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                      Die Sprache zum Klingen gebracht 
                       
                    Musik und Sprache bilden für 
                      Melinda Nadj Abonji eine Einheit. Dies drückt sich 
                      in ihren Text-Performances aus. Diese Einheit wird aber 
                      auch in ihrem ersten Buch, dem Roman "Im Schaufenster 
                      im Frühling" hörbar.   
                    Dass sie damit beim Ingeborg-Bachmann-Preis 
                      2004 durchfiel, überraschte - und überraschte 
                      auch nicht. Am treffendsten drückte die Hilflosigkeit 
                      die Literaturchefin der "Zeit", Iris Radisch aus. 
                      Sie spürte hellhörig eine "Arrhythmie", 
                      die sich als "Poesie zu verkaufen" suche, aber 
                      äusserst primitiv durchgeführt sei. Derlei überhaupt 
                      zu lesen: "Da bin ich einfach zu faul dazu, da müsste 
                      mich der Text schon verführen".  
                      So fiel dieses Zusammenspiel von Wort und Klang bei der 
                      Jury regelrecht durch.  
                      Tatsächlich ist es angeraten, Nadj Abonjis Prosa mit 
                      wachem Ohr, am besten gar laut für sich zu lesen. So 
                      nämlich ist schon nach wenigen Zeilen zu spüren, 
                      wie Rhythmus und Klang wesentliche Elemente dieser Literatur 
                      sind. "Luisa Amrein hatte damals eine grüne Haarschleife 
                      bekommen. Sie passte gut zu ihrem Haar, das lang und blond 
                      war."  
                      Die Betonung der a-Laute in diesem ersten Satz senkt die 
                      Lektüre hinab in die Erinnerung an "damals". 
                      Die ausgeprägt rhythmische Gliederung setzt klare Akzente 
                      und legt sich im Fortgang des Textes immer stärker 
                      wie ein transparenter Film über ein Verschweigen, das 
                      in diesem Roman nicht nur behandelt, sondern hörbar 
                      gemacht wird. Die beklagte "Arrhythmie" erweist 
                      sich dabei als rhythmische Unsicherheit, die der Unsicherheit 
                      der Hauptfigur präzis entspricht.  
                    Normal ist was normal ist 
                    Von Luisa Amrein erzählt "Im 
                      Schaufenster im Frühling". Von ihrer Kindheit 
                      in einem lieblosen Elternhaus und von ihrem Aufenthalt als 
                      junge Frau in Wien. Die beiden Zeitebenen vermischen sich 
                      im Rhythmus des Erzählens und deuten so eine fatale, 
                      doch nicht ausgesprochene Parallelität an. 
                      "Krieg ist, wenn ich nach Hause komme, das war für 
                      sie normal. Luisa hatte etwas Wichtiges gemerkt." Der 
                      Krieg ist immer schon da: daheim. Das ist normal, für 
                      Luisa. Die Streifen auf dem Rücken bekommt ohnehin 
                      kaum jemand zu Gesicht. Nur bei Herrn Zamboni, dem Friseur, 
                      ruht Luisa sich gerne aus. In seinem Schaufenster würde 
                      sie gerne schlafen.  
                      In Wien, Jahre später, scheint Luisa nicht recht angekommen 
                      zu sein, obwohl sie sich regelmässig mit Frau Sunder, 
                      mit der kecken Valérie oder mit Frank trifft. Sie 
                      ist Franks Geliebte fürs Wochenende, unter der Woche 
                      hat er seine Arbeit und will sie nicht sehen. Frank ist 
                      ein Kommunikationsprofi, eigentlich aber ebenso sprachlos 
                      wie Luisa.  
                      Luisa wandelt traumwandlerisch durch die Stadt. Sie wirkt 
                      unausgefüllt, schläft schlecht und beträgt 
                      sich nervig. Was sie tut, was in ihr tickt, bleibt verborgen. 
                      Vielleicht weiss sie es selbst nicht genau. Vielleicht steckt 
                      eine mögliche Antwort darauf in der Erinnerung an Antonella, 
                      die Freundin, die wie Valerie ihre Wohnung angezündet 
                      hat.  
                    Sorgfältig durchgearbeitet 
                    Der Rhythmus der kurzen, parataktischen 
                      Satzfolgen, die refrainartigen Variationen und die chronologische 
                      Zergliederung verleihen dieser Prosa etwas Tastendes, gar 
                      Rituelles.  
                      Es ist ein verborgenes Erzählen, das nicht ausdrücklich 
                      werden will, werden kann. Die sprachliche Leichtigkeit täuscht 
                      auch darüber hinweg, dass unterschwellig eine Entwicklung 
                      stattfindet, ausgedrückt in subtilen Verschiebungen 
                      im rhythmischen Satzgefüge.  
                      Mag sein, dass zwischendurch die dramaturgische Spannung 
                      etwas abfällt, dass die eine oder andere Schlaufe zuviel 
                      wird. Unübersehbar, unüberhörbar bleibt die 
                      Sorgfalt und die Bewusstheit, mit der diese Prosa ausgearbeitet 
                      ist. Darin liegt die Differenz zur landläufigen Debütprosa, 
                      wie auch in Klagenfurt hätte bemerkt werden können. 
                     
                    Beat Mazenauer 
                    Melinda Nadj Abonji: Im Schaufenster 
                      im Frühling. Ammann Verlag, Zürich 2004. 168 Seiten, 
                      33.30 Franken. 
                    Die hilflose Klagenfurter 
                      Diskussion ist dokumentiert unter:  
                      http://bachmannpreis.orf.at/bachmannpreis/texte/stories/14495/ 
                      
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