konsequent und glaubhaft.
Seine Erzählung hat er in zwei Versionen verfasst: im rätormanischen Vallader und in Deutsch. Beide behalten nebeneinander ihre sprachliche Eigenständigkeit, beide sind sie sind Originale.

Beat Mazenauer


  En bref

En bref et en français

Dans son récit bilingue - conçu en allemand et rhéto-roman par l'auteur - le grisonnais Oscar Peer décrit la maladie sous la santé apparente du monde alpin. Le père de Chasper Fluris est mis en terre, le fils hérite de ses dettes qu'il ne peut pas rembourser. Alors qu'il essaie désespérément d'emprunter de l'argent pour conserver la maison familiale, le président communal Lemm contrecarre ses plans. Il s'est rendu compte que la vielle maison pouvait être vendue avec un profit. Chasper se rebiffe, mais personne ne veut ou ne peut l'aider, et il s'isole de plus en plus de la communauté villageoise. Ce processus est imperceptible. Il ne dégénère en conflit ouvert qu'à une seule occasion quand Lemm et Chasper en viennent aux mains. Ce dernier a beau l'emporter, cela ne lui porte pas chance. Le bonheur n'est pour lui que souvenir: il se remémore sa famille, jadis, quand mère vivait encore et que son frère Domenic n'était pas porté disparu. Ou alors Johana qu'il serrait dans ses bras entre les bottes de paille, il y a des années.
Oscar Peer raconte cette modeste histoire campagnarde avec une sobre exactitude. Les sentiments contradictoires se traduisent toujours par des actes, les personnages sont prisonniers de leur horizon intérieur. Cet accent de simplicité renforce l'intensité du récit et sa crédibilité: une profondeur existentielle. Pour finir, Chasper n'a pas d'autre choix que de couper tous les ponts derrière lui.

***

In breve in italiano

Oscar Peer racconta nel suo ultimo romanzo – redatto dall'autore stesso in romancio e tedesco – il malessere del mondo alpino, che pur sembra così sano.
Il padre di Chasper Fluris viene accompagnato alla tomba e al figlio non rimangono altro che i debiti non rimborsabili lasciati dal padre. Mentre cerca disperatamente di contrarre un prestito per pagare la casa dei genitori, viene ostacolato in tutti i modi dal sindaco Lemm, il quale capisce che la vendita della casa potrebbe fruttare una certa somma. Chasper si ribella, ma i suoi compaesani non vogliono o non possono aiutarlo, e Chasper si estrania sempre più dalla vita sociale del paese. L'allontanamento avviene in modo subdolo. Il conflitto si manifesta pubblicamente solo durante una zuffa tra Lemm e Chasper, il quale, anche se uscito vincitore dalla lotta, non ne ricaverà alcun giovamento.
La felicità non sta ormai più dalla parte di Chasper, fa parte di quel passato famigliare risalente ai tempi in cui la madre era ancora in vita e il fratello Dumenic non ancora scomparso. O quando, tra le balle di fieno, teneva stretta fra le braccia Johanna.
Oscar Peer compone con sobria esattezza un racconto semplice, campagnolo. I sentimenti contrastanti vengono ogni volta tradotti in azioni e nessuno dei personaggi riflette al di fuori del proprio orizzonte. Questa semplicità scandita conferisce al romanzo l'intensità e la credibilità per farne un'opera profonda dal punto di vista esistenziale.
A Chasper, infine, non rimane che un gesto da fare: tagliare tutti i ponti che lo legano ancora al suo passato.

 

Page créée le: 15.07.10
Dernière mise à jour le: 15.07.10

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