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Zwei Schweizer Neuheiten in der Edition Korrespondenzen in Wien
Sabina Naef: leichter Schwindel. Gedichte. Edition Korrespondenzen, Wien 2005. 80 S.
Zsuzsanna Gahse: Instabile Texte. Zu zweit. Mit 6 Textzeichnungen der Autorin. Edition Korrespondenzen, Wien 2005. 142 S.

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Retrouvez également Zsuzsanna Gahse dans nos pages consacrées aux auteurs de Suisse.

  
 

Seit kurzem ist der junge Wiener Verlag Edition Korrespondenzen auch eine Adresse für Schweizer Literatur. Zsuzsanna Gahse hat vor einem Jahr mit ihrem Band "durch und durch" den Anfang gemacht. Nun lässt sie in diesem Jahr einen zweiten Band folgen: "Instabile Texte". Der Titel ist Programm. Gahse zerlegt ihre eigene Wahrnehmung, indem sie sie festhält und gerade so instabil, flüchtig werden lässt.

Eine andere Form für denselben Effekt findet die Lyrikerin Sabina Naef. Im Unterschied zu Zsuzsanna Gahse scheint bei ihr der Gleichmut der Beobachterin ersetzt durch einen Schwindel des Wahrnehmens, den sie inmittelbar in adäquater Weise zu protokollieren versucht. Ihre Gedichte sind Übungen im Festhalten ohne die Notwendigkeit, dass das Festgehaltene von ewiger dauer sein muss.

  En bref et en français

Depuis peu, la jeune maison d'édition viennoise Korrespondenzen est devenue un relais pour la littérature suisse. Zsuzsanna Gahse y a fait ses débuts il y a un an. Elle y publie aujourd'hui un nouveau livre, dont le titre, Instabile Texte (Textes instables) fait figure de programme: l'auteure y dissèque sa propre perception - ce qui la rend justement instable et insaisissable.

La poétesse Sabina Naef parvient à un résultat semblable par des voies différentes. Tandis que Zsuzsanna Gahse observe avec flegme, la perception de Sabina Naef est caractérisée par une sorte de vertige, dont l'auteure s'efforce de rendre compte aussitôt le plus rigoureusement possible.

(D'après le texte de Beat Mazenauer ci-dessus)

 

  Sabina Naef / leichter Schwindel

"leichter Schwindel
sie schliesst die Augen
wie ein Seemann
im Platzregen
im Wetterleuchten
in einer Rauchpause"

Sabina Naef: leichter Schwindel. Gedichte. Edition Korrespondenzen, Wien 2005. 80 Seiten


Leichter Schwindel beim Schreiben

Schon der Titel hat es in sich. Was wie ein Fehler ausschaut und in den Bücherverzeichnissen bereits schon "verbessert" wiedergegeben ist, schreibt sich korrekt so: "leichter Schwindel". Die Kleinschreibung des Adjektivs am Anfang des Titels hat System. Der leichte Schwindel überkommt das lyrische Ich unvermittelt: bei einer erhofften Begegnung, beim gedankenverlorenen Beobachten, im Sog des Schreibens. Und im gleichnamigen Gedicht folgt ihm ein Bild: "sie schliesst die Augen / wie ein Seemann im Platzregen / im Wetterleuchten / in einer Rauchpause". Dadurch klärt sich nichts, vielmehr wird die Unsicherheit akzentuiert. Wer weiss denn schon, wie Seemänner die Augen schliessen.
Der mittlerweile dritte Gedichtband der 1974 in Luzern geborenen Sabina Naef versammelt 57 kurze Gedichte von jeweils nur wenigen Zeilen. Die Unvermitteltheit im Titel kehrt häufig wieder, indem die Autorin das grammatikalische Subjekt verschweigt und so Verb und Objekt im Ungewissen, wie nicht abgeholt stehen lässt: leicht schwindelnd? Diese Projektion ins Offene verrät leitmotivisch ihre Quellen: das Schreiben und die Liebe. Beide sind sie ihrer Sache nicht sicher, beide aber geben sie zu hochfliegenden Hoffnungen und Träumen Anlass, wie es in zwei Zeilen präzis formuliert ist: "uns kann nichts geschehen / uns kann alles geschehen". Es kann nichts geschehen, gerade weil alles geschehen kann. In solchen Momenten der kaum weiter reduzierbaren Konzentration findet Sabina Naef ihren eigenen Ton, mag zuweilen auch das eine oder andere Bild gut bekannt und dem Fundus des lyrischen Empfindens entnommen sein. Vieles ist längst geschrieben. Es geht darum, wie dieses neu komponiert wird. Unter der Überschrift "dass alles anders bleibt" formuliert Sabina Naef in Kleinstform ihr Programm:

Sand ruht nie
sie tippt auf einer Schreibmaschine
ohne eingespanntes Papier"

Das ist es, was den leichten Schwindel verursacht: das ziellose und zwecklose Festhalten von Worten, die auf der Walze kaum sichtbar doch so etwas wie das Konzentrat eines Textes erahnen lassen. Es gilt den Moment zu loben, das Glück zu finden, wie in "sans mot dire":

"Achtung: frisch verschneit
wir laufen ins Leere
mit einer Wegwerfkamera für den heutigen Tag"

Sabina Naef: leichter Schwindel. Gedichte. Edition Korrespondenzen, Wien 2005. 80 Seiten

von Beat Mazenauer

Bisherige Bücher von Sabina Naef: Zeitkippe. Nimrod, Zürich 1998 - tagelang möchte ich um diese Ecke biegen. Isele, Eggingen 2001

 

  Zsuzsanna Gahse / Instabile Texte

"Die Alpen sind ihrer Form nach ein Kipferl, innerhalb der Kipferlform zeichnet sich eine klare Semmelform ab, das ist die Schweiz, und die Schweiz ist Europa. Die Schweiz zerfällt in etliche Täler, welche Einsamkeiten auf den Gipfeln! (Kipferl ist ein Wort, das nicht überall bekannt ist, Gipfeli auch nicht, nichts ist in Europa überall bekannt.)"

Zsuzsanna Gahse: Instabile Texte. Zu zweit. Mit 6 Textzeichnungen der Autorin.
Edition Korrespondenzen, Wien 2005. 142 S.

Instabil und flüchtig

Wir sagen die Schweiz und reden von Europa im Singular; wir sagen "die Sprache" und wir reden von "der Wahrnehmung". Wenn es aber darauf ankommt, merken wir schnell, dass es Sprache ebenso wie Wahrnehmung nur im Plural gibt: Versuche des differenzierten individuellen Erkennens und Benennens. Zsuzsanna Gahse ist eine Spezialistin auf diesem Feld. "Seit einigen Jahren möchte ich alles so sehen, wie es ist, so dass ich nicht versuche, jedes Ding mit etwas Bekanntem zu vergleichen." Dieser Wunsch aber lässt sich nur annäherungsweise erfüllen um den Preis, dass dafür die Texte instabil werden, ihren eingeübten Halt verlieren. Ihr neuer Prosaband versammelt einen subtil arrangierten Chor von sprachlich und motivisch eng vernetzten Miniaturen, die Sprache in den unterschiedlichsten (helvetischen) Land-, Klang- und Sprachschaften durchleuchten. Der sprachliche Reichtum insbesondere in den Bergen fasziniert die Autorin: "Die Sprachen waren wohl an den Felswänden hinabgestürzt und zerschellt und nur schwer zu verstehen, obwohl die Leute nicht schnell sprachen."

"Er sass in London auf einer Bank, im Nebel. Als ein junger Mann auf ihn zukam, wusste er, dass der Junge er selbst war, der pfiff nämlich ein Lied, das sonst niemand ausser ihnen oder ausser ihm kennen konnte. Aber der Junge glaubte ihm nicht. Der Ältere sah den Jungen wirklich, der aber träumte nur von ihm, dem Späteren."

Zsuzsanna Gahse betreibt eine Poetisierung der alltäglichen Wahrnehmung, die über die eigene Anschauung hinausweist. Indem sie die Sprache ernst nimmt, kreiert sie Vorstellungsbilder, die sich manchmal auch unverhofft ins Prekäre verschieben: "Klimaerwärmung ist ein schönes Wort, so dass jeder alles dafür tun möchte, für die Wärme und die Nähe."
"Beinahe alles ist Übersetzung". Das Original erweist sich als Schimäre, die poetische Transformation signalisiert Wandelbarkeit und Instabilität. Dennoch kann sich bei behutsamer und vor allem demütiger Anlehnung an das zu Sehende hin und wieder so etwas wie die Illusion eines ganz eigenen, intimen Erkennens mit allen Sinnen einstellen. Die Alpen sind ein Kipferl (oder Gipfeli), das bei sprachlicher Berührung in butterweiche Brosamen zerfällt. Beinahe hätten wir dies selbst bemerkt.

Zsuzsanna Gahse: Instabile Texte. Zu zweit. Mit 6 Textzeichnungen der Autorin. Edition Korrespondenzen, Wien 2005. 142 S., 31.80 Franken.

Beat Mazenauer


Page créée le: 28.10.05
Dernière mise à jour le: 28.10.05

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