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Max Frisch
Entwürfe zu einem dritten Tagebuch, Herausgegeben. und mit einem Nachwort von Peter von Matt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.

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  Max Frisch / Entwürfe zu einem dritten Tagebuch

 

Max Frisch, Entwürfe zu einem dritten Tagebuch Darf ein berühmter Autor seinen Nachlass der Öffentlichkeit vorenthalten? Diese Frage stellt sich angesichts des neuesten Buches von Max Frisch – 19 Jahre nach seinem Tod. Im Max-Frisch-Archiv in Zürich lagerte bis jüngst unbehelligt ein Manuskript mit der Überschrift „Tagebuch 3“. In den Jahren 1982-1983 hegte Frisch den Plan zu einer Publikation, welche an die Tagebücher von 1946-1949 und 1966-1971 anschliessen sollte. Doch dann gab er den Plan auf und vernichtete sein Exemplar. Das Typoskript seiner Sekreätrin allerdings blieb erhalten. Gegen Widerstände innerhalb des Max-Frisch-Archivs ist dieses nun vom Literaturwissenschaftler Peter von Matt unter dem Titel „Entwürfe zu einem dritten Tagebuch“ herausgegeben worden.

Ob Max Frischs Wille damit verraten wird, darüber gehen die Urteile auseinander. Wie dem auch sei, sicher ist, dass dessen Publikation keinen Verrat am Urheber selbst übt. Max Frisch zeigt sich darin als scharfer Analytiker und genauer Beobachter, vor allem aber zeigt es uns einen Menschen, der sich unwillkürlich mit dem Altern und dem Tod beschäftigen muss.

Max Frisch, Entwürfe zu einem dritten Tagebuch, Herausgegeben. und mit einem Nachwort von Peter von Matt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.


  Notizen an die Öffentlichkeit (Beat Mazenauer)

En bref et en français - In breve in italiano

Eine der letzten Eintragungen in Max Frischs zweitem „Tagebuch 1966-1971“ lautet: „auch der Schrecken vor dem Alter nutzt sich ab“. Als er dies schrieb, war Max Frisch 60 Jahre alt. Mehr als ein Jahrzehnt später ist dieser Schrecken aber immer noch virulent, er wird akzentuiert durch Gedanken an den Tod. „Wie also stirbt man?“ steht auf den ersten Seiten eines neuen Tagebuchs, das Frisch 1982 anlegte mit der Absicht einer späteren Publikation.
Frischs Tagebücher sind eine eigene literarische Form, welche nicht Alltägliches festhält, sondern „Ergebnis des Kunstwillens im strengsten Sinn“ ist, wie Peter von Matt schreibt, der Herausgeber dieses dritten Tagebuchs. Die in Buchform erschienenen Vorgänger – „Tagebuch 1946-1949“ und „Tagebuch 1966-1971“ – bilden eine eigenständige, parallele Werkebene, von der aus das literarische Schaffen kritisch beobachtet und reflektiert wird. Dazu gesellt sich nun ein drittes Tagebuch, das allerdings bereits nach einem Jahr aufgegeben wurde.
„Ab Frühjahr 1982“ steht auf dem Deckblatt des Typoskripts unter der Überschrift „Tagebuch 3“. Zu jenem Zeitpunkt begann Frisch Texte zu sammeln, die er seiner Sekretärin diktierte. Die Eintragungen bestreichen den Zeitraum bis Frühjahr 1983, dann brach das Projekt ab. Sein persönliches Handexemplar ist nicht überliefert, Frisch vernichtete es womöglich. Vor ein paar Jahren aber hat seine Sekretärin Rosemarie Primault das Typoskript aus ihrem Besitz dem Max Frisch-Archiv übergeben.

Entwürfe zu einem Tagebuch

Die Frage lautet also: Wollte Frisch dieses Tagebuch beseitigen mit dem Zweck, dass es unpubliziert bleibt? Eine Antwort darauf ist nicht leicht zu finden. Aus der Optik des Autors ist das „Tagebuch 3“-Projekt gewiss unabgeschlossen geblieben. So ausgearbeitet die einzelnen Notate sind, als Ganzes fehlt ihnen die Geschlossenheit. Aus dem Satzbild ergibt sich überdies der Eindruck grösserer Lockerheit, bedingt durch die Kürze vieler Texte, was zumindest eine Differenz zu den autorisierten frühern Tagebüchern schafft. Der korrekte Buchtitel „Entwürfe zu einem dritten Tagebuch” trägt dem Rechnung.
Anders betrachtet folgt auch dieses „Tagebuch 3“ jenem Konzept, das Frisch in seiner Vorrede von 1949 festhielt. Das Tagebuch ist wesentlich begründet in der „Zeitgenossenschaft“ des Autors, und seine Teile sind „Steine eines Mosaiks“. Auch das dritte Tagebuch verfolgt ein paar zentrale Gedankenstränge, die sich lose miteinander verknüpfen. Sie lassen sich vereinfacht unter vier Stichworten subsummieren: Alice, Peter Noll, Amerika und ein Vorgefühl des Lebensabends.

„Hänge ich am Leben? / Ich hänge an einer Frau. / Ist das genug?“ – lautet eine der frühesten Eintragungen. Die 30 Jahre jüngere Alice Locke-Carey war seit 1980 Frischs Lebensgefährtin, die mit ihm zwischen New York und Berzona pendelte. Das Tagebuch gibt eine Zeit der Liebe wieder, aber auch der Diskussionen.
Als Amerikanerin konnte Alice die kritischen Ansichten Frischs über das gegenwärtige Amerika nicht teilen. Mit kritischem Blick und mitunter aufwallendem Zorn verfolgt dieser die politischen Entwicklungen, für die seit 1981 Ronald Reagan verantwortlich zeichnet. „Mein Zorn auf dieses Amerika heute ist anstrengend, weil er jeden Tag einmal wiederlegt wird, aber nicht erledigt für immer; er kommt immer wieder. (...) Es gibt verständlichen Hass, aber keinen gerechten Hass, hingegen gibt es einen gerechten Zorn, und eben da wird es so anstrengend“.

„Ich werde ein Greis“

Am 20 April 1983 notierte Frisch in seiner Agenda: „Alice geht nach NY. Ende“. In diesem Zeitraum bricht auch das „Tagebuch 3“ ab.
Alice war 32 Jahre jünger als Frisch und liess ihn sein Alter spüren, wie Eintragungen verraten, und seine Ohnmacht vor der „Augenblichkeit unserer Existenz als Leere vor dem Tod“. Mit dem welkenden Leben verbindet sich in diesen Eintragungen der leitmotivisch wiederkehrende Traum von einem Haus, das er – an wechselnden Orten – für den Lebensabend einrichten würde. Einen letzten Ort bauen, als Geste des Aufbruchs und als Refugium zum Ende hin, lautete ein Traum. Kurze Bemerkungen geben zugleich Signale der Resignation: „Es langweilt mich jeder Satz, den ich geschrieben habe...“ – auch wenn diese Signale dazu dienen, den eigenen Ehrgeiz nochmals anzustacheln.
Um das Ende kreist vor allem das bewegende Zentrum dieses Tagebuchs: das Sterben des Freundes Peter Noll. Im Dezember 1981 hatte der eine Krebsdiagnose erhalten, ein Jahr später erlag er seinem Leiden, das er selbst in berührenden „Diktaten“ protokollierte. Noll konfrontierte Frisch mit dem (allzu frühen) Tod. Es sind bewegende Szenen, die dieser festhält, etwa wie Noll todkrank auf einer gemeinsamen Reise nach Ägypten zusammenbricht. Auszüge aus dem „Tagebuch 3“ sind in Frischs Totenrede auf Peter Noll eingegangen.

Prägnanz und Stilwille

Auch wenn der Autro womöglich Einspruch erhoben hätte, so gibt es doch gute Gründe für eine Veröffentlichung dieses dritten Tagebuch-Entwurfs. Frisch zeigt sich darin als messerscharfer, auch selbstkritischer Beobachter und als engagierter Zeitgenosse. Funkelnde Ideen wie die einer zu schreibenden „finanziellen Autobiographie“ tauchen kurz auf. Auch wenn das „Tagebuch 3“ als Ganzheit in vielerlei Hinsicht ein nicht gänzlich durchgestaltetes Fragment blieb, werfen seine Eintragungen einen vitalen, auch berührender Schatten auf Leben und Werk in jenen Jahren.
In dieser Form steht dieser Entwurf dem üblichen Tage- und Notizbuch näher. In funkelnden Formulierungen demonstriert sein Verfasser darin dennoch seinen unbedingten Stilwillen. Die Notate selbst fallen kürzer aus als in den frühern „Tagebüchern“, dafür münden sie gerne in eine feine Pointe, die abschliesst und den Raum zugleich weitet. „Du bist eine schöne Seele. (Wie übersetzt man das?)“

Beat Mazenauer


  En bref

En bref et en français

Est-il légitime qu'un auteur célèbre prive la postérité de son testament? C'est la question qui se pose avec la publication du dernier livre de Max Frisch, 19 ans après sa disparition. Dans le fonds d'archives zurichois de Max Frisch, un texte dactylographié sommeillait, sous le titre "Tagebuch 3" ["Journal 3"]. Dans les années 1982-1983, en effet, Frisch pensait publier un journal qui serait la suite de ceux de 1946-1949 e de 1966-1971. Mais il changea finalement d'avis et détruisit son manuscrit. L'exemplaire tapé à la machine par sa secrétaire subsista cependant. Après en avoir débattu, les Archives Max Frisch ont confié le texte au critique Peter von Matt, qui les publie sous le titre Entwürfe zu einem dritten Tagebuch ["Esquisses pour un troisième journal"]. A-t-on ainsi trahi la volonté de l'auteur? Les opinions divergent. Ce livre nous montre en tout cas un Max Frisch d'une grand clairvoyance, très observateur. Et il nous dévoile un homme face à la vieillesse et à la mort.

***

In breve in italiano

È lecito che un celebre scrittore privi i posteri del proprio lascito? Questa domanda si pone ora, in seguito alla pubblicazione dell'ultimo libro di Max Frisch, a 19 anni dalla sua scomparsa. Fino a poco fa nell'Archivio Max Frisch di Zurigo giaceva indisturbato un manoscritto con la rubrica "Tagebuch 3" [Diario 3]. Negli anni 1982-1983 Max Frisch coltivava l'idea di pubblicare un diario che fosse il seguito di quelli del 1946-1949 e del 1966-1971. Ma poi cambiò idea e distrusse il suo esemplare. Tuttavia sopravvisse il dattiloscritto della sua segretaria. Nonostante i contrasti all'interno dell'Archivio Max Frisch, il diario è stato ora edito da Peter von Matt, filologo e critico letterario, con il titolo di "Entwürfe zu einem dritten Tagebuch" [Abbozzi per un terzo diario].

Tuttavia, che una tale operazione abbia tradito o meno la volontà di Max Frisch, è oggetto di opinioni divergenti. Comunque sia, sta di fatto che il volume non tradisce minimamente il suo artefice, in quanto ci mostra un Max Frisch di grande argutezza e capacità di osservazione. Ma soprattutto, ci svela una persona che irrimediabilmente deve far fronte alla vecchiaia e alla morte.

 

Page créée le: 14.06.10
Dernière mise à jour le: 15.07.10

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