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Matthias Zschokke
Lieber Niels. Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 764 Seiten.

4ème - Einblicke in die Seele des Dichters, Beat Mazenauer -
In breve in italiano
- En bref et en français

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   Matthias Zschokke / Lieber Niels

 

Matthias Zschokke / Lieber NielsBriefwechsel sind von gestern, heute verständigt man sich digital. Das lässt auch die Literatur nicht unberührt, wie Matthias Zschokkes neues Buch “Lieber Niels” bezeugt. Seit 1982 steht Matthias Zschokke mit seinem Freund Niels Höpfner in intensivem Briefaustausch, die letzten acht Jahre auch über E-Mail. Auf diesem Weg gingen Tausende von Nachrichten hin und her, in denen sie sich Lektüren empfahlen oder über Ansichten stritten. Daraus ist ein dickes Buch geworden: ein Tagebuch der Freundschaft. Zschokke bekundet darin sichtlich Mühe mit dem Literaturmarkt, dessen Anforderungen er nicht erfüllen kann. Gekränkt ob des Erfolgs von minderen Talenten im Literaturbetrieb nimmt er seine Kollegen mit spitzen, pointierten Urteilen aufs Korn.
Wer hierbei aber nur den literarischen Klagemann sieht, überliest freilich die Ironie und die Einsicht, womit sich Matthias Zschokke vor Selbstgefälligkeit rettet. So hält er in diesem exzentrischen, zugleich witzigen Mailtagebuch subtil eine Balance zwischen Angriff und Einsicht.

Matthias Zschokke: Lieber Niels. Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 764 Seiten.


  Einblicke in die Seele des Dichters, Beat Mazenauer

In breve in italiano - En bref et en français

Seit beinahe zwanzig Jahren kommunizieren Matthias Zschokke und der Literaturwissenschafter Niels Höpfner intensiv miteinander, die letzten acht Jahre auch über E-Mail. Auf diesem Weg haben sie Tausende von Nachrichten ausgetauscht, in denen sie sich Lektüren empfahlen oder über Ansichten stritten. Daraus ist ein dickes Buch geworden: ein Tagebuch der Freundschaft.
In Lieber Niels kommt allerdings nur Zschokke zu Wort, sein Dialogpartner hält sich zurück – und ist gleichwohl stets präsent, denn im Unterschied zur Selbstbefragung im Tagebuch stösst der Autor hier auf Resonanz. Seine Klagen über die Nöte des Alltags gleiten so nie ins Lamento ab, sondern provozieren klärenden Widerspruch und Aufmunterung. Der Freund wird zum Spiegel, in dem der Schreibende sich klarer erkennt.
Zschokke mag Opern, sieht sich gerne Filme an, sträubt sich gegen konfektionierte Literatur. Darüber tauscht er sich mit Niels aus. Seine Kritik äussert er mit erfrischender Unverblümtheit, auch wenn dabei namentlich genannte Kollegen aus dem Betrieb kräftig ihr Fett abbekommen. Er bekundet sichtlich Mühe mit dem windigen Literaturmarkt, dessen Anforderungen er nicht erfüllen kann. Letzteres impliziert eine dauerhaft angespannte, den Schlaf raubende Finanzlage.
Als Autor bewahrt Matthias Zschokke den hohen Anspruch, allein der Kunst zu dienen – nutzlos, sich selbst treu.
"Tatsächlich glaube ich nicht ans handwerkliche Schreiben… Ich meine heute noch, Kunst müsse aus dem Überfluss kommen, sie müsse unnütz sein, frei von jedem Kalkül, sie müsse von selbst entstehen, aus einer Laune heraus, sie müsse der pure Luxus sein".

Dieses Wollen ist ihm ein Ansporn und zugleich eine verzweifelte Bürde, die seine Arbeit belastet. "Ich weiss nicht mehr, wie man sich dazu bringen kann, etwas zu schreiben… Alle schreiben vor sich hin, keinen treibt etwas." Das will er für sich selbst auf keinen Fall: Kunstgewerbliche Literatur, perfekte Schriftstellerei, auch wenn "beschwingte, sommerliche heitere" Bücher für Erfolg garantieren.
Matthias Zschokke hält sich zurück, und dennoch: Warum bleibt ihm der Erfolg erspart – oder verwehrt?
Leidenschaftlich hadert er immer wieder mit seiner Erfolglosigkeit, und auch mit seiner notorischen Unfähigkeit, unverkrampft vor Publikum zu lesen – dies als ausgebildeter Schauspieler! – oder gelassen ein anregendes Gespräch zu führen.

Deshalb dreht sich hier vieles auch ums Geld. Lieber Niels ist ein Buch der Kränkung im doppelten Sinn. Gekränkt ob des Erfolgs von minderen Talenten im Literaturbetrieb nimmt Zschokke seine Kollegen mit spitzen, pointierten Urteilen aufs Korn. "Raoul Schrott: ein Streber", zielt er – unter vielen anderen – unverblümt auf den erfolgreichen Konkurrenten. Das ist gefährlich, und womöglich irreführend für die Beurteilung dieses Buches.
Zschokke spielt lustvoll mit dem Feuer der Rache. Wer hierbei nur den literarischen Klagemann sieht, überliest die Ironie und die Einsicht, womit er sich vor jeder Selbstgefälligkeit rettet. Konkurrenz ist "schwer zu ertragen für einen wie mich, der so stark unter Neid und Eifersucht leidet", notiert er. So hält er subtil eine Balance zwischen Angriff und Einkehr. In der kurzen Vorrede nennt Niels Höpfner diesen Band "exzentrisch, egoman und extravagant". Genau das ist er, zugleich erzungerecht, elegant und einfach komisch.
Sein Scheitern als Publikumsmagnet trägt Matthias Zschokke mit lakonischem Witz, er kann sich ein selbstironisches Lächeln nicht verkneifen: "Meine Agenda ist ja in der Regel so gähnend leer, dass ich mir für dieses Jahr gar keine neue angeschafft habe." Ein Dichter wie er ist ein Eremit, der gesellschaftlichen Trubel meidet. Warum also nicht "unbedingt mehr verwildern in allem, was ich tue!" Anders formuliert: "Das will ich werden: ein statistischer Ausreisser."
In diesem Mail-Tagebuch über die Jahre 2002 bis 2009 werden die Leser Zeugen einer dichterischen Raison d'être, die den erfolglosen Eigensinn vor sich selbst verantworten muss. Die Schriftstellerei ist keine ungefährliche Profession! Die Lektüre nimmt daran innigen Anteil. Man braucht sie sich nicht in einem Schwung abzuringen, das opulente Buch voller Geschichten verträgt durchaus längere Fristen.

Beat Mazenauer

 

  En bref

 

In breve in italiano

Gli epistolari sono ormai passati di moda, infatti oggi la comunicazione avviene in modo digitale. Anche la letteratura non è rimasta immune da tale sviluppo, come dimostra l'ultimo libro di Matthias Zschokke intitolato Lieber Niels. Dal 1982 Matthias Zschokke ha intrattenuto un intenso scambio epistolare con il suo amico Niels Höpfner, e durante gli ultimi otto anni anche via email. In questo modo si sono scambiati centinaia di messaggi, nei quali si davano consigli per nuove letture oppure litigando apertamente su questioni varie. Tale carteggio è ora confluito in un grosso libro, un diario della loro amicizia. Uno dei temi affrontati è la remora nei confronti dell'ambiente e del mercato letterario, le cui leggi Zschokke non si sente di poter e di voler accontentare. Avvilito dal successo di colleghi di gran lunga meno dotati di lui, si prende beffa di loro con sottile e arguta penna.
Chi tuttavia si limitasse a vedere soltanto le lamentele di Zschokke non riconosce l'ironia e l'autocritica che lo tutelano dalla vanità. Infatti, l'eccentrico e spiritoso epistolario elettronico si mantiene in perfetto equilibrio tra invettiva e autocritica. (ja)

***

En bref et en français

Les relations épistolaires sont passées de mode ; aujourd’hui, on communique par la voie numérique. La littérature ne reste pas insensible à cette évolution, comme en témoigne le nouveau livre de Matthias Zschokke : Lieber Niels (Cher Niels). Matthias Zschokke entretient, depuis 1982, une correspondance assidue avec son ami Niels Höpfner – par courriel ces huit dernières années. Allers et retours de milliers de messages, dans lesquels ils se recommandent l’un à l’autre des lectures ou disputent leurs points de vue. Un livre épais en a résulté : une sorte de journal de l’amitié. Matthias Zschokke y laisse transparaître sa contrariété face au marché littéraire, dont il ne peut accepter les exigences. Mortifié par le succès de talents moindres que le sien dans le milieu littéraire, il adresse quelques critiques acerbes et cinglantes à l’encontre de ses collègues.
Mais ne retenir de ce livre que l’écrivain geignard serait ignorer que l’ironie et la clairvoyance de Matthias Zschokke le préservent de la fatuité. Dans ce journal courriel, simultanément excentrique et drôle, il conserve un équilibre subtil entre agressivité et lucidité. (ml)

 

Page créée le: 11.05.11
Dernière mise à jour le: 11.05.11

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